Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

USA: Der Supreme Court macht den US-Präsident zum König

USA

Der Supreme Court macht den US-Präsident zum König

    • |
    • |
    US-Präsident Joe Biden hielt eine Brandrede gegen das jüngste Urteil des höchsten Gerichts.
    US-Präsident Joe Biden hielt eine Brandrede gegen das jüngste Urteil des höchsten Gerichts. Foto: Jacquelyn Martin, AP/dpa

    Die Rede dauerte gerade mal fünf Minuten, und Joe Biden meisterte sie fehlerfrei. Trotzdem ließ die Fernsehansprache des US-Präsidenten am Montagabend aufhorchen. Höchst ungewöhnlich war nicht nur ihr Inhalt – eine harte Abrechnung mit dem obersten US-Gericht, immerhin einem anderen Verfassungsorgan. Dramatisch klang vor allem der Schluss. Normalerweise endet Biden mit einer traditionellen Anrufung Gottes zum Schutz der Truppen. Dieses Mal sagte er: "Möge Gott helfen, unsere Demokratie zu bewahren."

    Die Sorge des Präsidenten ist nach Ansicht vieler liberaler Beobachter nicht überzogen. Ausgelöst wurde sie durch ein historisches Urteil, das sich der Supreme Court für den letzten Tag seiner Sitzungsperiode aufgehoben hatte. Seit Monaten schlummerte bei dem mehrheitlich rechten Gericht eine Klage von Donald Trump, mit der dieser eine Verurteilung im Prozess wegen des Kapitolsturms verhindern wollte. Der Ex-Präsident behauptete, er sei vor Strafverfolgung immun. Führende Rechtsexperten hatten diese Meinung als abwegig verworfen. Doch am Montag fällte der Supreme Court ein Urteil, das weit über den konkreten Fall hinausgeht.

    Washington: Das Gericht entschied mit einer Mehrheit von 6 zu 3 Stimmen

    Nach Mehrheitsauffassung des Gerichts genießen US-Präsidenten einen quasi Rundum-Schutz vor Strafverfolgung. Diese Immunität gilt absolut für den Kernbereich ihrer Amtsgeschäfte, zu dem etwa Begnadigungen, Gesetzes-Vetos oder Personalentscheidungen gehören. "Mutmaßlich" wird diese Immunität auch für alle anderen offiziellen Handlungen angenommen. Für private Handlungen gesteht der Supreme Court dem Präsidenten zwar keine Immunität zu. Doch dürfen bei der Strafverfolgung privater Vergehen keine Beweismittel aus offiziellen Handlungen verwandt werden.

    Von einem "atemberaubenden" Urteil spricht nicht nur die New York Times. Amerikas Linksliberale sind geschockt. "Heute ist ein Tag der juristischen Schande", wetterte der demokratische Abgeordnete Adam Schiff, der das erste Amtsenthebungsverfahren gegen Trump geleitet hatte. "Diese Entscheidung untergräbt die Herrschaft des Rechts", empörte sich Biden in seiner Ansprache. Fortan gebe es "praktisch keine Grenzen für das Handeln eines Präsidenten" mehr. Die liberale Verfassungsrichterin Sonia Sotomayor, die gegen das Urteil gestimmt hatte, bei der 6:3-Entscheidung aber unterlag, spitzte ihre Kritik prägnant zu: "Der Präsident wird nun ein König vor dem Gesetz."

    Der Kapitolsturm bleibt für Trump wohl ohne Folgen

    Gemessen an den Gefahren für die US-Demokratie scheint der Fortgang des Putsch-Prozesses ein beinahe marginales Problem zu sein. Nach monatelanger Verzögerung war dessen Eröffnung vor der Wahl ohnehin unwahrscheinlich. Nun muss ein unteres Gericht zunächst feststellen, welche damaligen Handlungen Trumps zur Wahlmanipulation als "offizielle Handlungen" bewertet und welche Beweise zugelassen werden. Das kann Monate dauern. 

    Eine Verurteilung des Ex-Präsidenten wegen seiner Unterstützung des Kapitolsturms ist somit nahezu ausgeschlossen. In dem Richterspruch wird Trumps Einwirken auf das Justizministerium, seine Behauptung vom Wahlbetrug zu übernehmen, als offizielle Handlung bewertet. Der Druck auf Vizepräsident Mike Pence, die Beglaubigung von Bidens Wahlsieg zu verhindern, fällt zumindest teilweise "mutmaßlich" unter die Straffreiheit. Selbst Trumps Aufforderung an Parteifreunde, falsche Wahlleute zu benennen, wird vom Supreme Court nicht eindeutig dem Bereich des privaten Handelns zugewiesen.

    Richard Nixon müsste jetzt nicht mehr zurücktreten

    Dramatisch sind die Folgen des Urteils weit über den Tag hinaus. "Präsidenten unterliegen der Strafverfolgung und Bestrafung im normalen Gesetzesverlauf", hatte der amerikanische Gründervater Alexander Hamilton im 18. Jahrhundert geschrieben. Das gilt nun nicht mehr. Richard Nixon hätte 1974 nach dem Watergate-Skandal nicht aus Angst vor Strafverfolgung zurücktreten und sein Nachfolger Gerald Ford ihn nicht begnadigen müssen.

    Die 29-seitige Minderheitsmeinung von Richterin Sotomayor liest sich wie eine verzweifelte Warnung. Hypothetisch fragt sie, was künftig passiere, wenn der Präsident "ein Navy-Seal-Team beauftragt, seinen politischen Rivalen zu beseitigen" oder "einen militärischen Coup zum Machterhalt" anstiftet oder "sich für eine Begnadigung bestechen lässt". Ihre schockierende Antwort lautet: "Immun, immun, immun."

    Vor ein paar Jahren noch mögen solche Albtraumszenarien konstruiert geklungen haben. Mit dem drohenden Wahlsieg von Trump werden sie erschreckend real. Der 78-Jährige will nach eigenem Bekunden "Diktator für einen Tag" sein. Das oberste Gericht hätte dagegen offenbar keine Einwände.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden