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Ski alpin: Felix Neureuther im Interview: "Grandioser Sport" und ein unzumutbarer Rennkalender

Ski alpin

Felix Neureuther im Interview: "Grandioser Sport" und ein unzumutbarer Rennkalender

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    Felix Neureuther zieht sein Fazit über den zu Ende gehenden Winter und den dort gezeigten alpinen Rennsport.
    Felix Neureuther zieht sein Fazit über den zu Ende gehenden Winter und den dort gezeigten alpinen Rennsport. Foto: Lino Mirgeler, dpa (Archivbild)

    Herr Neureuther, welche Erkenntnisse nehmen Sie ganz allgemein aus dieser zu Ende gehenden Saison mit?

    Felix Neureuther: Neben grandiosem Sport leider auch die Tatsache, dass viele Neuerungen und Verbesserungen, die vom neuen Präsidenten der Fis versprochen wurden, nicht eingetreten sind. Hier ist vor allen Dingen die zweite Amerika-Tournee zu nennen, die mit dem amerikanischen Markt und möglichen Live-Übertragungen im amerikanischen Fernsehen begründet wurden. Die gab es aber dann nicht, dafür gab es aber einen brutalen Reisestress, der den Fahrern im Grunde nicht zumutbar ist und der erst recht im Blickwinkel der Nachhaltigkeit unzeitgemäß ist. Top-Athleten waren dazu gezwungen, mit Privatfliegern anzureisen, um einigermaßen fit beim nächsten Training anzutreten. Für die Trainer und Service-Leute bedeutete das aber tausende Kilometer im Auto quer durch Europa. Die muss man schützen.

    Was bedeutet das konkret?

    Neureuther: Die Frauen mussten gleich im Anschluss an die WM in Courchevel (Frankreich) nach Crans Montana (Schweiz) und dann direkt weiter nach Kvitfjell (Norwegen) und Are (Schweden) fliegen. Die Service-Leute müssen aber die gesamte Strecke mit dem Auto bewältigen, weil sie enorm viel Material zu transportieren haben. Und jetzt kommt der Hammer: Am Samstag war noch der Slalom in Are , aber am Montag Vormittag bereits Training in Andorra. Wenn man sich diese Strecken ansieht, das ist ein völliger Wahnsinn. Das hat nichts mehr mit Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit zu tun. Der Rennkalender gehört nach diesen Gesichtspunkten neu strukturiert.

    Hoffen Sie auf Änderungen im Terminkalender für die nächste Saison?

    Neureuther: Gute Frage: Leider gibt es bis heute zum Ende der Wintersaison noch keinen finalen Plan für die nächste Saison. Da ist vieles im Ungewissen. Bei der Größe und Komplexität dieses Sports wäre das extrem wichtig, nur dann kann man Planungen so umsetzen, dass das Produkt auch wirklich glänzen kann. Da ist die Fis in der Verantwortung. Das Produkt "Ski alpin“ ist so toll, muss sich aber an die aktuellen Probleme unserer Zeit anpassen. 

    Lassen Sie uns aufs Sportliche blicken. Was hat Ihnen da am besten gefallen?

    Neureuther: Die Weltmeisterschaft in Courchevel, ganz klar. Dort wurde alpiner Rennsport so umgesetzt, wie wir uns das alle wünschen. Vom Wetter, vom Ambiente, von den gezeigten Leistungen. Es gab viele Überraschungen. Sechs oder sieben Goldmedaillen gingen an Athleten und Athletinnen, die vorher noch nie ein Weltcuprennen gewonnen hatten. Die Kulisse war unfassbar. Skisport vom Allerfeinsten.

    Historischer Sieg: Mikaela Shiffrin jubelt in Are.
    Historischer Sieg: Mikaela Shiffrin jubelt in Are. Foto: Alessandro Trovati/AP

    In den Gesamtweltcupwertungen führen Marco Odermatt und Mikaela Shiffrin souverän. Droht durch diese Dominanz Langeweile?

    Neureuther: Das Duell bei den Männern zwischen Odermatt und Aleksander Aamodt Kilde finde ich richtig cool. Da matchen sich zwei ganz Große mit einem Sportsgeist, der vorbildlich ist. Und ich weiß sicher, dass Kilde alles dran setzen wird, mit einem Odermatt mitzuhalten. Auch wenn das sehr schwierig ist, weil dieser noch so junge Kerl einfach unfassbar ist. Es macht so Spaß, ihm zuzuschauen. Er ist ein intuitiver Skifahrer, der nicht so sehr über die Athletik kommt, wie es vielleicht ein Hirscher getan hat. Odermatt ist ein elementarer Skifahrer und nebenbei auch noch ein Mega-Typ. Solche Duelle braucht der Skisport ganz dringend, denn das Interesse steht und fällt mit Typen und Persönlichkeiten.

    Was macht Odermatt so besonders?

    Neureuther: Er macht einfach so viele Dinge richtig ohne sich groß Gedanken machen zu müssen. Das ist Intuition und vieles davon kann man nicht lernen, das hat man oder eben auch nicht. Alles schaut so spielerisch und einfach aus. Ich liebe es, wenn jemand so Ski fährt. Auch in Extremsituationen macht er intuitiv richtig. Das hat man zum Beispiel in Kitzbühel auf der Streif gesehen. Ich schwöre dir: Jeder andere hätte in dieser Situation, ausgerechnet am Steilhang Ausfahrt, einen kapitalen Abflug hingelegt Doch Odermatt meistert diese äußerst prekäre Situation ohne Sturz, nur sein Knie war danach leicht beleidigt

    Bei den Frauen führt Shiffrin einsam die Gesamtwertung an und hat jetzt auch Ingemar Stenmark an Weltcupsiegen überholt. Wer soll ihr gefährlich werden?

    Neureuther: Niemand, ich bin ein absoluter Fan vorn ihr. Besonders auch wegen ihrer Vita und den für sie so belastenden Einschlägen. Was das Mädel schon alles durchgemacht hat, wie sie trotzdem wieder gewonnen hat und wie sie sich immer wieder pushen kann. Sportlich und menschlich ein absolutes Vorbild. Zusammen mit Odermatt und mit ihrem Freund Kilde ist sie für den Skisport Gold wert mit all ihren Facetten und Geschichten.

    Schafft sie die magischen 100 Weltcupsiege?

    Neureuther: In meinen Augen auf jeden Fall, sie muss nur unverletzt bleiben und darf bitte nicht aufhören.

    Lena Dürr jubelt nach dem Gewinn der Bronzemedaille im WM-Slalom.
    Lena Dürr jubelt nach dem Gewinn der Bronzemedaille im WM-Slalom. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Harter Bruch, wir kommen zur deutschen Mannschaft. Wie fällt diesbezüglich Ihr Zeugnis aus?

    Neureuther: Lena Dürr ist eine geniale Saison gefahren. Mit ihrem ersten Weltcup-Sieg und der fast noch wichtigeren WM-Medaille hat sie gezeigt, dass sie sich immer noch weiterentwickeln kann. Und dann kommt eben auch das Hundertstel-Glück dazu. Und weil ich von Vorbildern rede: Lena ist gerade im Bereich nie aufzugeben und sich immer weiterentwickeln zu wollen ein absolutes Vorbild. Das hat sie sich mehr als verdient. Von dem her Lena: Eins mit Sternchen.

    Dagegen hat die Speed-Mannschaft der Männer schon bessere Zeiten gesehen...

    Neureuther: Ja, aber da muss man auch differenzieren von Fahrer zu Fahrer. Thomas Dreßen hat wieder gezeigt, was für ein genialer Skifahrer er ist. Trotz der vielen Verletzungen und Trainingsausfälle, er bleibt immer schnell. Da können wir heilfroh sein, dass er zurück ist. Er wird nächstes Jahr wieder sehr stark fahren, wir müssen nur die Daumen drücken, dass er unverletzt bleibt und sich ganz auskurieren kann. Andreas Sander hat in Amerika endlich gezeigt, was er wirklich drauf hat und dass er auch im Weltcup zu Podestplätzen fähig ist. Wie bei der gesamten Abfahrtsmannschaft geht es halt darum, dann das Potential zu 100 Prozent abzurufen, wenn es darauf ankommt. Auf diesem Gebiet gab es in diesem Winter zu wenig Topplatzierungen. Man muss aber auch zugestehen, dass das verdammt schwierig ist, wenn du gegen Kilde und Odermatt antreten musst. Die zwei bestimmen gerade massiv das Geschehen.

    Zog sich eine schwere Verletzung zu: Alexander Schmid.
    Zog sich eine schwere Verletzung zu: Alexander Schmid. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Bei den Technikern gab es zuletzt eine Hiobsbotschaft, weil sich Alexander Schmid kurz nach seinem Weltmeistertitel das Kreuzband gerissen hat.

    Neureuther: Das ist extrem bitter. Kaum kann er sich als Weltmeister im Parallelslalom seinen großen Traum verwirklichen, muss er unters Messer und in eine lange Reha steht an. Seine Riesenslalomsaison war sicher nicht das, was er sich selber erwartet hatte und ausgerechnet in diesem Jahr stehen drei Riesenslaloms am Saisonende an, das ist zusätzliches Pech. Eins möchte ich bei der Gelegenheit klarstellen, ich bin ja nicht der größte Befürworter von dem Parallelwettbewerb, aber wenn Alex sie gewinnt, werde ich zum Riesenfan. Linus Straßer ist im Slalom eine sehr konstante und solide Saison gefahren. Er hatte auch Chancen, Rennen zu gewinnen und ist eine absolute Bank. Er kann mit seiner Saison zufrieden sein, doch ich kenne ihn gut, er sieht das nicht so und wird alles unternehmen, um sich ähnlich wie Lena weiter zu steigern.

    Bei den Frauen gibt es dann noch Kira Weidle, die aufs Podest fahren kann.

    Neureuther: Kira ist sehr solide gefahren. So der letzte, konsequente Schritt nach ganz vorne hat gefehlt, um auf allen Strecken schnell zu sein. Trotzdem ist sie in der Abfahrt absolute Weltklasse und mit 27 Jahren gerade in den schnellen Disziplinen noch sehr steigerungsfähig. Die größte Baustelle ist allerdings der Riesenslalom, da sind wir leider meilenweit von der Weltklasse entfernt. In der Disziplin haben wir nicht einen Weltcuppunkt erzielt. Leider dauert es im alpinen Rennsport sehr lange, solche Lücken zu schließen. 

    Gleiches dürfte für die Österreicher gelten, denen die Schweizer komplett den Rang abgelaufen haben. Sowohl in der Nationenwertung als auch im Medaillenspiegel der WM sind die Eidgenossen ganz vorne. Was ist mit Österreich los?

    Neureuther: Das ist für Österreich ungefähr so dramatisch, wie für uns im Fußball gegen Österreich zu verlieren. Die Österreicher waren immer sehr verwöhnt von unglaublichen Typen und Erfolgen, wie Hirscher, Mayer oder Klammer. Die haben ja auch immer noch einen Vincent Kriechmayr, Marco Schwarz oder eine Cornelia Hütter. Aber so die letzte große Mannschaftsstärke über allen Disziplinen garniert mit großen Einzelerfolgen fehlt derzeit. Wenn man in dem Zusammenhang auch mal in den Europa-Cup oder in den Schülerbereich schaut, dann fehlen auch dort in der Breite Resultate, die früher selbstverständlich waren. Es hat den ÖSV immer ausgezeichnet, dass sie mit einer relativ großen Masse an Athleten daher gekommen sind. Der Druck, den sich die Athleten untereinander gemacht haben war immer die große Stärke der Österreicher. Aus dem Druck hat sich die Spitze entwickelt. Jetzt kommt eher Druck von Verbandsseite. Das ist immer gefährlich. Als Athlet willst du dich im gesunden Konkurrenzkampf mit deinen Teamkollegen reiben und dich dadurch steigern. Wenn dieser Konkurrenzkampf fehlt, muss man andere oder individuellere Wege gehen. Kleinere Nationen machen das vor, wie zum Beispiel die Norweger.

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