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Interview: „Ich war nicht immer so locker“

Interview

„Ich war nicht immer so locker“

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    Martina Voss-Tecklenburg hat Anfang des Jahres die deutsche Nationalmannschaft übernommen. Den Titel will sie bei der WM in Frankreich nicht als Ziel ausgeben – zu den Mannschaften, die den Titel gewinnen können, zählt sie ihr Team aber schon.
    Martina Voss-Tecklenburg hat Anfang des Jahres die deutsche Nationalmannschaft übernommen. Den Titel will sie bei der WM in Frankreich nicht als Ziel ausgeben – zu den Mannschaften, die den Titel gewinnen können, zählt sie ihr Team aber schon. Foto: Armin Weigel, dpa

    In dem Werbespot der Frauen-Nationalmannschaft halten Sie entspannt das Kaffeeservice, das es 1989 nach dem ersten EM-Titel als Prämie gab. Haben Sie das Set noch?

    Ja, das wird bei uns tagtäglich benutzt. Hermann (Ehemann Hermann Tecklenburg, Anm. d. Red.) nimmt das immer aus dem Schrank.

    Dann war diese oft verspottete Würdigung seitens des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) doch werthaltiger als gedacht, wenn es immer noch seinen Zweck erfüllt?

    Ich empfinde es so. Es war auch mein erster Titel mit der Nationalmannschaft und das ist meine Erinnerung daran. Mein Service ist leider total unvollständig, denn ein Teil steht in Köln, ein Teil in Dortmund im Fußballmuseum und ein Teil war wohl mal in Nürnberg. Aber es ist trotzdem im Alltag im Hause Voss-Tecklenburg gut integriert (lacht).

    Der betreffende Clip hat siebenstellige Zugriffszahlen in den sozialen Netzwerken. Was haben Sie bei der Passage gedacht, in der es über die DFB-Frauen heißt: „Wir haben keine Eier – wir, wir haben Pferdeschwänze“?

    Wir saßen im Februar zusammen, als Uwe Hellmann (Leiter Brand Management Commerzbank, Anm. d. Red.) uns das Skript vorgestellt hat und wissen wollte: ‚Könnt ihr das mitgehen?’ Dieser Satz war mir ehrlich gesagt lange gar nicht mehr präsent, bis ich dann schließlich im Mai das Ergebnis gesehen habe. Da dachte ich nur: „Wow!’ Und je häufiger ich es mir ansah, konnte ich sagen: ‚Ja, das sind wir’.

    Hilft denn so ein selbstironischer Ansatz, um dauerhaft die Akzeptanz zu erhöhen? Man nimmt sich ja erst einmal sehr zurück, wenn man selbst behauptet, die Nation kennt unsere Namen nicht.

    Das ist nur die Einleitung. Aus dem Zusammenhang wird deutlich, dass einfach anerkannt werden soll, dass wir Fußball spielen. Und wer eine Nation vertritt, erwartet auch, unabhängig von der Sportart unterstützt zu werden.

    Nationaltorhüterin Almuth Schult hat die mangelnde Rückendeckung in vielen Bereichen beklagt. War ihre Kardinalkritik also richtig?

    Ich fand es bemerkenswert, dass Almuth als meinungsstarke Spielerin ihre Haltung vertritt. Wenn die Spielerinnen etwas so empfinden, muss man das ja hinterfragen. Ich möchte nur eine differenzierte Betrachtung. Im Vergleich zu anderen Sportarten haben wir in unserem Verband sehr viel Support.

    In Norwegen haben die Spielerinnen dieselbe Prämie wie die Männer verlangt, in den USA tobt deswegen sogar ein juristischer Streit.

    Wenn wir das aber auf Deutschland übertragen, würden wir Äpfel mit Birnen vergleichen. Die US-Spielerinnen schließen Verträge mit dem Verband, das ist also eine völlig andere Struktur. In Skandinavien ist es grundsätzlich eine andere Situation, was Themen wie die Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft angeht.

    Ist denn die Frauen-WM nicht wieder Kampf um Gleichberechtigung? Das erste Gruppenspiel gegen China (8. Juni) ihrer Nationalmannschaft war ursprünglich mal für 21 Uhr angesetzt. Am selben Abend bestreitet nun aber die Männer-Nationalmannschaft ihr EM-Qualifikationsspiel in Weißrussland.

    Aber nicht, weil unsere Männer am selben Tag spielen! Die Fifa hat noch am selben Abend nach der Auslosung gesagt, dass sie die Verlegung wegen des asiatischen Markts möchte, sonst würde das Spiel in China mitten in der Nacht laufen. Dieser Anstoß kam nicht von uns.

    Könnten Sie sich denn vorstellen, die erste Trainerin im deutschen Profifußball, vielleicht sogar in der ersten oder zweiten Liga, zu werden?

    Im Moment ist das gar kein Thema für mich. Aktuell wünsche ich mir, dass ich längerfristig beim DFB arbeiten kann. Vielleicht läuft es ja jetzt so gut, dass es schon mein letzter Job ist (lacht).

    Ihre Spielerinnen äußern sich alle lobend über Sie. Wie würden Sie sich denn beschreiben?

    Es gibt sicher Attribute, die bei meiner Person immer wieder genannt werden, die sich in den Charaktereigenschaften abbilden. Das eine ist: empathisch, ehrgeizig, emotional, konkret und sachlich in der Ansage. Das andere ist, dass wir offen und humorvoll miteinander umgehen und uns auch mal den einen oder anderen Spruch geben.

    Sie werden als ehrgeizig und ernsthaft, gleichzeitig offen und locker eingeschätzt. Bringen Sie vielleicht die positiven Eigenschaften von Silvia Neid und Steffi Jones zusammen?

    Da habe ich noch gar nicht drüber nachgedacht. Aber wenn es so sein sollte, ist es doch schön. Ich bin nicht Silvia und nicht Steffi. Aber bei Silvia mit ihrem großen Erfahrungsschatz frage ich schon mal nach, weil sie sich als Scouting-Leiterin im Verband mit unserem ersten Gruppengegner China in der sportlichen Analyse beschäftigt hat. Steffi schätze ich als Mensch sehr, weil wir uns als Spielerin ein Zimmer geteilt hatten. Als Trainerin bin ich meinen eigenen Weg gegangen. Ich trage heute einen anderen Rucksack mit Erfahrungen als vor zehn Jahren. Ich war auch nicht immer so locker, sondern viel verbissener. Ich habe nur gespürt, dass es den Spielerinnen nicht hilft. Es ist mir heute noch unangenehm, wie ich damals in Duisburg mal einzelne beleidigt habe – dafür habe ich mich auch entschuldigt.

    Wie wichtig ist es, dass Sie selbst mit der Schweiz bei der WM 2015 in Kanada und mit der EM 2017 in den Niederlanden den Pulsschlag eines großen Turniers als Cheftrainerin gespürt haben?

    Das wir sehr hilfreich, weil auch nicht alle aus unserem Trainerteam diese Turniererfahrung haben. Ich reflektiere immer, was nicht gut gelaufen ist. Wir werden auch eine physische Basis brauchen, wenn die WM für uns lange dauert, weil diese Tour de France mit weiten Reisen herausfordernd wird.

    Sie haben die Erwartungen für einen Weltranglistenzweiten mit der Olympiaqualifikation eher verhalten angesetzt.

    Weil wir uns in einer Umbruchsituation mit vielen jungen Spielerinnen befinden, von denen 15 ihre erste Frauen-Weltmeisterschaft spielen. Wir wollen zurück in die Weltspitze, aber ich bin der festen Überzeugung, dass sechs bis acht Mannschaften die Chance haben, Weltmeister zu werden. Um unter den besten drei europäischen Teams zu landen, die sich für Tokio 2020 qualifizieren, müssen wir wahrscheinlich ins Halbfinale kommen.

    Haben Sie eine Titelprämie im Vertrag?

    Da muss ich reingucken (lacht).

    Interview: Frank Hellmann

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