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Rio de Janeiro: Ein Jahr nach Olympia: Die geplatzten Träume von Rio

Rio de Janeiro

Ein Jahr nach Olympia: Die geplatzten Träume von Rio

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    Das Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro: Hier wurde Deutschland 2014 Fußball-Weltmeister, hier wurden vor einem Jahr die Olympischen Spiele eröffnet.
    Das Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro: Hier wurde Deutschland 2014 Fußball-Weltmeister, hier wurden vor einem Jahr die Olympischen Spiele eröffnet. Foto: VANDERLEI ALMEIDA, afp

    Den Preis für den brasilianischen Größenwahn zahlen jetzt auch die Fans von Flamengo: „WM und Olympia haben uns das Maracanã-Stadion genommen“, sagt Felipe Rizzeto verbittert. Der 37 Jahre alte Zeitungsverkäufer ist begeisterter „Flamenguista“, wie sich die Fans des populärsten Fußballklubs in Rio de Janeiro, ja in ganz Brasilien, nennen. An Rizzetos Kioskwand ist der tägliche Wahnsinn aus der Olympiastadt zu sehen. Die Titelseiten, die vor einem Jahr noch Jamaika-Sprinter Usain Bolt oder US-Schwimmer Michael Phelps dominierten, zeigen nun Bilder von Überfällen und unschuldigen Opfern von Schießereien.

    Rund 316 Millionen Euro hat offiziellen Angaben zufolge der Umbau und die Modernisierung des berühmtesten Stadions in Südamerika gekostet. Rizzeto schüttelt den Kopf, wenn er die Berichte über Stadionmieten und Außenstände in seinen Zeitungen liest. „Das kann doch keiner mehr bezahlen.“ So weit dachte Brasiliens Ex-Präsident Lula da Silva wohl nicht, als er die Events einst ins Land holte. Anfang des Jahrtausends flog der Ölpreis in höchste Sphären, genauso wie Lulas Träume, die Nation könnte zur nächsten Supermacht aufsteigen. Doch statt in die marode Infrastruktur seines Landes zu investierten, ließ er sündhaft teure Stadien bauen.

    Rio: Der Rasen ist vertrocknet, die Sitze wurden abmontiert

    Flamengo spielt kaum noch in der riesigen Maracanã-Arena mit ihren gigantischen vier Videoleinwänden und dem extrahellen Licht, das für Fernseh-Übertragungen in HD-Qualität nötig ist. Seit ein paar Monaten kickt der Klub im „Estádio da Ilha do Urubu“ – einem Stadion aus den 60er Jahren, das nur an einer Seite überdacht ist und auf 20.000 Plätze erweitert werden musste. Die Stadionmiete im Maracanã ist so hoch, dass der Klub sie sich nicht leisten kann. Die Folge: Seit Monaten ist die legendäre Arena, in der Deutschland 2014 Fußball-Weltmeister wurde, geschlossen. Der Rasen ist vertrocknet, tausende Sitze wurden abmontiert.

    Ein Jahr ist es her, dass die Olympischen Spiele in Rio eröffnet wurden. Ein Jahr, in dem ein Traum für Brasilien zerplatzt ist. Das Maracanã gammelt vor sich hin. Der Olympiapark ist nur am Wochenende geöffnet, Besucher sieht man aber auch dann kaum. Die meisten Sportstadien stehen leer. Für wenige gibt es Pläne: Die Halle Carioca 1 soll in eine Schule umgewandelt werden, aus dem Material der Future Arena, wo die Handballer um Gold kämpften, sollen irgendwann zwei Schulen gebaut werden. Das Becken aus der olympischen Schwimmarena, wo Michael Phelps seine Bilanz auf 23 olympische Goldmedaillen hochschraubte, kommt in ein neues Leistungszentrum in der Amazonas-Metropole Manaus. Was aber wird aus dem Radstadion in Rio? Was aus dem Olympia-Golfplatz, wo es doch zwei Anlagen in Rio gibt und die Regierung, die nun die Verantwortung für die Anlagen übernimmt, kein Geld hat?

    Was hat Olympia gebracht? Auf jeden Fall die Rückkehr der Gewalt

    Mario Andrada will das nicht so stehen lassen. Vor einem Jahr wurde der Sprecher des Organisationskomitees zum Krisenmanager. Er musste der Weltpresse erklären, warum Schüsse im Pressezentrum der Reitwettbewerbe eingeschlagen sind; warum sich ein Pool der Wasserspringer plötzlich grün gefärbt hat und warum im olympischen Dorf die Klos verstopft sind. Die Spiele haben auch etwas gebracht, betont Andrada und zählt auf: die neue U-Bahn-Strecke in den Vorort Barra, die jeden Tag zehntausenden Menschen viel Zeit in Staus erspart, das neue schicke Hafenviertel mit dem Museu do Amanha, das sich mit den Herausforderungen wie dem Klimawandel auseinandersetzt.

    Alles in allem haben die Spiele neben 2,4 Milliarden Euro an Organisationskosten rund 10,8 Milliarden Euro für Stadien und den Ausbau der Infrastruktur verschlungen. Der Bundesstaat Rio steht am Rande der Pleite; es wird gespart, auch im Sicherheitsbereich. Und dann ist da die Gewalt: Über 90 Polizisten wurden in diesem Jahr bereits erschossen, Banden wie das rote Kommando haben die Macht in den Favelas zurückerobert. An der Copacabana werden regelmäßig Touristen überfallen. Die Zahl der Hotelbetten wurde in Rio massiv ausgebaut, aber die Auslastung liegt nach Angaben der Tourismusbehörde nicht einmal bei 50 Prozent.

    Dabei wollte Rio den Erfolg von Barcelona 1992 kopieren – mit heiteren Spielen und großartigen Bildern einen Tourismusboom auslösen. Das Gegenteil ist eingetreten, die Spiele fanden statt, als Brasilien schon am Stock ging. „Die Krise hat es den Bewohnern nicht leicht gemacht, sich so zu begeistern, wie wir es erhofft hatten“, sagt Komiteesprecher Andara.

    Der Weltfußballverband und das Internationale Olympische Komitee (IOC) haben Rio längst den Rücken gekehrt, ebenso zahlreiche Nicht-Regierungsorganisationen. Gleich neben dem Maracanã steht das Museum für indigene Kultur. Damals, als es wegen des Maracanã-Umbaus einem Parkplatz weichen sollte, starteten sie publikumswirksame Aktionen, um das Museum zu retten. Die Bilder von einer Straßenschlacht gingen um die Welt. Jetzt verschimmelt die Bausubstanz, das Ungeziefer krabbelt durch das baufällige Haus. Und auch die selbst ernannten Retter haben das Interesse verloren, seit Brasilien aus dem weltweiten medialen Fokus verschwunden ist.

    Eine der wenigen Organisationen, die noch da sind, ist Adveniat. Mit dem Deutschen Olympischen Sportbund finanziert das Lateinamerika-Hilfswerk weiterhin Projekte weiter. Und das ist bitter nötig, sagt Adveniat-Sprecher Christian Frevel: „Inzwischen ist Rio in Teilen sogar hinter die bettelarme Nordzone des Landes zurückgefallen. Die Menschen leiden enorm unter den Folgen der Korruption.“

    Wer nun schuld ist an der Misere, darüber lässt sich trefflich streiten. Das IOC, das offenbar über keinerlei funktionierende Kontrollmechanismen verfügte, um ein durch und durch korruptes politisches System zu überwachen? Allein der inzwischen wegen Korruption inhaftierte und zu mehrjähriger Gefängnisstrafe verurteilte Ex-Gouverneur Sergio Cabral hat umgerechnet 70 Millionen Euro unterschlagen. Er war ein langjähriger Weggefährte der inzwischen wegen haushaltspolitischer Tricks abgesetzten Ex-Präsidentin Dilma Rousseff. Ihr Nachfolger, der amtierende Präsident Michel Temer, steht unter Korruptionsverdacht und kann sich derzeit nur im Amt halten, weil das Parlament am Mittwoch einen Korruptionsprozess gegen ihn verhindert hat.

    Der Baukonzern hat die Politiker geschmiert

    Eine Straße im Olympiadorf von Rio de Janeiro, Brasilien. Hier stehen über 3000 Apartments zum Verkauf, der Verkauf verläuft aber schleppend.
    Eine Straße im Olympiadorf von Rio de Janeiro, Brasilien. Hier stehen über 3000 Apartments zum Verkauf, der Verkauf verläuft aber schleppend. Foto: Georg Ismar, dpa

    Und dann ist da noch der Baukonzern Odebrecht, der Politiker aller Lager mit Schmiergeldern versorgt hat, um an Bauaufträge zu kommen – und dann überteuerte Rechnungen ausstellte. Nun will Odebrecht wegen milliardenschwerer Vergleiche sparen und unter anderem das Maracanã loswerden. Vorher aber, sagt der Konzern, müssten die Schäden behoben werden, die durch die Eröffnungs- und Schlussfeier entstanden seien. „Wir haben das Maracanã nicht zerstört“, entgegnet Komitee-Sprecher Andara. Auch das olympische Dorf hat Odebrecht mitgebaut. Von den über 3000 Wohnungen in den Hochhausblöcken sind erst ein paar hundert verkauft. Das Dorf droht eine Geistersiedlung zu werden.

    Die Rechnung für all das bezahlen nun die Cariocas. Die Drogengangs sind längst in die Viertel zurückgekehrt, aus denen sie vor Olympia vertrieben wurden. Die Gründer der populären App OTT („Wo gibt es eine Schießerei?“), die vor Gewaltakten warnt, dokumentieren den täglichen Horror auf Rios Straßen: Mehr als 2200 Schießereien gab es seit Jahresbeginn. „Die Gewalt ist beängstigend“, sagt App-Gründer Marcos Vinicius Baptista. „Es scheint, als wäre der Krieg neu ausgebrochen.“ Allein in den letzten vier Wochen stiegen die Nutzerzahlen um ein Fünftel auf 250.000.

    Das Defizit, das die Spiele hinterlassen haben, beläuft sich nach Angaben des Organisationskomitees auf gut 30 Millionen Euro. Sogar das Militär berechne jeden Tag rund 270 Euro Strafe – wegen angeblicher Schäden in der Schießsportanlage auf einem Militärgelände. Dabei habe man die Schießanlage ja erst für Olympia gebaut, sagt Andara.

    Felipe Rizzeto, der Zeitungsverkäufer an der Copacabana, hat da eine Idee: „Vielleicht sollten die mal bei Ex-Gouverneur Cabral nachfragen.“ Allein er hat mehr als das Doppelte des Defizits in die eigene Tasche gewirtschaftet. mit dpa

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