
Arie Haan: "Van Gaal ist zum Titel verdammt!"

Arie Haan verlor zwei WM-Endspiele mit den Holländern. Damals spielten die Holländer noch offensiv. Unter dem jetzigen Trainer hat sich das geändert.
US-Coach Greg Berhalter meinte nach dem verlorenen Achtelfinale gegen Holland, dass das Ergebnis (1:3) "sehr hart" gewesen sei, zumal sein Team in jedem Aspekt des Spiels überlegen gewesen sei. Teilen Sie die Ansicht?
Arie Haan: Sagen wir es mal so: Die US-Boys haben so gespielt, wie wir es früher von der Elftal gewohnt waren. Sie hatten mehr Torschüsse und Ballbesitz, doch die Niederländer glänzten durch Effizienz und haben schließlich nicht unverdient gewonnen. Ich meine, dass die Spielidee von Louis van Gaal voll aufgegangen ist: Er wollte, dass die US-Amerikaner durch Ballbesitz eine vermeintliche Spielkontrolle haben, und schlug dann mit Gegenangriffen zu. Diese Herangehensweise hat er bereits bei der WM in Brasilien praktiziert, und zwar sehr erfolgreich!
Marco van Basten sagte, das Spiel der Oranje war "zum Heulen". Wie verdauen Sie eigentlich, als bekennender Fußballnostalgiker, die Abkehr der Elftal vom jahrzehntelang praktizierten 4-3-3-System, das wie ein Heiligtum bewahrt wurde?
Haan: Das ist eine nicht enden wollende Diskussion, vor allem in Holland. Wir haben in den 1970er Jahren mit Ajax und der Nationalmannschaft der Welt mit dem "Voetbal Totaal" etwas geboten, was über Jahrzehnte das Aushängeschild des holländischen Fußballs war. Um ehrlich zu sein, tut es mir schon ein bisschen weh, wenn ich jetzt dem Spiel der Oranje zuschaue.
Konnte nur van Gaal mit seinem willensstarken Charakter und Autorität diese Systemänderung durchführen?
Haan: Er hat es ja, wie gesagt, bei der WM in Brasilien praktiziert. Der frühere Bondscoach, Frank de Boer, hat es bei der letzten EM auch übernommen, leider jedoch mit sehr mäßigem Erfolg. Arsène Wenger hat es treffend formuliert: "Diese Diskussion wird nur enden, wenn Holland Weltmeister wird." Insofern ist van Gaal zum Titel verdammt! (lacht) Dann wird man ihm auch diese Abkehr vom ehrwürdigen System vergeben.
Davon scheint er persönlich überzeugt zu sein, wie er immer wieder mitteilt. Nun wartet aber mit Argentinien ein dicker Brocken im Viertelfinale. Ist Oranje gewappnet, um Messi zu schlagen?
Haan: Das Problem bei den Argentiniern, die zweifellos über eine sehr starke Mannschaft verfügen, ist, dass der Druck auf die Spieler von außen immens ist. Mit dieser Bürde kann nicht jeder umgehen. Abgesehen davon hat Holland gegen Argentinien eine positive Länderspielbilanz vorzuweisen.

Traumatisch muss für Sie das Aufeinandertreffen im WM-Finale 1978 gewesen sein, in dem Sie mit Oranje in der Verlängerung 1:3 unterlegen waren.
Haan: Die Rahmenbedingungen für dieses Finale waren sehr ungünstig für uns. Eigentlich war Argentinien schon Weltmeister, nachdem sie Peru auf fragwürdige Weise mit 6:0 geschlagen haben und sich für das Endspiel qualifiziert haben. Vor heimischer Kulisse, mit der Militärdiktatur im Rücken waren sie zum Siegen verdammt. Trotzdem haben wir den Argentiniern, die eine sehr rüde Spielart an den Tag legten, Paroli geboten und haben eher unglücklich verloren. Leider. Unser damaliger Trainer, Ernst Happel, hatte es anschließend treffend formuliert: "Wenn wir Argentinien geschlagen hätten, hätten wir das Stadion nicht verlassen können!"
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Sehen Sie Parallelen des Turniers in Argentinien mit der jetzigen WM in Katar hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungsthematik?
Haan: Natürlich gibt es eine politische Dimension des Turniers, die von den Medien heutzutage mehr thematisiert wird als damals. Zu meiner Zeit gab es Stimmen in Holland, die aufgefordert haben, die WM in Argentinien ob der brutalen Militärdiktatur von General Videla zu boykottieren. Das stand für uns Spieler damals nie zur Debatte. Dafür war der Fußball zu jener Zeit etwas unschuldiger, als er heute mit der Vermarktung in der omnipräsenten Medienwelt geworden ist.
Die deutschen Nationalspieler wollten mit ihrer "Mundgeste" vor dem Spiel gegen Japan ein Zeichen setzten. Sportlich enttäuschte das Team von Hansi Flick und schied erneut in der Vorrunde aus. Kam das für Sie überraschend?
Haan: Nicht wirklich, zumal sie in den letzten Jahren immer wieder schwache Auftritte gezeigt haben. Warum das so ist, kann ich nicht beurteilen. Es fehlt mir der ultimative Erfolgswille, der letzte Biss, der früher stets die deutsche Auswahl ausgezeichnet hat. In Holland hat man früher gesagt: "Deutschland ist erst geschlagen, wenn der Mannschaftsbus die Stadt verlassen hat!" (lacht) Das trifft nicht mehr zu. Sie haben zwar gute Spieler und ein ordentliches Team, aber es fehlt dieses hungrige Erfolgsstreben, das den deutschen Fußball früher gekennzeichnet hat.
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Hoffentlich holt das holländische Feier-Biest den Pokal, denn die restlichen Europäer, vor allem die Deutschen, sind nur Demograddler.