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Wintertrend: Das macht Nachtskifahren so faszinierend

Wintertrend

Das macht Nachtskifahren so faszinierend

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    Schwarz wie die Nacht? Von wegen! In Söll laufen abends drei Lifte.
    Schwarz wie die Nacht? Von wegen! In Söll laufen abends drei Lifte. Foto: Markus Schwer

    Jeder Tag hat seine Plage. Und die Nacht ihre Lust.“ Der große Dichter muss es geahnt haben. Johann Wolfgang von Goethe war ein begnadeter Beobachter seiner Zeit. Und seiner Zeit voraus. So weit, dass man meinen könnte, Goethe habe sich nach getaner dichterischer Arbeit dem abendlichen Freizeitausgleich in den Bergen hingegeben. After-Work-Winterspaß – wäre heutzutage wohl eine korrekte Übersetzung des Goethe-Zitats. Auf geht’s zum Nachtskifahren !

    Wir stehen am Hexen-6er, ein Sechser-Sessellift am Fuße der Hohen Salve in der Skiwelt Wilder Kaiser in Tirol . Maria und Agnes biegen schwungvoll von der Piste zum Lift ein. Es ist tiefschwarze Nacht – und es ist taghell. Der Mond ist hinterm Kitzbühler Horn aufgegangen und wie riesige Abendsterne funkeln die Flutlichtstrahler über der Winterlandschaft. Die Augen von Maria und Agnes strahlen. Die jungen Frauen sind mit der Gondel von Söll heraufgekommen – jetzt geht es ab am Hexen-6er: „Es hat sich bei uns rumgesprochen, dass das cool ist.“

    Wie ist es, wenn man nachts Skifahren geht? Gleiches Skigebiet, gleiche Pisten, gleiche Lifte – und doch ist es total anders als am Tag. Die Pisten sind quasi noch perfekter: frisch präpariert, glatt gebügelt, aber noch nicht wieder hart gefroren wie am nächsten Morgen – also unglaublich griffig. Die Sicht ist besser (dass es im Winter mal neblig sein kann und sogar schneien soll, lassen wir hier außer Betracht). In Söll machen 255 Lampen die Nacht zum Tag für zehn Kilometer schnelle, helle Pisten. Es ist weiß wie die Nacht.

    Nachtskifahren: Es geht nur noch ums Skifahren

    Meist leuchten die Strahler talwärts, Skifahrer und Snowboarder haben also das Licht im Rücken. Die Erkenntnis von Benni aus Wasserburg am Inn : „Man wird durch nichts abgelenkt. Man ist einfach nur konzentriert auf den weißen Streifen, der da beleuchtet ist.“ Wer als Erster auf die makellose Piste darf, bekommt den absoluten Adrenalin-Kick: Die tausenden feinen Rillen, mit denen die Pistenraupen nach Ende des Tagskifahrens bis zum Einbruch der Dunkelheit den weißen Schneeteppich überzogen haben, erscheinen so scharf und so klar, dass man gar nicht mehr anders kann als in weiten Carvingschwüngen nach unten zu ziehen. Und wieder hat der ja durchaus alpen-bewanderte Goethe Recht: „Wo viel Licht ist, ist starker Schatten.“

    Das also ist die Faszination des Nachtskifahrens , von der Skiguide Anita Baumgartner schwärmte, als sie gefragt wurde, warum es überhaupt abends Skibetrieb gibt. Wieder fahren wir hinauf mit dem Hexen-6er … und noch einmal … und noch einmal … Jetzt geht es nur noch ums Skifahren, um den Sport, ums Wedeln, ums Carven, um die Geschwindigkeit, ja den Rausch der Geschwindigkeit. Den Ski auf die Kante stellen und auf Zug halten!

    Okay, ab und zu ein Blick auf den sanften herüberleuchtenden Mond. Aber sonst ist da nichts, was ablenken könnte. Kein blauer Himmel, keine Gipfel, kein umwerfendes Panorama, selbst die Hütteneinkehr ist kein Thema. Es gibt auch keine Massen von Skifahrern, die wie so oft tagsüber den Berg runterwuseln. Nach ein paar Liftfahrten trifft man immer dieselben Leute wieder. Ein paar Hundert dürften es sein. Alle schnaufen kurz und tief durch – und schieben sich mit den Stöcken vor zum Lift. Am Abend sind die Könner unter sich. Es wird schnell gefahren. Nightrace – wie beim Weltcup-Nachtslalom in Schladming , nur ohne die spektakuläre Kulisse von 50.000 Fans... Und es wird viel gefahren. „Drei Stunden Vollgas – die reichen völlig“, sagt Michael aus Rosenheim . Auch er schnauft.

    Von der Magie des Nachtskifahrens

    Er ist nicht zum ersten Mal hier: „Das ist einfach toll, am Abend noch Sport zu machen.“ Maria und Agnes pflichten ihm bei: „Das lässt sich nach der Arbeit gut machen.“ Eine knappe Autostunde brauchen sie für die 50 Kilometer von Rosenheim nach Söll – „ein Katzensprung“. 27 Euro kostet an der Hohen Salve die Abendkarte ab 18.30 Uhr. Es gibt sogar eine Saisonkarte. Fünf Pisten sind Mittwoch bis Samstag präpariert, für die Kinder ist der Skiparcours „Hans im Glück“ geöffnet, die Talabfahrt – und zwei Rodelbahnen – sind beleuchtet bis 22.30 Uhr. Wer wer dann noch Durchhaltevermögen hat, löscht unten in der Moonlight Bar seinen Durst beim Aprésski .

    Anita Baumgartner spricht begeistert von der Magie des Nachtskifahrens . Sie kennt sich mit dem Trend bestens aus. Die 41-Jährige ist am Wilden Kaiser, jenem markanten 22 Kilometer langen Gebirgszug östlich von Kufstein , aufgewachsen und ist heute Marketingchefin der Skiwelt Wilder Kaiser Brixental . „Die Nacht ist Söll“ titeln die Tiroler selbstbewusst. Ihr Nachtskigebiet ist das größte in Österreich . Es ist für viele Brettlfans aus Bayern gut erreichbar. Die haben längst festgestellt: Abends ist weniger Stau auf den Straßen. Von München aus pendeln regelmäßig Nachtbusse – Skiticket inklusive.

    Unterwegs Richtung Lichthof unten - und die Sichtverhältnisse sind glasklar.
    Unterwegs Richtung Lichthof unten - und die Sichtverhältnisse sind glasklar. Foto: Markus Schwer

    Von Augsburg oder von Schwaben aus bietet sich ein andere Variante an, wie sie Steffi und Andreas aus dem Vogtland ausprobieren: Anreise am Nachmittag, Nachtskifahren , Übernachtung, Tagskifahren, vielleicht noch mal Nachtskifahren . Zu der Skiwelt zwischen Scheffau, Ellmau und Going auf der einen sowie Westendorf und Brixen im Thale auf der anderen Seite gehören 90 Bergbahnen, 284 Pistenkilometer und 80 Hütten. Vor allem bei Familien will man punkten, auch der vielen blauen, also leichten Pisten wegen. Anita Baumgartner bringt es mit ihrem fröhlichen Charme auf einen Nenner: „Wir sind die großen G’mütlichen.“

    Wie die Skiwelt in Söll gewachsen ist

    Über 42 Jahre hinweg ist die Skiwelt zu dem gewachsen, was sie heute ist: ein Gemeinschaftsprojekt der neun Skiorte, der Bahnbetreiber, Touristiker, Hüttenwirte und Almbauern. Eine halbe Milliarde Euro wurde schon investiert. Zuletzt viel in Beschneiung und in eine GPS-gestützte Pistenpräparation. Das Skiwelt-Unternehmen hat über 500 eigene Mitarbeiter. Früher fristeten die Bergbauern ein karges Leben, heute sind sie in den Tourismus eingebunden – sommers wie winters: Viele sind Landwirt und Hüttenwirt in Personalunion. Und sie setzen bewusst auf Bio und regional.

    Denn auch am „Koasa“ diskutieren sie, dass sie die Balance halten müssen zwischen dem, was man verträglichen, nachhaltigen Fremdenverkehr nennt, und dem drohenden Kollaps auf Straßen und Pisten. Anreise mit der Bahn, Ski- und Wanderbusse, die vor Ort das Auto überflüssig machen, Öko-Strom aus Wasserkraft und Photovoltaik für Ortschaften und Bergbahnen – all das will man weiter forcieren. Trotzdem aber nicht jeden Trend mitmachen: Eine „Leistungs-App zur Selbstoptimierung“ braucht es nicht, sagt Baumgartner : „Die Leute kommen doch zum Urlaubmachen. Und nicht um sich mit Tempomessungen und Höhenmetern Stress zu machen.“ Die Gäste sollen vielmehr hier und da überrascht werden.

    Manchmal braucht es dazu nicht viel: Die Rundum-Aussicht von der Hohen Salve auf 70 (!) Dreitausender ist eine Wucht – im Drehrestaurant ziehen die Gipfel vorbei, während sich die Gäste Schnitzel oder Gröstl munden lassen. Wer die Geschichte der Wallfahrt auf diesem markanten Berg erkundet, spürt schnell, warum es sich hier um einen „Kraftplatz“ handelt, der die Menschen seit Jahrhunderten fasziniert. Und überraschen lassen dürfen sich die Skifahrer auch, wenn bei der Simon-Alm grüner Rauch aufsteigt. Um exakt 10.76 Uhr brauen die Saukogel- und die Jupfingerhexe über offenem Feuer ihren mystischen Zaubertrank: heißen Tee für die Kinder und likör-gespritzten „Plan B“ für die Großen.

    Das scheint wohl der einzige Nachteil am Nachtskifahren zu sein: Am Abend zuvor lag die Simon-Alm im Schatten der Dunkelheit…

    Informationen

    122 Nachtskigebiete gibt es in Österreich : Mit zehn beschneiten Pistenkilometern das größte Areal ist Söll in der Skiwelt Wilder Kaiser Brixental (www.skinacht.at). Zu den größeren zählen auch Saalbach-Hinterglemm, Nassfeld und Schladming .

    Im Allgäu gibt es den bekanntesten Abendskilauf an der Alpspitze in Nesselwang . Hier wie auch an anderen Nachtskiliften, etwa Fischen oder Thalkirchdorf, leiden die Betreiber heuer aber unter Schneemangel.

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