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Fußball-WM 2018: Marcel Reif: Uruguay zeigt, was Deutschland gefehlt hat

Fußball-WM 2018

Marcel Reif: Uruguay zeigt, was Deutschland gefehlt hat

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    Uruguays Spieler bejubeln den Treffer von Edison Cavani zur 1:0-Führung.
    Uruguays Spieler bejubeln den Treffer von Edison Cavani zur 1:0-Führung. Foto:  Ye Pingfan/xinhua (dpa)

    Wollen wir es uns einfach machen? Dann suchen wir Trost, indem wir nach Spanien schauen und nach Argentinien, wo auch zwei Ex-Weltmeister ihre Wunden lecken, oder nach Portugal, wo der große Europameister um Erklärungen ringt – seht ihr, ist doch alles halb so schlimm, wenn man mal früher nach Hause kommt von einer Weltmeisterschaft...

    Marcel Reif ruft das Team von Uruguay als Vorbild für das deutsche Team aus.
    Marcel Reif ruft das Team von Uruguay als Vorbild für das deutsche Team aus. Foto: Ulrich Wagner

    Nein, wir wären schlecht beraten, wenn wir so fatalistisch an die Sache herangehen. Aber wir sollten auch schon beim Fußball bleiben, und das WM-Aus nicht als Teil eines politischen, wirtschaftlichen und womöglich auch kulturellen Niedergangs des Landes interpretieren. Ich weiß, das hat Charme, aber allen, die dieser Versuchung erliegen und den Fußball noch mehr überhöhen und stilisieren, sage ich: Liebe Freunde, habt Ihr es eine Nummer kleiner? Es ist doch nur Fußball.

    Uruguay hat keinen besseren Kader als Deutschland, aber...

    Zur Tagesordnung nach dem Motto „Weiter so!“ wollen wir dann aber auch nicht übergehen. Dazu war mir die Kluft zwischen dem Möglichen und dem Erreichten einfach zu groß. Oder will mir jemand allen Ernstes erklären, dass meine neuen Freunde aus Uruguay einen besser besetzten Kader haben als die deutsche Mannschaft?  Das bedeutet im Umkehrschluss, dass da einiges schief gelaufen sein muss. Das bedarf der Analyse, die muss gründlich und kann schmerzhaft werden. Wenn man die Schwerfälligkeit, die Selbstgefälligkeit, ja, die Bräsigkeit rund um das deutsche Team gesehen hat, denke ich an Jürgen Klinsmann 2004: „In diesem Laden muss man jeden Stein umdrehen.“

    Der entscheidende psychologische Fehler war, dass die Führung der Nationalmannschaft schon Monate vorher die „Mission Titelverteidigung“ ausgerufen und alles darauf ausgerichtet – bis hin zu den schwer verständlichen Werbeslogans. Wir sind Weltmeister, und wir werden es wieder – nein, so einfach ist das nicht. Besser hätte man sagen sollen: So, jetzt vergesst mal ganz schnell 2014 und seht zu, dass ihr sauber durch die Vorrunde kommt – eure drei Vorgänger haben das nämlich nicht hinbekommen. Ein bisschen mehr Reibung hätte dem Kader gut getan, so aber glaubten doch alle: Wir sind doch die Weltmeister.

    Deutschland ist träge geworden und hat die Gier verloren

    Nein, wir waren Weltmeister. Der Ruhm begann schon zu welken am 14. Juli 2014, am Tag nach dem Finale von Rio. Die Führung hat es nicht geschafft, die Leidenschaft und die Gier und die Freude aufs Neue zu wecken. Sie haben nur versucht, es herbeizureden, und das auch erst, als es schon zu spät war. So haben sie alle zusammen die ersten Schritte gemacht, aber schon nach oben auf die letzten Stufen geschaut. Dass man dabei ins Stolpern geraten kann, ist doch klar; zumal, wenn man ein bisschen träge geworden ist.

    Und jetzt? Wer glaubt, ich würde hier plump den Rausschmiss des Bundestrainers fordern, kennt mich wohl noch nicht gut genug. Natürlich trägt Löw die Verantwortung für die sportlichen Darbietungen, und die waren so schlecht, dass man ihn auch danach fragen muss. Denn es ist in Russland eigentlich alles schief gegangen, was schiefgehen konnte. Das ist das einzig Gute an diesem desaströsen Ausscheiden, dass niemand aus der „Hätte-wenn-und-aber“-Fraktion das Wort erheben kann.

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    Löw hat Deutschland zum Weltmeister gemacht – das haben außer ihm Schön, Herberger und Beckenbauer geschafft. Als solche glänzen sie heute noch, obwohl sie den einen oder anderen Kratzer abbekommen haben. Die Anerkennung seiner sportlichen Lebensleistung mit dem Titelgewinn als Gipfelpunkt ist nicht in Gefahr, doch das kann sich ändern. Er muss jetzt wissen und akzeptieren, dass er einiges falsch gemacht hat und vieles wird ändern müssen. Dann muss er sich fragen: Hast du noch die Kraft dazu? Und die Lust? Und das passende Konzept? Wenn er das kann, möchte ich ihm gern die Antwort und die Entscheidung überlassen.

    Die Zeit für Heldenfußball ist endgültig vorbei

    Derweil geht die WM ohne Deutschland weiter - und auch ohne zwei Superstars wie Messi und Ronaldo. Warum sind die beiden raus? Weil ihre Mannschaften nicht gut genug waren für ihren Superstar. Das ist die erste wertvolle Erkenntnis dieser ansonsten ziemlich mittelmäßigen WM: Die Zeiten, da sich ein Team in totaler Abhängigkeit von einem alle überragenden Einzelkönner machen konnte und damit erfolgreich war, sind vorbei – adieu Heldenfußball! Auch künftig werden Kicker dieses Formats das einzelne Spiel entscheiden können, aber nicht mehr das ganze Turnier so wie Maradona 1986 oder Pele 1970.

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    Jetzt wollen Sie von mir wissen, wer Weltmeister wird. Ich zögere ein bisschen, und sage dann doch Uruguay. Die spielen, was sie können. Die sind diszipliniert, haben eine starke Abwehr und suchen die Zweikämpfe. Sie haben zwei starke Stürmer, die sicher nicht die Klasse von Ronaldo und Messi haben. Aber die beiden ackern für ihre Mannschaft, nicht umgekehrt. Und sie haben Leidenschaft und Spirit, die brauchen keinen Slogan.

    Gemessen an den Fähigkeiten der einzelnen Spieler ist Uruguays Kaders ganz sicher nicht besser als der des DFB. Aber es reicht, sich zehn Minuten aus einem WM-Spiel der Urus anzusehen, um auf Anhieb zu erkennen, was der deutschen Mannschaft so alles gefehlt hat. Ich würde jetzt zwar nicht so weit gehen, zu behaupten, der Fußball-Romantiker in mir habe sich in Uruguay verliebt. Aber auf das nächste Rendezvous würde ich es gern ankommen lassen.

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