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Leben auf dem Campingplatz: Reise durch Südeuropa

Reise

Liebe deinen Nächsten: So ist das Leben auf dem Campingplatz

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    Ganz schön eng auf dem Platz in Sardinien.
    Ganz schön eng auf dem Platz in Sardinien. Foto: Andreas Kornes

    Wie einsteigen in einen Text, der doch eigentlich vom Aussteigen handelt? Zumindest haftet dem Campen immer noch dieser Ruf an. Raus aus dem Alltag, rein in die Wildnis. Die Realität könnte kaum weiter davon entfernt sein. Also stellen wir an den Anfang die Eckdaten: zwei Monate, ein VW-Bus, 22 Campingplätze. Eine Reise durch das früh- und dann schnell hochsommerliche Südeuropa, vor allem aber durch die Besonderheiten und all die liebenswerten kleinen Absurditäten des Camperlebens. Über brüllende Kinderhorden, die in Südspanien gegen Mitternacht den Spielplatz stürmen. Über Ameisenstraßen, die im Kühlschrank enden. Oder den netten Portugiesen, der seine Fische ausnimmt, dann über einem Feuer aus Pinienzapfen brät, den halben Platz einnebelt und im Fernsehen die portugiesische Variante des Musikantenstadels schaut.

    Da gibt es Menschen, die vor die Anhängerkupplung ihres Autos sicherheitshalber eine rot-weiße Pylone stellen. Auf dem zugehörigen Wohnwagen klebt der Spruch: Den Alltag hinter sich lassen und doch zu Hause sein. Wie wahr. Demgegenüber stehen weit im Süden vielköpfige Familienverbände, die sich jeden Abend wieder zum gemeinsamen Essen treffen und begrüßen, als hätte man sich seit Jahren nicht gesehen.

    Die Enge eines Campingplatzes lässt den Alltag des Nachbarn zum 24-Stunden-Live-Event werden. Da wird gehustet, geschnarcht, geliebt, geschimpft, gelacht. Und jeder hört mit. Alle wissen Bescheid. Wer morgens das Bett verlässt, steht sofort mitten im prallen Leben. Links wechselt die junge Mutter die Windel des kleinen Jose (der vergangene Nacht ein paar Mal ziemlich schlecht gelaunt war), schräg gegenüber raucht die herb gebräunte Britin mit dem gleichsam ledrigen Gatten die erste Selbstgedrehte des Tages. Ein raues Good Morning schmirgelt sich den Weg nach oben. Das muss er sein, der Ruf der Wildnis.

    Diese Camper-Typen trifft man länderübergreifend

    Doch wer ein bisschen genauer hinsieht, entdeckt neben all dem Besonderen auch Wiederkehrendes. Camper-Typen, die man länderübergreifend trifft. Das gerade erwähnte Pärchen von der Insel etwa ist ein Paradebeispiel für all die Ordnungsliebenden. Vor dem Wohnwagen fegen sie regelmäßig den Untergrund, um darauf dann eine ebenso gründlich gereinigte Plastikplane zu legen. Auf ihr drapieren sie Stühle, Esstisch, ein kleines Tischchen mit Leseutensilien, Aschenbecher und Lampe, einen Blumentopf und Fußabtreter. Der Handstaubsauger liegt griffbereit, ebenso der Laubbläser, der auch auf Campingplätzen seinen unheilvollen Siegeszug angetreten hat.

    Eine selten gewordene Spezies: der Minimalist.
    Eine selten gewordene Spezies: der Minimalist. Foto: Andreas Kornes

    Diametral entgegen stehen dem die Minimalisten. Diese Untergruppe ist maximal mobil und zeichnet sich durch die fast völlige Abwesenheit von Luxus aus. Zelt, Schlafsack, drei Unterhosen, zwei T-Shirts, Gaskocher, Topf – fertig. Nichts, was nicht in einen Rucksack passen würde.

    Doch diese scheue Gattung ist selten geworden. Verdrängt von all dem Großen und Glitzernden. Denn am anderen Ende der Nahrungskette steht der Gigantocamper. In manchen dieser Wohnmobile, gerne Doppelachser, könnten gut und gerne drei handelsübliche VW-Busse hintereinander einparken. Loungebereich, Dusche, Toilette, Schlafgemächer I bis III – alles ist hier ein bisschen größer, schicker. Man erzählt sich gar von Whirlpools, die gesichtet worden seien.

    Dutzende Sensoren an allen Ecken piepsen hektisch

    Das dürfte dann aber doch eher eine Fabel sein. Oder nicht? Sicher ist, dass all die Größe zu Lasten der Manövrierfähigkeit geht, die der eines Öltankers ähnelt. Wer das Einrangieren eines solchen Ungetüms beobachtet, sieht schwitzende Fahrer (eher selten Fahrerinnen) und hektisch fuchtelnde Beifahrerinnen (eher selten Beifahrer). Dutzende Sensoren an allen Ecken piepsen hektisch und treiben den Blutdruck aller Beteiligten noch weiter in die Höhe. Welch Schauspiel.

    Endlich Weite: Unser Kollege Andreas Kornes und seine Tochter bei ihrem Camping-Abenteuer.
    Endlich Weite: Unser Kollege Andreas Kornes und seine Tochter bei ihrem Camping-Abenteuer. Foto: Kornes

    Die Kosten für solche Gefährte sind sehr schnell sehr sechsstellig. Komfortables Camping liegt dennoch voll im Trend. Alles rund ums Thema ist teuer und extrem nachgefragt. Die Herstellerfirmen kommen kaum noch mit der Lieferung hinterher. Auch deshalb sind Heimwerker-Typen klar im Vorteil. Zwischen all den schicken Wohnmobilen und multifunktionalen Campingbussen stehen immer wieder die selbst aus- und umgebauten Kastenwägen. Hier noch ein Fach, dort noch ein Haken. Oft liebevoll gestaltet, ein jeder ein Unikat.

    Vor allem der, der uns in Portugal über den Weg gefahren ist. Zusammen gehalten von Klebeband bestach das Gefährt durch eine Tür auf der Rückseite, die ganz offensichtlich einer mobilen Baustellentoilette entnommen worden war. Oder aber Herbert und Markus. Die beiden Rheinländer um die 50, lichtes Haupthaar, Brille, Sonnenhut mit Nackenschutz, haben einen ehemaligen Feuerwehr-Unimog umgebaut. Solarzellen auf dem Dach. 100 Liter Wassertank. Allrad. Luftansaugrohr. Jeder Startvorgang verdunkelt die Sonne. Herbert und Markus sind auf dem Weg nach Marokko. Im Atlasgebirge gäbe es noch ein paar Ecken zu entdecken, erzählen sie. Echte Abenteurer eben. Nur auf Putin sind sie nicht ganz so gut zu sprechen, denn die Benzinpreise seien momentan dann doch ein bisschen hoch. Ihr Gefährt schluckt rund 18 Liter, bergauf gerne das Doppelte.

    Endlich abhängen. Siesta unter Pinienbäumen.
    Endlich abhängen. Siesta unter Pinienbäumen. Foto: Kornes

    Als diese Zeilen geschrieben werden, ist es 23.25 Uhr. Die Luft in der Nähe von Montpellier hat sich auf angenehme 26 Grad abgekühlt. Vom Pool her wummert ein Bass über den Campingplatz, der hier Club heißt. Es schläft noch niemand. Am Nachmittag stand Schaumparty auf dem Programm. DJ, riesige Schaumkanone und Kinder, die minutenlang in dem meterhohen Chemiezeugs verschwanden.

    Mit dem kleinen Campingplatz in einem andalusischen Pinienwäldchen von vor drei Wochen hat diese gigantische Anlage nichts gemeinsam. Kostet auch das Vierfache. Dafür gibt es jede Menge klimatisierte Mobile Homes mit Privatpool, drei Badelandschaften, Rutschen, Spa-Bereich, direkter Strandzugang inklusive Einlasskontrolle, Weinproben, Bauch-Beine-Po-Kurse im klimatisierten 500-Quadratmeter-Gym und den gemeinsamen Club-Sonnentanz um 12 Uhr mittags. Camping im Sommer 2022 bietet eine beeindruckende Palette an Möglichkeiten. Für tatsächlich jeden Geschmack findet sich ein Plätzchen.

    Wenn nun die Camper auch in Bayern losrollen...

    Wenn nun in Bayern die Sommerferien beginnen, rollen endlich auch die Camper aus dem Freistaat los. Darunter all die Logistik-Experten, wie jene Familie aus NRW, die es ins südspanische Tarifa verschlagen hatte. Schwangere Frau, Vater, drei Söhne im schulpflichtigen Alter. Drei Tage dauerte die Anreise mit dem Wohnmobil plus Anhänger. Dann das Küchenzelt und ein Iglu aufbauen, das Schlauchboot aufpumpen, Außenborder montieren, die Surfbretter sauber stapeln, Ausrüstung und Kinder gleichmäßig auf die Schlafstätten verteilen. Urlaub. Endlich.

    Halt, eines fehlt noch. Die Lichtergirlande. Wer des Nächtens über einen schlafenden Campingplatz läuft, könnte sich neuerdings an Weihnachten erinnert fühlen. So sehr blinkt und leuchtet es allenthalben.

    Wäre da nicht das Rauschen des Meeres und die stickige Hitze im VW-Bus. Campen ist toll. Und auch noch immer ein kleines bisschen aussteigen aus dem Alltag. Denn was kann es schöneres geben, als in der Mittagshitze vor dem VW-Bus im Schatten zu sitzen und eine Wassermelone aufzuschneiden? Nichts. Außer der kleine Jose hat mal wieder die Windel voll.

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