Das Spiel gegen England hat exemplarisch gezeigt, woran es dem deutschen Spiel über weite Teile der Europameisterschaft gefehlt hat. Niemals war dem Team ein Vorwurf bezüglich der Einsatzbereitschaft zu machen. Im Gegenteil: Für Antonio Rüdigers Entwicklung wäre es mitunter besser, körperliches Engagement zu drosseln, um in entscheidenden Szenen ganz Herr seiner Sinne zu sein und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Die Gründe für das Aus im Achtelfinale liegen aber nicht in einigen wilden Ausritten eines Innenverteidigers in die gegnerische Hälfe begründet. Viel markanter waren andere Versäumnisse:
Formschwäche Kai Havertz hat das entscheidende Tor im Champions-League-Finale erzielt – und seine Form anschließend noch verbessert. All die anderen Offensivspieler aber kamen nicht einmal ansatzweise an ihr Leistungspotenzial heran. Thomas Müller blieb auch in seinen EM-Spielen zwölf bis 15 ohne Treffer. Seine Leistung gegen England war schon vor seiner vergebenen Großchance übersichtlich. Leroy Sané wurde gegen Ungarn von den eigenen Fans ausgepfiffen. Serge Gnabry wollte in jedem Spiel ein Tor schießen. Es ist kein einziges geworden und der schnelle Timo Werner tat wenig, um sich für einen Stammplatz zu empfehlen. Ohne starke Individualleistungen ist es kaum möglich, weit zu kommen.
Das Land der Vorstopper hat Probleme in der Verteidigung
Defensive Stabilität An ihr wurde im Vorfeld der EM verstärkt gearbeitet. Nach vier EM-Spielen stehen sieben Gegentore. In den vergangenen acht Turnierpartien (EM und WM) gerieten die Deutschen mit 0:1 in Rückstand. Der Abwehrverbund konnte nach der kurzen Vorbereitung nicht perfekt aufeinander abgestimmt sein. Dass aber das Land der Schwarzenbecks, Försters und Kohlers über Kompromisslosigkeit im hinteren Bereich diskutieren würde, war so vor einiger Zeit nicht abzusehen. Immerhin sorgte Mats Hummels mit seiner Grätsche gegen Harry Kane für die schönste Defensivaktion des Turniers.
Standardsituationen Gegen die Engländer machten sich die Deutschen einen Spaß daraus, ihren Trainer zu ärgern. Immerhin hatte Joachim Löw vor den starken Freistößen des Gegners gewarnt. Ginter, Rüdiger und Goretzka fällten aber mit Wonne vor dem Strafraum englische Beine. Immerhin stimmte diesmal in der Defensive die Abstimmung bei Standardsituationen. In der Offensive aber blieben die Deutschen abermals harmlos. Diesmal waren es Müller und Havertz, die beste Freistoßmöglichkeiten vergaben. Gegen Frankreich vergab noch Toni Kroos hervorragende Chancen. Das hat auch schon mal besser geklappt. Fehlende defensive Stärke und Schwächen bei Standardsituationen – die deutsche Nationalmannschaft hat sich sehr gewandelt in den vergangenen Jahren.