Marcel Nguyen blieb auch nach der stürmischen Umarmung für sein zweites Olympia-Silber ganz cool. An seinem Spezialgerät Barren machte der muskelbepackte Mädchenschwarm seinen zweiten historischen Coup bei den London-Spielen perfekt und erkämpfte die erste deutsche Olympia-Medaille seit 24 Jahren an diesem Gerät. Sechs Tage nach seinem überraschenden zweiten Platz im Mehrkampf turnte der Sportsoldat am Dienstag die schwierige Übung sicher durch und musste mit 15,800 Punkten nur dem Chinesen Feng Zhe (15,966 Punkte) den Vortritt lassen. Als letzter deutscher Turner hatte der Leipziger Sven Tippelt 1988 in Seoul Bronze am Barren gewonnen. Platz drei ging am Finaltag der Turn-Konkurrenz an den Franzosen Hamilton Sabot mit 15,566 Zählern.
"Es ist unglaublich, dass es so gelaufen ist. Ich wollte vor den Spielen eine Medaille, egal wie. Dass es nun zweimal Silber ist, ist einfach unfassbar", sagte der 24-Jährige mit den Händen in den Taschen. Neben Silber verdiente er sich auch noch eine Flasche Champagner durch eine gewonnene Wette mit seinem Trainer Waleri Belenki, der das edle Getränk als "kleine Motivationshilfe" für eine Medaille ausgelobt hatte.
Kaum war die Note des als letzten Turners angetretenen Russen Emin Garibow auf der Anzeigetafel erschienen, fielen Belenki und Physiotherapeut Cyrill Salehi dem neuen deutschen Vorturner in die Arme und feierten das nächste Edelmetall für den Unterhachinger. Mit einem breiten Grinsen ballte Nguyen die Faust und winkte den erneut mehr als 15 000 Zuschauern in der voll besetzten North Greenwich Arena zu. Es war vollbracht, seine Olympia-Mission wurde zu einer unerwarteten Erfolgsgeschichte.
Der Tsukahara-Abgang, den derzeit keine anderer Turner der Welt beherrscht, war der Höhepunkt von Nguyens spektakulärer und dynamischer Übung. Unmittelbar vor dem zweifachen Barren-Europameister war Top-Favorit Feng Zhe an die Holme gegangen und glänzte mit einem noch um 0,2 Punkte höheren Ausgangswert von 7,0. Alle anderen kamen an die Marken der beiden besten Barren-Turner der Welt nicht heran - auch die im Vorkampf noch dominierenden Tanaka-Brüder Kazuhito und Yusuke aus Japan nicht. Feng Zhe hatte schon 2010 mit dem Gewinn des WM-Titels seine Barren-Qualitäten nachgewiesen.
Auch Platz zwei fühlte sich für Nguyen wie ein Sieg an. Strahlend gratulierte er dem Asiaten bei der Siegerehrung. Nach seinem zweiten Olympia-Silber wird sich in seinem Leben viel ändern. Die Anfragen von interessierten Sponsoren häufen sich, die Zahl seiner Facebook-Fans stieg in den vergangenen Tagen so an wie bei keinem anderen deutschen Olympia-Teilnehmer. Nguyen hat mittlerweile mehr als 150 000 "Follower". Sein Manager Jörg Neblung will die Verhandlungen mit potenziellen Geldgebern nach London intensivieren. Mit der Ruhe ist es in Nguyens Leben auf jeden Fall erstmal vorbei. Mit seinem Kumpel Philipp Boy und ihren Freundinnen wird er nun zunächst aber auf Ibiza die Füße hochlegen.