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Frauenfußball: Ariane Hingst über Investorenprojekt Viktoria Berlin: "Wir sind am Puls der Zeit"

Frauenfußball

Ariane Hingst über Investorenprojekt Viktoria Berlin: "Wir sind am Puls der Zeit"

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    Die Verantwortlichen des FC Viktoria Berlin Frauenteam (v.l.): Verena Pausder, Katharina Kurz, Henner Janzen (Sportliche Leitung), Tanja Wielgoß, Felicia Mutterer, Lisa Währer und Ariane Hingst. Die sechs Frauen wollen mit der Übernahme der Fußballerinnen von Viktoria FC Berlin eine Gleichbehandlung von Frauen im Sport forcieren.
    Die Verantwortlichen des FC Viktoria Berlin Frauenteam (v.l.): Verena Pausder, Katharina Kurz, Henner Janzen (Sportliche Leitung), Tanja Wielgoß, Felicia Mutterer, Lisa Währer und Ariane Hingst. Die sechs Frauen wollen mit der Übernahme der Fußballerinnen von Viktoria FC Berlin eine Gleichbehandlung von Frauen im Sport forcieren. Foto: Filiz Serinyel, dpa

    Frau Hingst, zusammen mit einer Betreiberinnen-Gesellschaft haben sie im Juni das ausgegliederte Frauenteam von Viktoria Berlin übernommen. Ihr Ziel: Innerhalb von fünf Jahren soll von der drittklassigen Regionalliga aus der Sprung in die Bundesliga gelingen. Was ist ihr Antrieb?

    Hingst: Berlin wird oft als Hauptstadt des Sports bezeichnet. Aber wenn man sich den Frauensport ansieht, sieht es nicht so erstklassig aus, vor allem im Fußball. Ich bin Berlinerin und habe den Großteil meiner Karriere außerhalb der Stadt verbracht, in Potsdam. In Berlin gab es nur für kurze Zeit Tennis Borussia, die sich im Frauenfußball versucht haben. Wenn sich Berlin Sporthauptstadt schimpft, kann es nicht sein, dass es hier keinen Erstligisten gibt. Und das wollen wir mit unserem Investorinnen-Team ändern. Wir wollen den Frauenfußball stärken, seine Sichtbarkeit erhöhen und die Finanzierung auf neue Beine stellen. Der von der Schauspielerin Natalie Portman 2020 in den USA gegründete Frauenfußball-Klub Angels FC war da ein großes Vorbild für uns.

    Aber auch eines, in dem deutlich mehr Geld steckt als bei Ihnen, wo das Gesamtinvestment bislang "nur" bei knapp einer Million Euro liegt.

    Hingst: Das alles soll hier auch nicht über das große Geld funktionieren, das wir als Investoren hereinbringen. Wir wollen in Zusammenarbeit mit Viktoria Berlin diese Kooperation starten. Das Ziel ist es, gemeinsam eine Marke aufzubauen. Wir wollen noch mehr Professionalität hereinbringen und haben nun über einige Investoren einen guten Startschuss gemacht. Wir haben auch die Mannschaft angesprochen und ich denke, wir konnten viele mitnehmen. Klar wird es Änderungen im Kader geben, denn der sportliche Erfolg steht nun mal über allem. Manche Spielerinnen können einen Teil des Weges mitgehen, andere vielleicht den kompletten. Auch das muss wachsen.

    Es geht um mehr als nur Fußball: Die Spielerinnen der Frauenmannschaft von FC Viktoria 1889 Berlin beim Training im Stadion Lichterfelde.
    Es geht um mehr als nur Fußball: Die Spielerinnen der Frauenmannschaft von FC Viktoria 1889 Berlin beim Training im Stadion Lichterfelde. Foto: Christoph Soeder, dpa

    Dass wie bei Viktoria Berlin nicht nur das Männer-, sondern auch das Frauenteam ausgegliedert ist, ist auch nicht gerade gewöhnlich. Wie waren denn die Reaktionen auf ihren Einstieg innerhalb des Vereins?

    Hingst: Die Ausgliederung gab es ja schon, bevor wir gekommen sind. Als wir dann die ersten Gespräche über unseren Einstieg geführt haben, waren alle Beteiligten sehr offen dafür. Auf der Mitgliederversammlung wurde unser Antrag dann auch einstimmig angenommen. Aber klar gibt es auch kritische Stimmen, klar werden wir auch Fehler machen. Aber wir sind überzeugt von unserer Idee und ich glaube, das sehen die meisten anderen im Verein auch so.

    Ist Viktoria Berlin der erste feministische Verein Deutschlands? Es gibt eine Geschäftsführerin, eine Stadionsprecherin...

    Hingst: Nein, das würde ich so nicht darstellen. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, wie die gesamte Sportwelt da aufgestellt ist. Von den Investoren, die wir haben, sind in etwa 75 Prozent weiblich, ja. Aber es geht nicht nur um Frauenpower, sondern um Diversität. Ich halte nichts von einer rein weiblichen Gemeinschaft. Unser Trainerteam ist ja auch nicht rein weiblich. Aber ich glaube, dass Frauen viel zu lange zu schlechte Rollen eingenommen haben. Das muss sich jetzt verändern. Wir wollen zeigen, dass Frauen ein solches Projekt auf die Beine stellen können. Die Gründerszene ist ja auch noch nicht allzu weiblich. Ich glaube: Wir sind mit unserem Projekt am Puls der Zeit.

    Dieses Projekt wartet – ähnlich wie das Vorbild Angels FC, in dem sich Natalie Portman, Eva Longoria oder Serena Williams engagieren – mit prominenten Namen auf. Franziska van Almsick ist im Aufsichtsrat, auf Investorenseite sind die Komikerin Carolin Kebekus, TV-Journalistin Dunja Hayali oder Schauspielerin Luise Wolfram dabei. Auch das ist Teil der Strategie, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen?

    Hingst: Ja, natürlich. Auf der anderen Seite gibt uns das die Möglichkeit, ein großes Netzwerk zu schaffen. Wir sind hier unglaublich breit aufgestellt: Wir haben Investoren aus der Politik, dem Sport, der Wirtschaft, aus den sozialen Bereichen, der Medienlandschaft. Viele kommen auf uns zu und sagen: Geil, ihr bewegt da was. Da wollen wir dabei sein. Wir wollen die Spielerinnen anders vermarkten, ihnen eine andere Sichtbarkeit geben. Es gibt wahnsinnig viele Bausteine. Ich könnte mir etwa ein Mentoren-Programm für Spielerinnen vorstellen, in dem es darum geht, was man nach der Karriere macht. Aber auch im sozialen Bereich gibt es Themen, die wir angehen wollen. Es sind unendliche Bereiche, die man verbessern und anpacken will. Es ist eine wahnsinnig lange Reise und wir stehen erst am Anfang.

    Wie bewerten Sie denn die aktuellen Strukturen des Frauenfußballs?

    Hingst: Ich hatte als Berlinerin den Vorteil, dass es immer Mädchen- und Frauenteams gab. In ländlichen Regionen sah das lange Zeit anders aus. Mittlerweile hat sich das verbessert, auch wenn wir noch weit von einer flächendeckenden Struktur entfernt sind. Es gibt nicht genug Trainingsplätze, zu wenig Trainer, leider noch zu wenig Ehrenamtliche, um alles stemmen zu können. Das ist ein generelles Problem in Deutschland: Einerseits wird gesagt, dass Sport wichtig ist. Andererseits ist Deutschland eines der wenigen Länder, das kein eigenes Sportministerium hat. Insgesamt hat sich der Frauenfußball aber enorm verbessert. Viele Männerteams haben kapiert, dass man am Frauenfußball auch nicht vorbeikommt, dass es eine geile Sache und eine geile Sichtbarkeit ist. In der 1. Liga gibt es viele Vereine mit sehr guten Strukturen, aber auch viele Vereine, in denen es nicht so gut läuft. Gerade in der zweiten Liga sieht es dann schon oft richtig mau aus, und in der Regionalliga, in der wir spielen, ist es dann amateurhaft. Bei den Männern werden hingegen bis zur Regionalliga vierstellige Monatsgehälter gezahlt.

    Der Frauenfußball sollte schon öfter neue Impulse bekommen, vor allem die WM 2011 war aber ein Strohfeuer. Jetzt hoffen viele auf den Hype durch die EM.

    Hingst: Die Sichtbarkeit des Frauenfußballs war immer abhängig vom Erfolg der Nationalmannschaft. Bei der WM 2011 im eigenen Land war der sportliche Erfolg nicht mehr da, deswegen ist es da eingebrochen. Es ist nie gelungen, das Interesse von der Nationalmannschaft auf die Liga zu übertragen. Ich hoffe, dass die Liga sich nun besser aufstellt. Man sieht, dass in der Vermarktung mehr getan wird, das ist das Entscheidende. Manche Spielerinnen haben jetzt schon sechsstellige Follower-Zahlen auf Instagram, die Leute haben Bock darauf. Wir sind auf einem guten Weg, aber da ist noch so viel Aufholbedarf.

    Wären Sie gerne heute noch mal Spielerin?

    Hingst: Es gab einen Moment, als das bei Viktoria richtig anfing, da dachte ich mir: "Verdammt, jetzt noch mal die Chance haben, was mitwachsen zu sehen, das wärs." Aber zum Ende einer Karriere als Nationalspielerin ging’s uns finanziell auch nicht so schlecht. Ich habe interessante Welten kennengelernt, die ich so nicht missen will. Würde ich heute Fußball spielen, würde ich finanziell deutlich anders dastehen, aber das ist ja nicht alles im Leben. Ich habe durch den Fußball viele tolle Menschen kennengelernt, konnte ins Ausland gehen. Jetzt kann ich eben in einer anderen Rolle mitwirken, um den deutschen Frauenfußball hoffentlich noch mehr zu verbessern.

    Zur Person:

    Ariane Hingst (43) absolvierte von 1996 bis 2011 insgesamt 174 Länderspiele für Deutschland und gewann vier Europa- sowie zwei Weltmeisterschaften sowie zwei Bronzemedaillen bei Olympia. Von 2016 bis 2021 war sie Co-Trainerin des VfL Wolfsburg in der Frauen-Bundesliga, seit 2021 ist sie Co-Trainerin der deutschen U19- und U20-Frauen. Im Juni stieg sie mit einer Investorinnengruppe bei Viktoria Berlin ein.

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