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Doping: Kampf gegen Doping: "Mauer des Schweigens hat Risse bekommen"

Doping

Kampf gegen Doping: "Mauer des Schweigens hat Risse bekommen"

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    Der Mediziner Mark Schmidt wurde von dem Landgericht München zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Es war das erste große Verfahren gegen einen Drahtzieher des Dopings.
    Der Mediziner Mark Schmidt wurde von dem Landgericht München zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Es war das erste große Verfahren gegen einen Drahtzieher des Dopings. Foto: dpa

    In Sonthofen wurde vor einigen Tagen das letzte Urteil im Rahmen der Operation Aderlass gesprochen. Ist das Kapitel damit beendet?

    Kai Gräber: Was die deutsche Strafverfolgung und Aufarbeitung der Operation Adererlass betrifft, war das der letzte Prozess. Es ging um einen slowenischen Staatsangehörigen, der Dr. Schmidt die Gerätschaften teilweise besorgt und gewartet hat. Er hat sich der Beihilfe zu Schmidts Taten schuldig gemacht.

    Die Operation Aderlass hat in der internationalen Sportwelt für Aufsehen gesorgt. Mit welchem Aufwand wurde dort von Ihrer Seite aus gearbeitet?

    Gräber: An dem Aktionstag im Februar 2019 waren fünf deutsche Staatsanwälte, ein österreichischer Staatsanwalt, 65 deutsche Beamte und gut 100 österreichische Beamte im Einsatz. Das war schon ein größerer Aufschlag in mehreren Objekten in Seefeld und Erfurt. Der Aktenbestand hat sich am Ende auf zwölf Umzugskartons mit 92 Aktenbänden belaufen …

    ... die Sie alle gelesen oder sogar geschrieben haben?

    Gräber: Also geschrieben habe ich sie nicht alle, gelesen wohl. Da sind zum Beispiel zahlreiche Gutachten dabei. Auch die Handyauswertung war sehr umfangreich.

    Gegen wie viele Personen wurde Anklage erhoben?

    Gräber: Insgesamt wurden im Rahmen der Operation Aderlass 52 Beschuldigte ermittelt. Von den 52 haben 22 Athleten bei Dr. Schmidt Blutdoping praktiziert. Den anderen 30 lagen andere Vorwürfe zur Last. Darunter sind unter anderem vier Trainer und zwei weitere Ärzte. Teilweise waren die Vorgänge verjährt.

    Angeklagt wurden Dr. Schmidt und seine vier Unterstützer in München und der slowenische Staatsbürger in Sonthofen. Mit den österreichischen Behörden gab es ein Agreement, dass die Sportler in Österreich verfolgt werden.

    Erinnern Sie sich noch an den Moment, an dem Sie erstmals mit diesen Ermittlungen Kontakt hatten?

    Gräber: Ja, natürlich. Es ging um den Beitrag in der ARD, das Interview mit Johannes Dürr. Interessehalber haben wir gesagt, das schauen wir uns an. Ich weiß noch, dass wir den Beitrag hier im Zimmer des Behördenleiters angeschaut haben. Was Dürr sagte, hat erst einmal gereicht, um ein Verfahren gegen Unbekannt einzuleiten. Man hatte in der Situation aber nicht wissen können, wie groß das Ding wirklich wird.

    Fordert für Doping ein höheres gesetzliches Strafmaß: Kai Gräber, Oberstaatsanwalt.
    Fordert für Doping ein höheres gesetzliches Strafmaß: Kai Gräber, Oberstaatsanwalt. Foto: Matthias Balk, dpa

    Am Ende stand das Urteil gegen den Hauptangeklagten Dr. Schmidt, der zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt wurde. Waren Sie damit zufrieden?

    Gräber: Es war ja ein paar Monate unter meinem Antrag, aber das Gericht hat es richtig gut gemacht. Es hat die Taten aufgeklärt und es ist ein Urteil, mit dem ich gut leben kann – auch hinsichtlich der anderen Beteiligten.

    Welche Lehren haben Sie aus Operation Aderlass für künftige Ermittlungen im Anti-Doping-Bereich gezogen?

    Gräber: Die wichtigste Lehre war, dass es sich selbst bei weit zurück- liegenden Taten lohnt, mit der ganzen Batterie anzutreten. Dass man versucht, die strafprozessualen Möglichkeiten, die das Gesetz gibt, auch wirklich auszunützen. So war es auch hier. Es war natürlich auch Glückssache, dass relativ schnell deliktische Vorgänge auf den Überwachungsmaßnahmen zu verzeichnen waren. In dem Metier ist es so: Wenn es läuft, dann wird es durchgezogen, auch über mehrere Jahre. Ansonsten war eine Lehre, wie herausragend internationale Zusammenarbeit funktionieren kann. Mit den Österreichern war das vorbildlich. Viele Maßnahmen in Seefeld waren im Rechtshilfeweg zu vollziehen. Wenn die Österreicher nicht so motiviert mitgezogen hätten, hätte das nie so toll funktioniert. Teilweise hatten wir deutsche Beschlüsse innerhalb weniger Minuten in Österreich umgesetzt.

    In der Öffentlichkeit wurde sehr ausführlich über die Operation Aderlass berichtet, natürlich auch über die Urteile. Wie schätzen Sie die abschreckende Wirkung ein?

    Gräber: Ich denke schon, dass das eine abschreckende Wirkung hat. Es war ja das erste Verfahren bundesweit in dieser Größenordnung. Dass ein nicht vorbestrafter Arzt aus dem Stand vier Jahre und zehn Monate bekommt, mit einer niedrigen sechsstelligen Summe als Wertersatzverfall und einem Berufsverbot on top – das macht sicherlich Eindruck. Die Bevölkerung, die Sportler und Funktionäre haben gesehen, was möglich ist. Natürlich wird man auch in Zukunft Schwierigkeiten haben, da Schritt zu halten. Es wird Personen geben, die sich neue Methoden suchen werden, um Regelungen zu umgehen und möglicherweise noch konspirativer vorgehen. Aber es war trotzdem ein deutliches Signal – auch, dass das Antidopinggesetz funktioniert.

    Weil Staatsanwälte besser ermitteln können, als es der Sport selbst kann?

    Gräber: Wenn man in dem Bereich erfolgreich ermitteln will, dann ist es ohne staatliche Verfolgungsbehörden kaum möglich. Dazu ist der Sport selbst nicht in der Lage. Man darf aber auch nicht zu blauäugig sein. Jetzt zu jubilieren und zu sagen, man habe der Szene einen Hieb versetzt und alle hören auf zu dopen, ist sicher falsch.

    Im vergangenen Jahr wurde das Antidopinggesetz um eine Kronzeugenregelung erweitert. Wirkt sich das auch schon auf Ihre Arbeit aus?

    Gräber: Ich kann Ihnen jetzt natürlich nicht sagen, ob es schon weitere Kronzeugen gibt. Da werden Sie sicher Verständnis haben. Aber die Kronzeugenregelung war natürlich von Anfang an mein Wunsch. Auch das ist eine Frage der Signalwirkung. Man muss den Leuten einen Anreiz bieten für Informationen in einem Bereich, der ja stark von Abschottung geprägt ist. Und auch von der Angst, innerhalb der wenigen Jahre, in denen man Geld verdienen kann, von der Szene geächtet zu werden.

    Haben Sie den Eindruck, dass die berühmt-berüchtigte Mauer des Schweigens die ersten Risse bekommen hat?

    Gräber: Sie hat Risse bekommen. Es wurden zwar noch keine Krater in die Wand geschlagen, aber die Leute sehen, es gibt jetzt die Möglichkeit, ihnen entgegenzukommen. Im Sportrecht ist eine Kronzeugenregelung ebenfalls ein Stück weit implementiert. Kooperation lohnt sich für den Athleten. Freilich wird er abwägen müssen, die Risiken sind ja nicht von der Hand zu weisen. Meine Tür ist aber immer offen.

    Aber wie muss man sich das vorstellen: Der geständige Sportler oder die geständige Sportlerin rufen bei Ihnen an und dann gehts los ...?

    Gräber: Es geht ja nicht von vorneherein gleich ans Eingemachte. Man muss Gespräche führen, man muss sich beschnuppern. Es muss eine Vertrauensgrundlage geschaffen werden. Man muss klären, was der Sportler sagen kann und was der Staatsanwalt für ihn tun kann. Und natürlich würde das zunächst einmal vertraulich behandelt. Es ist also nicht so, dass die sich auf den Stuhl setzen und gleich auspacken.

    Wie eng ist die Zusammenarbeit mit der Nationalen Antidopingagentur?

    Gräber: Wir haben einen sehr guten Draht zur Nada. Wir haben regelmäßige Treffen. Durch das Antidopinggesetzt haben wir ja die Möglichkeit, uns gegenseitig Akteneinsicht zu gewähren.

    Den Großteil der Arbeit aufseiten der Staatsanwaltschaft haben Sie geschultert. Sind Sie froh, dass die Operation Aderlass jetzt abgeschlossen ist?

    Gräber: Für mich ist das Teil der Arbeit. Es war sicherlich ein herausragendes Verfahren, das mich über zwei Jahre hin viel Zeit und Arbeit gekostet hat. Aber als Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität hier in München gibt es genug Spannendes. Trotzdem war es eine wichtige Erfahrung. Schwer zu sagen, ob so etwas noch einmal passiert. Ich wäre auf jeden Fall bereit, wenn es so wäre, habe aber auch genug anderes zu tun.

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