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Interview: Würden wir Wintersportler akzeptieren, dass eine Saison komplett ausfällt?

Interview

Würden wir Wintersportler akzeptieren, dass eine Saison komplett ausfällt?

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    Oben angekommen: auf dem Riedberger Horn.
Das Skigebiet wird ebenfalls im Buch "Schneelust" vorgestellt.
    Oben angekommen: auf dem Riedberger Horn. Das Skigebiet wird ebenfalls im Buch "Schneelust" vorgestellt. Foto: Polyglott_stock.adobe.com

    Sie haben mit "Schneelust" ein Buch herausgegeben, in dem Sie nachhaltige Skigebiete vorstellen. Aber Nachhaltigkeit im Skigebiet, ist das nicht ein Widerspruch in sich?
    ANDREAS LESTI: Das dachten wir, die sechs Autorinnen/Autoren und ich, zuerst auch. Aber dann prüften wir dutzende Wintersportregionen in den Alpen und darüber hinaus, sprachen mit unabhängigen Nachhaltigkeitsforschern, Umweltaktivisten, Klimatologen und Verkehrsexperten. Es war zum Teil mühsam: Wir stießen auf Abneigung und Vortäuschung, aber auch auf Begeisterung. Manche Gebiete ignorierten unsere Anfragen, andere versuchten uns mit Greenwashing zu überzeugen oder sagten ganz offen ab. Einem Bergbahnchef im Allgäu, dessen Skigebiet auf unserer zunächst langen Liste stand, weil wir dachten, es könnte zu „Schneelust“ passen, erläuterte ich am Telefon das Konzept. ,Bitte lasst uns da raus', hat er gesagt, bei ihnen geht's schließlich um Arbeitsplätze. Weitsicht sieht anders aus. 

    Andreas Lesti
    Andreas Lesti Foto: Jan Zappner

    Gibt es denn ein besonders vorbildliches Skigebiet. Und was machen die anders als andere?
    LESTI: Ins Buch haben es am Ende 30 Gebiete geschafft. Und ich muss sagen: Die machen das schon alle ganz gut. Mein Lieblingsbeispiel ist das kleine Skigebiet im Safiental in Graubünden. Es ist per Bahn und Bus erreichbar, wird nicht künstlich beschneit und auf den Drahtseilen des Lifts sind 246 Solarpaneele befestigt, die zwölfmal mehr Energie generieren, als der Lift benötigt. Viel nachhaltiger geht’s nicht. 

    Die weißen, künstlich beschneiten Schneebänder, die sich über bräunliche Berghänge hinunterziehen, stehen jedes Jahr aufs Neue in der Kritik. Sollte man nur Skifahren, wenn es auch ausreichend geschneit hat?
    LESTI: Wir haben im Buch ja schon auch einige große Skigebiete, die ohne Kunstschnee nicht funktionieren würden. Garmisch-Partenkirchen, Leogang oder Laax etwa. Die haben wir mit aufgenommen, weil das Gesamtpaket aus Anreise und Unterkünften passt und weil dort bedacht und mit erneuerbaren Energien beschneit wird. Aber es stimmt natürlich: Dieser Zwang, schon im Oktober in Sölden mit dem Skiweltcup zu beginnen und Ende November in die Saison zu starten, ist irrsinnig und umweltschädlich. Vergangenes Jahr hatte es im Dezember 20 Grad plus, da wäre man mit einer Wander- oder Mountainbiketour besser beraten gewesen. 

    Wegen der Klimaerwärmung müssen die Skigebiete immer weiter aufrüsten. Noch mehr Schneekanonen, noch größere Speicherseen. Ist diese Spirale noch gerechtfertigt?
    LESTI: Nein, ist sie nicht. In der Ski-Arlberg-Region haben sie 1080 Schneekanonen, die 73 Prozent der 300 Pistenkilometer technisch beschneien. Wenn alle voll laufen, so haben wir errechnet, erzeugen sie in 100 Stunden eine bis zu 50 Zentimeter dicke Schneeschicht und brauchen 6,6 Gigawattstunden Energie. Diese Dimensionen sollte man reduzieren. Aber es ist, auch das hat die Recherche für „Schneelust“ gezeigt, gar nicht so einfach, einen Mittelweg zu finden. Wenn man nun gar nicht mehr beschneien würde, dann fiele auch die Planbarkeit eines Skiurlaubs weg. 

    Welche Konsequenzen hätte das?
    LESTI: Es stellen sich dann folgende Fragen: Können wir Wintersportler akzeptieren, dass wir erst im Januar/Februar Skifahren gehen – oder im April, wenn in den hohen Lagen meist noch viel Schnee liegt, es aber viele schon wieder an den Gardasee zieht? Oder auch, dass eine Saison komplett ausfällt? So wie im vergangenen Winter am Wendelstein, der auch im Buch vertreten ist. Und auch im höher gelegenen Safiental in Graubünden kamen sie nur auf 19 Betriebstage. Kein Wunder, dass unter 1500 Meter immer mehr Skigebiete aufgegeben werden, sogenannte Lost Ski Area Projects. Auch das gehört zum neuen Bild der Alpen. 

    Worin besteht der dringendste Handlungsbedarf in Skigebieten, um mehr Nachhaltigkeit zu erzielen? Wie muss man den technischen Schnee bewerten?
    LESTI: Vorhandene Infrastruktur verbessern, alternative Energien nutzen, das Angebot verbreitern. Also sich nicht nur auf Alpinskifahren konzentrieren, sondern auch Alternativen anzubieten, die bei wenig Schnee funktionieren: Winterwandern oder -radfahren, wie etwa in Seefeld oder auf dem Mieminger Plateau. Auch beim technischen Schnee muss man genau hinschauen. An der Zugspitze soll nun die Beschneiung verringert werden, ohne dass dabei die Pistensicherheit verloren geht. Ein guter Ansatz. Der Strom für die Beschneiung kommt in einigen Gebieten bereits aus Wasser-, Wind- und Photovoltaik-Energie, viele Pistenraupen fahren bereits mit GPS und HVO. Das eine misst die vorhandene Schneehöhen exakt und reduziert damit die Kunstschneeproduktion. HVO ist ein pflanzenbasierter Treibstoff, der gegenüber herkömmlichem Diesel 90 Prozent weniger CO2 verursacht. Aber das kann alles noch viel besser werden. Zumindest passiert gerade viel und unser Buch ist eine Momentaufnahme von einer Branche, die sich in einem nie dagewesenen Wandel befindet. Ein Experte hat mir erzählt, dass gerade die deutschsprachigen Regionen in einigen Jahren nachhaltige Vorzeigeskigebiete sein werden. Man wird sehen. 

    Im Januar dieses Jahres sah es in vielen Skigebieten eher grün als weiß aus.
    Im Januar dieses Jahres sah es in vielen Skigebieten eher grün als weiß aus. Foto: Sven Hoppe/ dpa

    Was können die Skifahrer und Skifahrerinnen tun für mehr Nachhaltigkeit?
    LESTI: Ein nachhaltiger Skiurlaub fängt bei der Anreise an, die bis zu 80 Prozent des CO2-Fußabdrucks hinterlässt. Wer mit dem Zug nach Garmisch, ins Allgäu oder nach St. Anton fährt und dort die Bergbahnen der großen Skigebiete nutzt, ist nachhaltiger unterwegs als jemand, der allein in seinem Diesel-VW-Bus in ein entlegenes Tal zur Skitour fährt. Vor Ort sollte man sich dann noch viele weitere Fragen stellen: Wird künstlich beschneit und wenn ja wie? Mit welcher Energie fährt die Bergbahn? Wohne ich im riesigen Wellnesshotel oder in einer kleinen Berghütte? Ernähre ich mich vegetarisch-regional oder von Discounter-Rindfleisch? Und wo kommt eigentlich mein Skianzug her? Aus Bangladesch? Es ist eine wirklich komplexe Gesamtrechnung. Aber als leidenschaftlicher Skifahrer glaube ich, dass es sich lohnt, diese Gedanken zu machen – weil man dann auch guten Gewissens weiterhin Spaß im Winterurlaub haben kann. 

    Zur Person

    Andreas Lesti wurde 1975 in Augsburg geboren. Er ist Autor, Journalist und Germanist und lebt seit mehreren Jahren fernab der Berge in Berlin. Seine journalistische Karriere begann er bei der Augsburger Allgemeinen. Mittlerweile arbeitet er für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und die Neue Zürcher Zeitung. Sein thematischer Schwerpunkt sind die Alpen. Für seine Reisereportagen erhielt er mehrere Preise, etwa den "Columbus-Autorenpreis" oder den "Berg.Welten-Preis". In seinem aktuellen Buch "Schneelust" stellt er als Herausgeber 30 Skigebiete in Europa vor, die nachhaltig handeln. Graefe&Unzer, 192 Seiten, 29 Euro

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