Klebebilder zur EM: Eine Schule fürs Leben
Auch zur EM erscheint wieder ein Klebebilder-Sammelalbum. Diesmal allerdings nicht von Panini. Das ändert aber nichts an dem Zauber, der vom Sammeln und Tauschen ausgeht.
Harry Maguire ist an der Supermarktkasse schon richtig aufgehoben. Er steht links neben den zu klein geratenen Spirituosen und kurz hinter den Tabakwaren. Also zwischen Fernet Branca, Underberg, Marlboro und Lucky Strike. Suchtmittel. Keine Abgabe an Kinder. Außer Harry Maguire. Der aber wiederum so garstig schaut, dass es einen FSK16-Hinweis bräuchte. Schaut ja gerade so, als hätte er sein Pint Bier kurz nach dem alles entscheidenden Gong im Pub bestellt. Der grimmige Maguire könnte sich auch dadurch erschließen, dass er Tage und Wochen in trister Dunkelheit verbracht hat – womit nicht die Innenverteidigung von Manchester United gemeint ist, wo der 31-Jährige regulär seinen Dienst verrichtet.
Maguire ist ein Objekt der Begierde. Er grummelt von einem jener 728 Bilder, mit denen sich das Sammelalbum zur Europameisterschaft 2024 füllen lässt. Wie seine Kollegen wartet er in einer der Packungen, auf dass ein Grundschüler gierig das Papier aufreißt und anschließend brauchbar von unbrauchbar trennt. Oder aber: doppelt von habichnochnicht. So kann ein glitzernder Ronaldo für Enttäuschung sorgen, ein rumänischer Ergänzungsspieler aber für Jubelschreie wie nach dem entscheidenden Tor im EM-Finale.
Es ist ja tatsächlich ein zu beobachtendes Suchtverhalten, dass die Sammler und Sammlerinnen an den Tag legen. Geld gegen Ware und dann prompte Bedürfnisbefriedigung. Der Kick hält nicht lange, muss in immer kürzeren Abständen erfolgen. Das High bleibt immer öfter aus, weil die immer gleichen Nichtsnutze aus der Tiefe des Tütchens rauslugen. Es gibt eben keine Doppelte-Freude beim Sammeln der Klebebilder. Über vier Jahrzehnte hat der italienische Hersteller Panini mit der Leidenschaft der zumeist jungen Fußballfans einträgliche Geschäfte gemacht. Für die kommenden beiden Europameisterschaften aber sicherten sich die US-Amerikaner von Topps die Rechte. Allerdings nicht alle. Einige Spieler nämlich werden niemals das Licht der Klebewelt erblicken. Kylian Mbappé etwa oder auch Manuel Neuer. Von ihnen besitzt Topps keine Bildrechte. Ebenso wenig wie von den Wappen einiger Nationen. Statt Glitzer-DFB-Logo, gibts dann eben Glitzer-Schwarzrotgold.
Ein gefülltes Sammelheft kostet rund 870 Euro (ohne Tauschen)
An derlei Kleinigkeiten haben sich juvenile Jäger und Sammler jedoch noch nie gestört. Mitunter lag auch Panini bei der Auswahl der Bilder daneben. Anders als die Nationaltrainer müssen die Bilderhersteller ihren Kader ja schon viel früher nominieren. Seit Anfang April befinden sich die Bilder im Handel. Seit Anfang April geht es darum, das Heft voll zu bekommen. Wer die 728 Motive allein mit seiner Kaufkraft zu erlangen gedenkt, wird dafür durchschnittlich 870 Euro ausgeben müssen, haben Berechnungen ergeben. Dafür könnten auch hunderte Kümmerlinge hinabgestürzt oder mit Dutzenden Camel-Packungen die Lungen torpediert werden. In 30 Jahren aber zieht niemand stolz die angeranzte Spirituosenflasche hervor und erzählt von früher. Stattdessen vergilbte Erinnerungen an einem Sommer, in dem nichts wichtiger als der albanische Außenverteidiger war, der so lange für ein Phantom gehalten wurde, ehe er doch noch aus der Packung gezogen wurde.
Noch aber haben es De Bruyne und Lewandowski schwer gegen Pikachu und Garados. Auf den Schulhöfen der Republik wird derzeit noch verstärkt um Pokémon-Sammelkarten gezockt. Fantasiewesen schlagen Ballzauberer. Je näher aber das Turnier rückt, desto häufiger werden die Lehrerinnen und Lehrer die blauen Topps-Hefte als unterrichtsfremde Materialien konfiszieren. Wobei möglicherweise das behände Abziehen des Stickers vom Papier der Koordination zuträglicher ist als das krampfhafte Erlernen der richtigen Grifftechnik für den Füller. Und fördert es nicht eher die Konzentration, den Spieler präzise in das dafür vorgesehene Rechteck einzukleben, als die immer gleichen Bauer-verkauft-27-Äpfel-an-drei-Schulklassen-Aufgaben? Wie lassen sich besser marktwirtschaftliche Prinzipien erlernen als durch das Tauschen der Bilder? Angebot und Nachfrage.
Um die Nachfrage anzukurbeln, haben die Heftmacher in José Mourinho einen bekannten Trainer als Werbebotschafter verpflichtet. Der hat zwar gerade keinen Job, aber möglicherweise auch gerade deswegen Zeit für kleine Filmchen, die den Verkauf ankurbeln sollen. Dabei schaut der Portugiese ähnlich grimmig wie Harry Maguire. Oder ein Kind, das gerade zum siebten Mal Timo Werner aus dem Tütchen befreit hat. Die abermalige Enttäuschung ist freilich nichts anderes als eine Schule fürs Leben.
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