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Fußball: Vom Star zum Pflegefall: Die Leiden des Olaf Bodden

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Vom Star zum Pflegefall: Die Leiden des Olaf Bodden

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    Die Hoffnung bleibt: Ex-Fußball-Profi Olaf Bodden im August an seinem Küchentisch. Der Präsident des TSV 1860 München, Gerhard Mayrhofer, hat ihm ein altes Plakat mit zahlreichen Fan- Spielerunterschriften mitgebracht.
    Die Hoffnung bleibt: Ex-Fußball-Profi Olaf Bodden im August an seinem Küchentisch. Der Präsident des TSV 1860 München, Gerhard Mayrhofer, hat ihm ein altes Plakat mit zahlreichen Fan- Spielerunterschriften mitgebracht. Foto: imago

    Es gab Zeiten, da war Olaf Bodden Kult. Peter Brugger, Sänger der deutschen Rockformation „Sportfreunde Stiller“, erzählte vor einigen Jahren einmal, dass sich das Trio bei der Gründung 1996 deshalb „Bodden“ nennen wollte. Erst im letzten Moment habe man sich dagegen entschieden. Zu dieser Zeit, als die „Sportis“ ihre ersten Gehversuche auf der Musikbühne wagten, war Bodden so etwas wie ein Held der Bundesliga. Der bullige 1,91 Meter große Stürmer aus Kalkar in Nordrhein-Westfalen schoss und köpfte den Torhütern im Fußball-Oberhaus die Bälle um die Ohren. Beim TSV 1860 München zählte er zu den Publikumslieblingen.

    Ein Arbeiter, ein Kämpfer, der da hinging, wo es wehtat. Und einer, der erfolgreich war. 25 Tore in 67 Erstligaspielen sind eine Hausnummer. So einer kann sich sehen lassen. Beim damaligen Bundestrainer Berti Vogts stand er im Notizblock. 1996, mit 28, schien Bodden den großen Durchbruch zu schaffen.

    Ein Virus stoppt den Stürmer

    Doch das Jahr, das so furios begann, markierte auch den Anfang einer Leidensgeschichte, die bis zum heutigen Tag anhält. „Ein Virus stoppt den Stürmer“, lautete am 26. September 1996 die Aufmacher-Geschichte in unserem Sportteil. „Ich fühle mich schlapp und schwach. Hinzu kommen Gliederschmerzen“, erzählte er damals unserer Zeitung. Ärzte diagnostizierten schließlich das Pfeiffer’sche Drüsenfieber. Im Normalfall sind vier bis sechs Wochen Ruhe nötig, damit das Immunsystem des Körpers das Virus bekämpfen kann.

    Der Trainer drängte ihn zurück ins Training

    Als auch nach sieben Wochen keine Besserung in Sicht war, rieten ihm die Mediziner, sich mit Fahrradfahren aufzubauen. Der Versuch scheiterte: „Ich bin 20 Minuten gefahren, dann wurde mir schlecht.“ Einige konnten und wollten Bodden nicht verstehen. Ein Berg von einem Mann, der plötzlich in der Öffentlichkeit als Jammerlappen und Weichei dargestellt wurde. Sein damaliger Trainer bei den „Löwen“, Werner Lorant, in der Branche immer als harter Hund verschrien, drängte ihn zurück ins Training. Der Ex-Reporter und heutige Sport1-Moderator Jörg Wontorra bezeichnete Bodden sogar als Simulanten. „Eine bodenlose Frechheit, wenn man auf einer kranken Person noch herumhackt“, ärgerte sich Bodden zu jener Zeit – und ignorierte dann auch, als sich Wontorra später für seinen Fauxpas öffentlich entschuldigte.

    Die Krankheit gilt als unheilbar

    17 Jahre später spricht niemand mehr von einem Simulanten. Bodden ist jetzt 45. Er besteht nur noch aus Haut und Knochen. Das Drüsenfieber hat über die Jahre in ein chronisches Erschöpfungssyndrom gemündet. Die Krankheit gilt als unheilbar. Im November 2012 wurde Bodden zum Pflegefall. Er ist bettlägerig, und selbst der Gang zur Toilette wird für ihn zur Tortur. „Es ist grausam. Ich bin froh, wenn Abend oder Nacht ist und ich einige Stunden überschlafen kann“, sagte Bodden kürzlich dem Bayerischen Rundfunk. „Ich habe hier zu Hause auch Momente, wo ich weine, wo ich verzweifelt bin, wo ich Mut habe, resigniere und manchmal auch Hoffnung schöpfe.“

    Medikamenten-Test verschlechtert den Zustand

    Es ist ja nicht die Krankheit allein. Bodden hat im April 2012 einen schweren Fehler begangen als ein Verzweifelter, der irgendwo einen Hoffnungsschimmer am Horizont sah. Er testete auf eigene Gefahr das Medikament Rituximab. Zwei positive Studien aus Norwegen hatten ihn zu diesem Schritt bewogen. Doch dadurch verschlechterte sich sein Zustand nur noch, und zwar rapide. Es folgte „der totale Crash“, wie er selbst sagt. Ein Crash, der mit Grippesymptomen seinen Anfang nahm. „Ich habe auf mich selber eine Wut, aber ich habe damals einfach die Riesenchance gesehen, wieder gesund zu werden“, so Bodden.

    Mannschaftsarzt: Das Medikament hat extreme Nebenwirkungen

    Der Mannschaftsarzt des Bundesligisten FC Augsburg, Dr. Andreas Weigel, kann von solchen Experimenten nur abraten. „Das ist eine Studie, die ein paar Verrückte veröffentlicht haben. Daran waren 30 Patienten beteiligt. Anders wäre es gewesen, wenn sich 3000 daran beteiligt hätten.“ Rituximab sei ein chemisch hergestellter Antikörper, der bestimmte Blutzellen beeinflussen kann und den man vorwiegend gegen Blutkrebs oder starkes Rheuma nimmt. „Das Medikament hat aber extreme Nebenwirkungen.“

    Zehn Minuten Fußmarsch sind für Bodden eine Qual

    In den Jahren vor Rituximab war es Bodden zwar besser gegangen. Aber alles, was er unternahm, um gegen die ständige Müdigkeit und Schlappheit anzukämpfen, ging schief. Auch in diesen Jahren sah man ihn manchmal unter den Zaungästen beim Training der „Löwen“. Doch lange Fußwege waren immer eine Qual. „Ich kann keine zehn Minuten gehen, ohne dass mir hundeübel wird“, klagte er.

    Momentan wohnt er bei einer guten Bekannten in München. Sie pflegt ihn. Besuche empfängt Bodden nur selten. „Sei mir bitte nicht böse, aber dazu fehlt mir manchmal die Kraft“, sagt er am Telefon. Ein paar Minuten nimmt er sich Zeit, wenngleich er über sein Privatleben nichts sagen will. Dass er von seiner Frau Sina, die in ganz frühen Jahren mit Ex-Nationalspieler Thomas Doll liiert war, schon lange getrennt lebt, ist kein Geheimnis. Kontakt zu ihr besteht zwar noch, aber nur wegen der gemeinsamen Tochter Anisja.

    Benefizspiel wird live übertragen

    Über Fußball spricht Bodden wesentlich lieber. Anlass dazu gibt es. Am Sonntag findet ihm zugunsten im Münchner Grünwalder Stadion ein Benefizspiel zwischen einem Allstar-Team des TSV 1860 München und einer zusammengewürfelten Bundesliga-Mannschaft statt. Der Fernsehsender Kabel 1 überträgt die Partie live. Prominente Gäste aus dem Fußballgeschäft werden da sein. Unter anderem Rudi Völler, Reiner Calmund, Thomas Häßler, Davor Suker, Horst Heldt, Peter Pacult, Werner Lorant und der Manager des FC Augsburg, Stefan Reuter.

    Vor zwei Jahren wollte die Krankenkasse keinen Cent zahlen

    Die Therapien, die Bodden bisher in Anspruch nehmen musste, haben immens viel Geld gekostet. Und er wird weiter teure Medikamente benötigen. Deshalb wird jetzt für ihn gekickt. Wie viel er schon aus eigener Tasche hinblättern musste, verrät Bodden nicht. „Darüber habe ich mit den Krankenkassen Stillschweigen vereinbart.“ Fakt ist, dass Bodden mit den Kassen lange im Clinch lag. Noch vor zwei Jahren sagte der ehemalige Profi: „Die Krankenkasse weigert sich bis heute, nur einen Cent zu bezahlen. Inzwischen sitze ich auf 50 000 Euro Therapiekosten, die ich selbst vorgeschossen habe. Die Versicherung sagt, dass ich ein Fall für den Psychiater bin.“ Heute will er sich dazu nicht mehr äußern. Die Vermutung liegt nahe, dass es einen Vergleich geben könnte.

    Im Herzen ist Bodden ein Löwe geblieben

    Im Herzen ist Bodden immer ein Münchner „Löwe“ geblieben. Auch das will der Verein mit dem Benefizspiel honorieren, zumal er nie öffentlich verabschiedet worden ist. „Für mich ist das ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ist das eine tolle Geschichte und ich bin auch total gerührt“, sagt Bodden. „Bei mir trifft ja der Satz ,Einmal Löwe, immer Löwe’ auch zu. Andererseits wäre es mir lieber, ich hätte dieses Medikament nicht genommen und das Spiel würde gar nicht stattfinden.“

    Zum großen Teil hat Olaf Bodden das Spiel seinem Kumpel Matthias Imhof zu verdanken. Der organisatorische Leiter des Nachwuchszentrums und Ex-Spieler des TSV 1860 München ist seit vielen Jahren mit ihm befreundet. „Die Idee dazu ist bei einem Fanfest entstanden“, sagt Imhof. Damals im August wurde Bodden ein Plakat überreicht, wo er als „Löwen“-Stürmer beim Torjubel zu sehen ist. „Bei der Übergabe des Bildes, auf dem sehr viele Menschen unterschrieben haben, war klar, dass wir ihm helfen mussten“, erzählt Imhof. „Ich war schockiert über seinen rapiden Gewichtsverlust, als er dieses Medikament eingenommen hatte. Früher ein Kerl wie ein Baum, und plötzlich war er nur noch Haut und Knochen.“

    Der ehemalige Fußballprofi will weiterkämpfen

    Bodden selbst will um jeden Preis am Sonntag im Stadion dabei sein. Wahrscheinlich wird er das Spiel auf einer Liege verfolgen. „Ich habe zwar auch noch meinen elektrischen Rollstuhl, aber darin vier Stunden zu sitzen, ist zu anstrengend.“ Für Bodden ist das Ganze auch eine Abwechslung vom schlimmen Alltag.

    Davon wird ihm sicher eine schöne Erinnerung bleiben. Etwas Geld wohl auch. Und die Hoffnung. Er hat seinen Kampf noch nicht aufgegeben. Aber er weiß, dass der unbekannte Gegner hart ist. „Ich mache weiter meine Immuntherapie und will wenigstens wieder auf den Level kommen, auf dem ich war, bevor ich dieses Medikament eingenommen habe“, sagt er. „Dazu müsste dieses Medikament raus aus meinem Körper. Aber das ist alles nur Kaffeesatzleserei.“

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