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Papst Franziskus: Ein Pontifikat voller Wandel und Kontroversen

Nachruf

Weg von der Dogmatik, hin zu den Menschen: Ein Papst des Volkes ist gestorben 

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    Papst Franziskus ist im Alter von 88 Jahren gestorben.
    Papst Franziskus ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Foto: Sven Simon

    „Buonasera“, sagt der frisch gewählte Papst an jenem März-Abend im Jahr 2013 schlicht. „Fratelli e sorelle, buonasera!“ Brüder und Schwestern, guten Abend. Jener alltägliche Gruß unmittelbar nach dem Konklave bringt auf der Stelle einen anderen Ton in die römisch-katholische Kirche. Um 19.07 Uhr war weißer Rauch aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle in den Himmel aufgestiegen, Glockengeläut, Jubel. Und auf dem Balkon des Petersdoms sagt der neue Papst, er nennt sich Franziskus: „Betet für mich.“

    Dies war seine Gabe – der Umgang mit den Menschen. Einen „Menschenfischer“, einen „Menschenfänger“ nannten ihn manche. Am Ostermontag ist er, der Argentinier mit dem bürgerlichen Namen Jorge Mario Bergoglio, im Alter von 88 Jahren in Rom gestorben. Noch am Ostersonntag hatte er den Segen „Urbi et Orbi“ gespendet.

    Das Bild vom Menschenfischer ist dabei, natürlich, lediglich die eine Hälfte der Wahrheit. Dazu muss man nur die von Franziskus geschassten deutschen Bischöfe Gerhard Ludwig Müller, den früheren Chef der Glaubenskongregation, oder Georg Gänswein, einst Präfekt des Päpstlichen Hauses und Sekretär von Benedikt XVI., fragen. Beide fühlten sich von Franziskus bloßgestellt. Das breite (Kirchen-)Volk aber mochte diesen Papst. Weil er redete, wie ihm der Schnabel gewachsen war, manchmal unkontrolliert. Man kann wohl sagen: Franziskus war ein „Populist“ auf dem Stuhl Petri. In seiner Rangordnung kamen seine Intuition, das ohne Umschweife gesprochene Wort – und später Lehramt oder Tradition. Insofern bedeutete seine Amtszeit einen Paradigmenwechsel: weg von der Dogmatik, hin zu den Menschen.

    Papst Franziskus ist tot: Seine Amtszeit bedeutete einen Paradigmenwechsel

    Das war vielfach gleich in den ersten Etappen seines Pontifikats zu beobachten. Da wurden vor den Familiensynoden 2014 und 2015 plötzlich die Menschen in den Diözesen nach ihrer Meinung gefragt. Ihre Gedanken gingen in die Vorbereitungspapiere für diese Bischofstreffen ein, auf deren Grundlage die Kleriker dann diskutierten. Bei der Weltsynode „Für eine synodale Kirche“ zu mehr Teilhabe innerhalb der Kirche, gab er erstmals auch Nicht-Klerikern, gab er auch Frauen Stimmrecht. Sie zu weihen – das war aber dann auch ihm zu viel der Reform. Immerhin: Im Jahr 2025 standen dank Franziskus zwei Frauen an der Spitze von Vatikan-Behörden.

    Eines der letzten Fotos von Papst Franziskus: Noch am Ostersonntag zeigte er sich in der zentralen Loge des Petersdoms, um am Ende der von Kardinal Comastri geleiteten Ostermesse auf dem Petersplatz den Segen „Urbi et Orbi“ zu erteilen.
    Eines der letzten Fotos von Papst Franziskus: Noch am Ostersonntag zeigte er sich in der zentralen Loge des Petersdoms, um am Ende der von Kardinal Comastri geleiteten Ostermesse auf dem Petersplatz den Segen „Urbi et Orbi“ zu erteilen. Foto: Gregorio Borgia/AP/dpa

    Er wollte Öffnungen – wie sehr und von welchem Ausmaß, wurde mit der Zeit allerdings fraglicher. Bisweilen kamen Öffnungen per Fußnote. So geschehen im Schreiben „Amoris laetitia“ von 2016, in dem er de facto wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zuließ. Was Nicht-Katholiken wie eine Nuance vorkommen musste, stellte einen Affront für die katholische Tradition dar. Jahrzehntelang hatte es ideologische Grabenkämpfe gegeben, dogmatisch gesehen befand sich in „schwerer Sünde“, wer das göttliche Ehe-Band löste und standesamtlich eine neue Partnerschaft einging. Der Zugang zu den Sakramenten blieb diesen Menschen verwehrt, auch wenn mancher Pfarrer ein Auge zudrückte.

    Im Falle der Segnung von Paaren „in irregulären Situationen“ und der von gleichgeschlechtlichen Paaren ließ Franziskus, völlig überraschend, Ende 2023 eine Erklärung seines Glaubenspräfekten veröffentlichen – die er ausdrücklich genehmigte. „Fiducia supplicans“ wird seitdem kontrovers diskutiert. Auch hier: Der Schritt wirkt nach außen nicht sonderlich revolutionär; in der Erklärung wird betont, „die beständige Lehre der Kirche über die Ehe“ werde in keiner Weise verändert. Dennoch bedeutet er eine bis dahin kaum vorstellbare Neuerung: Im Ergebnis ermöglichte es Franziskus, diese Paare segnen zu können. Eine Kirche, die den Menschen näher steht, wollte der Papst vom „Ende der Welt“, wie er sich verortet hatte. An die „existenziellen Peripherien“ gehen sollte die Kirche, ein „Feldlazarett“ sollte sie sein – und eine „arme Kirche für die Armen“. Unvergessen sein oft zitierter Satz: „Mir ist eine verbeulte Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und Bequemlichkeit krank ist“. Die Kirche in Bewegung – vielleicht kann man so die Franziskus-Jahre umschreiben.

    Den jahrzehntelang streng geordneten Ratzinger- und Wojtyla-Kosmos jedenfalls schüttelte Franziskus gehörig durch. „Hagamos lìo“, lasst uns Unruhe stiften, ist noch so einer seiner Sätze, ausgesprochen als Erzbischof von Buenos Aires: Er könnte als programmatischer Titel über den ersten Jahren seines Pontifikats stehen.

    Der Argentinier Jorge Mario Bergoglio am 13. März 2013 kurz nach seiner Wahl zum Papst. Auf dem Balkon des Petersdoms begrüßte er die Gläubigen mit einem schlichten „Buonasera“.
    Der Argentinier Jorge Mario Bergoglio am 13. März 2013 kurz nach seiner Wahl zum Papst. Auf dem Balkon des Petersdoms begrüßte er die Gläubigen mit einem schlichten „Buonasera“. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Die Massen sprangen wie von Sinnen an auf diesen Papst. Beim Weltjugendtag in Rio de Janeiro wurde er wie ein Rockstar empfangen. Auf seiner ersten „fliegenden Pressekonferenz“ redete er sich in die Herzen zumindest der liberalen (Kirchen-)Welt: Wer sei er, um über die homosexuelle Orientierung eines Menschen zu urteilen, fragte er rhetorisch. Franziskus galt fortan als oberster Reformer, und musste fast zwangsläufig Erwartungen und Hoffnungen enttäuschen. Selbst wenn er Homosexuelle oder Trans-Menschen privat empfing, die hohen Ränge seiner Kirche tun sich weiter schwer mit der Akzeptanz des vermeintlich Andersartigen. Eindeutig festlegen ließ sich gleichwohl auch Franziskus nicht.

    Papst Franziskus: Sein Programm hieß zunächst wohl „Lasst uns Unruhe stiften“

    Er war ebenfalls nicht wie sein Vorgänger Benedikt XVI. – Joseph Ratzinger – ein Mann der Kurie, also der Verwaltung. Er war, und das erklärt ihn als Person vermutlich am besten, ein südamerikanischer Jesuit, der erste Ordensmann auf dem Stuhl Petri. Die Kirche lernte durch ihn den Mitbegründer der Societas Jesu, Ignatius von Loyola, genauer kennen. „Unterscheidung“ ist denn auch das jesuitische Schlagwort, mit dem Franziskus Maß anlegte. Es meint ein Abwägen, zu dem das Hören auf die innere Stimme zählt. „Die Zeit ist mehr wert als der Raum“, lautete eine weitere Devise Bergoglios, die bedeutete, dass feste Vorstellungen und Überzeugungen an ihrer Machbarkeit und an der Realität zu messen seien.

    Reformkatholiken forderten von ihm, dass er die im Reformstau gefangene katholische Kirche umkrempeln solle. Doch Franziskus taugte nicht zum Revolutionär: Er verfolgte das Machbare, nicht das Gewünschte. Und wurde zunehmend unbeliebter, und zwar bei progressiven wie konservativen Gläubigen. Für die Katholisch-Konservativen setzte er falsche Schwerpunkte, beförderte die Falschen, galt als nicht gerade brillanter Theologe. Reformorientierten, insbesondere in Deutschland, wurde er zum Rätsel und Ärgernis. Dass er Bischofskonferenzen „eine gewisse Lehrautorität“ versprach, später aber den Reformprozess „Synodaler Weg“ ausbremste, verstanden sie nicht. Übel nahmen ihm einige seinen Satz: „Wir haben schon eine gute evangelische Kirche in Deutschland.“

    Viel diskutiert: Als bei der Amazoniensynode 2019 die Frage anstand, ob in Ausnahmefällen verheiratete Diakone zu Priestern geweiht werden dürften, entschied sich Franziskus dagegen. Eine Mehrheit der an der Synode teilnehmenden Bischöfe hatte die „viri probati“ und damit den Abschied vom Pflichtzölibat gefordert. Franziskus nahm eine seiner Unterscheidungen vor: Nach seiner Auffassung drohte die Kirche an einer derart umstrittenen Entscheidung zu zerbrechen. Der Beiname „Reformpapst“, der ihm allzu schnell verliehen worden war, überdeckte, wie stark er in vielen Punkten dann doch an der Tradition festhielt. Sowie, dass er bereits in Buenos Aires als „Kardinal der Armen“, aber eben auch als „harter Hund“ gegolten hatte. Er wusste sich durchzusetzen. Als Papst schimpfte er schließlich gegen die „Ehe für alle“, an der „Gender-Ideologie“ ließ er kein gutes Haar. Dass er in Rom tatsächlich die „heißen Eisen“ angefasst und Machtworte zugunsten einer umwälzenden Reform der Kirche gesprochen hätte? Im Rückblick sieht man, dass er ein Pragmatiker war.

    Papst Franziskus, bürgerlich Jorge Mario Bergoglio, ist tot.
    Papst Franziskus, bürgerlich Jorge Mario Bergoglio, ist tot. Foto: Andrew Medichini/AP, dpa

    Erfolgreich bewerkstelligte er eine Reform der Kurie. Er beendete das krude Finanzgebaren der Vatikanbank, schuf neue Finanzstrukturen mit unabhängigen Kontrolleuren und räumte in dem vatikanischen Verwaltungsapparat auf. Sogar ein Kardinal, der Gelder veruntreut hatte, musste gehen. Im Juli 2023 besetzte er die Glaubenskongregation, inzwischen „Dikasterium für die Glaubenslehre“ – vermeintlich die letzte Bastion des katholischen Konservativismus –, mit seinem Landsmann Víctor Manuel Fernández. Erzkonservativen ist der Kardinal wegen seiner dogmatischen Flexibilität ein Dorn im Auge.

    Franziskus setzte das Machbare durch, nicht das Gewünschte

    Wenn es um Disziplin ging, konnte Franziskus entschieden handeln. Wer wüsste das besser als Georg Gänswein, den er in dessen badisches Heimatbistum Freiburg zurückschickte? Gänswein hatte sich Fehler geleistet, darunter ein Buch, in dem er dem Papst Vorwürfe machte. Demütigungen würden zuweilen guttun, soll Franziskus ihm gesagt haben. Im Sommer 2024, nach langer Zeit der Ungewissheit, wurde Gänswein zum Apostolischen Nuntius in Litauen, Estland und Lettland ernannt.

    Scharfe Kritik brachte Franziskus sein Handeln bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals ein. Immer wieder schlug er sich auf die falsche Seite: auf die der vertuschenden chilenischen Bischöfe, auf die des Serientäters Kardinal Theodore McCarrick oder auf die seines argentinischen Freundes Bischof Gustavo Zanchetta, der wegen sexuellen Missbrauchs von Priesteranwärtern zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Im Falle des wegen seines Umgangs mit Missbrauchsfällen heftig kritisierten Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki wurde ihm Nicht-Handeln angekreidet – und eine weitere Verschärfung der Lage in Deutschland, wo 2022 die Zahl der Kirchenaustritte auf einen historischen Rekordwert stieg. Erst nach einem mühsamen Lernprozess stellte Franziskus die Interessen der Opfer ins Zentrum – Aufklärung und Aufarbeitung werden noch lange nicht beendet sein.

    Auf dem undatierten Handoutfoto hält der damalige argentinischen Kardinal Jorge Mario Bergoglio und jetzige Papst Franziskus in Buenos Aires einen Wimpel des Fußballclubs San Lorenzo de Almagro, dessen Anhänger er ist. Papst Franziskus ist seit seiner Kindheit ein eingefleischter Fußballfan. Papst Franziskus wurde am 13. März 2013 zum Papst gewählt. +++ dpa-Bildfunk +++
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    Papst Franziskus ist tot. Der 266. Bischof von Rom ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Er war der erste Papst aus Lateinamerika und benannte sich nach Franz von Assisi. Ein Rückblick auf sein Leben.

    Was aus seiner Amtszeit bleiben wird, sind die erste päpstliche Umweltenzyklika „Laudato si“ über die Bewahrung der Schöpfung, ein Mahnruf angesichts des Klimawandels. Seine radikale Wirtschaftskritik („Diese Wirtschaft tötet“), die Maßstäbe setzte in ihrer Deutlichkeit. Was bleiben wird, ist die Erinnerung an einen Papst, der es verstand, mit großen Worten, Gesten und Zeichen Themen zu setzen – und das global. Er tat dies bis ins hohe Alter, das geprägt war von Krankheit und Erschöpfung. Vor allem wird er seiner Kirche ein Wort hinterlassen: Synodalität.

    Gemeint ist damit ein Voranschreiten im Hören aufeinander und auf den Heiligen Geist. Es ist eine Methode, die durchaus das Zeug dazu hat, die hierarchisch strukturierte, ämter- und machtfokussierte Kirche zu erneuern. Auch wenn Franziskus nie einen Zweifel daran ließ, dass die wichtigsten Entscheidungen unverändert von den Bischöfen und dem Papst als Letztentscheider getroffen werden.

    Immer wieder überraschte Franziskus seine Kirche – wie etwa zum Ende der Weltsynode

    Die Weltsynode endete 2024 übrigens mit einem typischen Zug: Franziskus verzichtete, völlig überraschend, auf ein „nachsynodales Schreiben“, mit dem ein Papst üblicherweise Beschlüsse eines Bischofstreffens herausgreift und verbindlich werden lässt. Stattdessen erklärte er, das Schlussdokument der Synode – eigentlich ein Beratungsorgan – trete sofort in Kraft. Seither ergehen sich Bischöfe wie interessierte Öffentlichkeit in Interpretationen, was das konkret bedeuten mag. Man konnte es so sehen: Einmal mehr entschied Franziskus, nicht zu entscheiden. Zuvor schon lagerte er umstrittene Fragen wie die einer Weihe von Frauen zu Diakoninnen in Studiengruppen aus, er betrachte sie „als noch nicht reif“, hieß es.

    Nun folgt die Sedisvakanz, das Konklave und in ihm das Ringen um einen neuen Papst. Das Kardinalskollegium hat Franziskus in seiner Amtszeit mit rund 80 Prozent aller Ernennungen wesentlich geformt. Vielleicht war dies seine nachhaltigste und wirkmächtigste Reform. Nicht ausgeschlossen, dass sein Nachfolger wieder „vom anderen Ende der Welt“ stammen wird.

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