Es ist nicht die Maschine, sondern der Mensch, der entscheidet über den Ausgang der Weltmeisterschaft 2021. Das Pendel scheint sich in Richtung Lewis Hamilton zu bewegen. Nicht nur weil Mercedes in der Endphase einen noch stärkeren, noch elastischeren Motor für den Silberpfeil des Briten geliefert hatte. Der dramatische Grand Prix von Dschidda hat gezeigt, dass der Kopf den Ausschlag gibt. Oder wie Motivationstrainer gerne sagen: Gewonnen oder verloren wird zwischen den Ohren. Hier scheint Lewis Hamilton im Vorteil. Der 36-Jährige überzeugt mit seiner Cleverness. Max Verstappen dagegen mit seinem übersteigerten Ehrgeiz bremste sich in einem nervenaufreibenden Nachtrennen selbst aus. Das könnte den nassforschen Holländer letztendlich die Krönung kosten.
Hamilton rast Verstappen ins Heck
Die entscheidende Szene ereignete sich kurz vor dem Rennende. Der Red-Bull-Pilot hatte unerlaubt die Piste verlassen und sollte Hamilton auf Anweisung seines Teams vorbeilassen, um einer Strafe zu entgehen. Die Nachricht kam bei Mercedes aber offenbar nicht schnell genug an, sodass es der Brite „verwirrend“ empfand, als Verstappen unvermittelt verlangsamte. Der Mercedes-Pilot raste seinem Vordermann ins Heck.
Mit beschädigtem Frontflügel rettete sich der Brite dennoch vor seinem Kontrahenten über die Ziellinie. Selbst der siebenfache Weltmeister musste nach dem atemberaubenden Lauf von Saudi-Arabien Luft holen. „Ich fahre schon lange Rennen, aber das war unglaublich hart. Ich habe versucht, da draußen so gefühlvoll und so hart wie möglich mit all meiner Rennerfahrung zu sein, das Auto auf der Strecke zu halten und im sauberen Bereich zu bleiben. Es war schwierig“, sagte der Brite im Interview des Privatsenders Sky.
Formel 1 steuert auf den Höhepunkt zu
Eine großartige Saison steuert auf ihren Höhepunkt zu: Die Rechnung ist einfach und garantiert maximale Spannung: Wer die Nase am kommenden Sonntag in Abu Dhabi vorne hat, ist Weltmeister. Nach Hamiltons 103. Karrieresieg sind beide punktgleich. Zuletzt gab es das 1974 zwischen McLaren-Fahrer Emerson Fittipaldi und dem unterlegenen Clay Regazzoni von Ferrari.
Verstappen hat nur noch einen winzigen Vorteil. Da der Niederländer ein Rennen mehr gewonnen hat (9:8), wäre ein Ausfall der beiden gleichbedeutend mit dem ersten WM-Titel für den 24-Jährigen. Macht es Verstappen wie damals Ayrton Senna? In der WM-Entscheidung 1990 fuhr der Brasilianer im Saisonfinale von Suzuka gleich nach dem Start seinem letzten verbliebenen Rivalen Alain Prost in den Ferrari. Beide schieden aus und Senna ließ sich als Weltmeister feiern. Nun beteuern die Kontrahenten, dass es zu keiner Neuauflage der schmutzigen Tricks kommt. „Es bewegt sich zumindest auf der roten Linie. Wir wollen, dass es fair zu Ende geht, auch in Abu Dhabi. Sie sind gleichauf nach Punkten, beide können gewinnen. Möge der Bessere vorne sein“, sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Auch sein Gegenüber Christian Horner von Red Bull gelobt Fairness: „Wir wollen den Titel auf der Strecke gewinnen, nicht in der Rennleitung oder im Kiesbett. Ich hoffe, es wird ein faires und sauberes Rennen in Abu Dhabi.“
Verstappens Spitzname: Mad Max
Doch hat Horner seinen Piloten im Griff, der wegen seiner rabiaten Fahrweise dem Spitznamen „Mad Max“ Rennen für Rennen gerecht wird? Während Hamilton abgeklärt wirkt und mit dem Schub von drei Siegen in den jüngsten drei Läufen zum WM-Finale anreist, wirkt seine Rivale überdreht. Bei der Siegerehrung mit Rosenwasser in Dschidda verließ der Red-Bull-Pilot frühzeitig das Podest. „Weil es keinen Champagner gab. Das hat keinen Spaß gemacht“, gab der 24-Jährige später bei Sky als Grund an. Verstappen fuhr im Zickzackkurs über die Strecke, machte sich breit, kürzte unerlaubt ab – jedes Mittel scheint dem Holländer recht, um sich durchzuboxen. Trotz aller Beteuerungen: Auch im Saisonfinale werden die Fetzen fliegen, auf und neben der Strecke. Wer im Gemetzel von Abu Dhabi den kühleren Kopf bewahrt, wird Weltmeister. Deshalb: Vorteil Hamilton.