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Nordische Ski-WM: „Weltmeister – wie soll man das verdauen?“

Nordische Ski-WM

„Weltmeister – wie soll man das verdauen?“

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    Geteilte Freude, doppelte Freude: der Weltmeister und sein Vize, Markus Eisenbichler (re.) und Zimmerkollege Karl Geiger.
    Geteilte Freude, doppelte Freude: der Weltmeister und sein Vize, Markus Eisenbichler (re.) und Zimmerkollege Karl Geiger.

    Es war ein langer Weg, den der Weltmeister nach seinem Triumph gehen musste. Erst rüber zur Flower-Ceremony, einer Art Mini-Siegerehrung mit Nationalhymne und Blumenstrauß. Dann vorbei an dem halben Dutzend Fernsehstationen. Interviews am Fließband. Dazwischen immer wieder Glückwünsche, Umarmungen, Schulterklopfen. Dann, die langen Sprung-Ski auf den Schultern, rund 100 Treppenstufen hinunter zu den Kamerateams der kleineren TV-Sender, weiter zu den Radiostationen und schließlich wieder ein paar Stufen hinauf zu den Journalisten der schreibenden Zunft.

    Fast eineinhalb Stunden nach seinem Flug auf 135,5 Meter stand Markus Eisenbichler an der letzten Station. Ein Offizieller im Hintergrund deutete an, dass nicht mehr viel Zeit sei. Der Weltmeister musste schließlich noch nach Seefeld hinüber kutschiert werden, wo eine weitere Pressekonferenz und abends dann die große Siegerehrung stattfanden. Das Lachen war Eisenbichler aber selbst jetzt noch nicht vergangen. Die 12000 Zuschauer hatten den berühmten Kessel am Berg-isel längst verlassen und waren fähnchenschwenkend nach Innsbruck hinuntergepilgert. Ein Reinigungstrupp blies deren Hinterlassenschaften lautstark zusammen, als Eisenbichler zum x-ten Mal schilderte, was da gerade passiert war. Verstanden habe er es noch längst nicht, sagte er. „Wie soll man das verdauen, wenn man noch nie gewonnen hat und auf einmal Weltmeister ist?“, fragte er in die Runde der Journalisten, die ihm alle ihre Han-dys und Diktiergeräte entgegenstreckten. „Das ist schon ein bisschen speziell. Ich freue mich extrem, bin aber auch glücklich, dass ich mit meinem Zimmerbuddy auf dem Podest stehen darf, obergeil.“

    Besagter Zimmerbuddy heißt Karl Geiger, stammt aus Oberstdorf und hatte den Interview-Marathon wenige Minuten zuvor absolviert. In einem spektakulären Wettbewerb hatte er mit WM-Silber für den deutschen Doppelsieg gesorgt. Ein Ergebnis, mit dem im Vorfeld die wenigsten Experten gerechnet hatten. Erst tags zuvor hatte sich in der Qualifikation Derartiges angedeutet, da Eisenbichler und Geiger auch dort dominierten. Die beiden Kumpels teilen sich schon seit Jahren ein Zimmer und scheinen dort den perfekten Plan für Innsbruck ausgetüftelt zu haben. Zeit für eine große Party war am Samstagabend aber nicht, denn schon am Sonntag stand der Teamwettbewerb an (siehe eigener Artikel unten). „Wir werden uns also nur ein Weißbier aufmachen und anstoßen. Dann noch Physio und ab ins Bett“, sagte Eisenbichler. Geiger ließ immerhin noch wissen, „dass heute Abend alle Getränke auf unser Zimmer gehen“.

    Die Feier, mit der eine der großen Überraschungen dieses Winters begangen wurde, fiel also sehr bescheiden aus. Denn dass Eisenbichler seinen ersten Sieg im Weltcupzirkus ausgerechnet bei einer WM schaffte, ist eine Leistung, die der Sensation sehr nahe kommt. Mancher hatte schon zu zweifeln begonnen, ob dieser Hochtalentierte den Durchbruch überhaupt noch schaffen würde. Dem 27-Jährigen aus Siegsdorf in der Nähe des Chiemsees haftete der Ruf des Unvollendeten an. Eisenbichler selbst allerdings hatte nie an sich gezweifelt. Selbst 2012 nicht, als er schwer stürzte und sich einen Brustwirbel brach.

    Der Oberbayer, der seine Herkunft stolz auf der Zunge trägt, rappelte sich immer wieder auf. Steckte Niederlagen und Rückschläge mit stoischer Gelassenheit und beeindruckendem Optimismus weg. Wenn ihm alles zu viel wurde, zog er sich in seine Heimat zurück. Schöpfte dort an der Seite seiner Frau Andrea neue Energie. „Wenn man der richtige Typ dafür ist, kommt man gestärkt aus so etwas raus“, sagte der Polizeimeister nun im Schatten des Bergisel. Bei der Vierschanzentournee hatte er genau hier noch alle Chancen auf den Gesamtsieg begraben müssen. „Diesmal hatte ich mehr Zeit, mich auf die Schanze einzustellen. Von Garmisch direkt hierher zu kommen ist schwierig, weil der Rhythmus ein ganz anderer ist. Die Erfahrungen der Tournee haben mir geholfen.“

    Nach dem ersten Durchgang hatte Eisenbichler noch auf Platz zwei gelegen. Im Finale habe er dann nur eine Devise gehabt: „Voll auf Angriff. Ich wollte attackieren und alles reinwerfen.“ In einem derart sensiblen Sport wie dem Skispringen ist das nicht immer die beste Herangehensweise, diesmal allerdings fand Eisenbichler die richtige Mischung aus Lockerheit und Attacke. „Der Sprung wird mir wahrscheinlich nie wieder aus dem Herzen und aus dem Gedächtnis gehen.“ Es war, das darf man auch als Außenstehender sagen, tatsächlich ein fantastischer Sprung, mit dem sich Eisenbichler zum Weltmeister machte. Der Schweizer Killian Peier, der Führende nach dem ersten Durchgang, hatte dem nichts mehr entgegenzusetzen. Ihm blieb Bronze, was im allgemeinen Weltmeister-Jubel fast unterging, aber dennoch die vielleicht noch größere Sensation dieses Springens war. Denn Peier hatte zuvor im Weltcup noch kein einziges Mal auf dem Podest gestanden. Eisenbichlers Sieg aber überstrahlte alles. Dabei hatte der am Ende seines großen Tages nur noch einen Wunsch: „Fünf Minuten Ruhe.“

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