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Handel: Aus Liebe zur Innenstadt: Wie Händler heute um Kunden kämpfen

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Aus Liebe zur Innenstadt: Wie Händler heute um Kunden kämpfen

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    Die Günzburger Citymanagerin Nikola Tesch zeigt Händlerin Ulrike Krause das Portal „Wir in Günzburg“.
    Die Günzburger Citymanagerin Nikola Tesch zeigt Händlerin Ulrike Krause das Portal „Wir in Günzburg“. Foto: Bernhard Weizenegger

    Manchmal fühlt sich Hermann Oßwald wie ein Eventmanager. Wie einer dieser Menschen also, die tagtäglich Veranstaltungen planen oder Feste auf die Beine stellen. Vergangene Woche erst hat er einen Einkaufsabend nur für Frauen organisiert, eine Ladies Night. Dazu kommen Modenschauen, Verköstigungen, solche Dinge. Oßwald ist Chef des Modehauses Reischmann. Das Geschäft steht in der Haupteinkaufsstraße in Memmingen, auf vier Etagen gibt es Mode, Sportkleidung und Dekoartikel. Unter dem Dach sitzt der Geschäftsführer in seinem Büro, 52 Jahre, Hornbrille, um den Hals ein orangefarbener Seidenschal. Es ist kurz nach zwölf an diesem Frühlingstag und Oßwald will erzählen, warum er nicht nur Mode, sondern auch Erlebnisse bietet. Und wie das heute funktioniert: Kleidung verkaufen, den Kunden glücklich machen, kurz – ein Geschäft führen.

    Man muss etwas ausholen, um zu verstehen, warum das überhaupt ein Thema ist. Denn lange Zeit war es ja so: Wer etwas kaufen wollte, Schuhe, Kleidung oder auch Gardinen, ging in die Innenstadt. Dann kamen die Gewerbegebiete, die Einkaufszentren und schließlich das Internet. Es gibt wohl keine Entwicklung in der jüngeren Zeit, die das Einkaufen so verändert hat wie der Handel im World Wide Web. Zwar werden 90 Prozent der Umsätze immer noch in Geschäften vor Ort gemacht, die Erlöse der Online-Anbieter wachsen jedoch Jahr für Jahr zweistellig.

    Bis zu 50.000 Läden im Land könnte das Aus drohen

    Die Internet-Händler haben die Gewohnheiten der Kunden radikal umgekrempelt. Immer mehr Menschen zieht es nicht mehr in die Fußgängerzonen, weil sie ihren Einkaufskorb bequem vom Sofa aus füllen können. „Frequenzrückgang“ nennen Experten wie Hermann Oßwald das. Weniger Kundschaft, das heißt oft auch weniger Umsatz. Nicht alle Händler können unter diesen Bedingungen überleben. Der Handelsverband Deutschland schätzt, dass in den nächsten Jahren bis zu 50.000 Läden für immer schließen werden.

    Es gibt hierzulande Orte, an denen diese düsteren Aussichten schon Realität sind. Städte wie das nordrhein-westfälische Oberhausen, wo man bereits darüber nachdenkt, die Fußgängerzone zu verkürzen, weil einfach zu viele Läden leer stehen. Stefan Genth, der Chef des Handelsverbands, forderte im vergangenen Sommer gar, man müsse in ganz Deutschland Einkaufsstraßen „gesundschrumpfen“. Die Fußgängerzone ist das Herzstück jeder Kommune, beste Innenstadtlage, ein Ort, an dem die meisten Menschen gelernt haben, wie Konsum funktioniert. Und doch scheint es, als sei sie immer öfter ein Auslaufmodell.

    Vor allem mittelgroße und kleine Kommunen trifft es hart. Städte unter 100.000 Einwohnern, wie es sie in der Region vielfach gibt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Lage im Süden Deutschlands besser ist als im Rest des Landes. In vielen Gegenden herrscht Vollbeschäftigung, die Kaufkraft ist so hoch wie nirgendwo sonst, viele Einkaufsstraßen wurden in den vergangenen Jahren saniert und herausgeputzt. Und doch gibt es sie auch hier immer wieder, die Diskussionen um Leerstand und Ladensterben. In Nördlingen zum Beispiel, wo lange diskutiert wurde, ob der Altstadt-handel es vertragen kann, wenn vor den Stadttoren ein weiterer Drogeriemarkt eröffnet. In Schwabmünchen, wo sich die Stadt immer schwerertut, Nachfolger für leere Geschäfte zu finden.

    Das Zentrum soll im Internet sichtbar werden

    Und in Memmingen, der Heimat von Hermann Oßwald. Vor einiger Zeit war er „stinksauer“, und mit ihm viele Händler. 2015 hatte der Stadtrat verkündet, dass sich außerhalb der Stadt Ikea ansiedeln will, samt eines noch einmal mehr als doppelt so großen Fachmarktzentrums. Der Aufschrei war groß, die Händler fürchteten um ihre Umsätze. „Wir waren nicht gegen Ikea“, betont Oßwald, der auch Chef des Memminger Stadtmarketing-Vereins ist. „Ikea wäre sogar wünschenswert.“ Der Möbel-Riese sei ein Magnet, ein Anziehungspunkt, der Menschen in die Region holt. „Aber das Fachmarktzentrum“, sagt Oßwald, „das wollten wir so nicht haben.“ Zu groß war die Angst, dass bald nur noch die Läden vor der Stadt gute Geschäfte machen würden.

    Früher hätte ein Stadtrat eine solche Entscheidung vielleicht trotzdem durchgesetzt. Heute wehren sich die Händler. Denn sie wissen, dass es um mehr geht als nur ein paar Kunden weniger. Seit einiger Zeit gibt es einen Kompromiss, Manfred Schilder hat ihn mit ausgehandelt. Schilder ist seit einem Jahr Oberbürgermeister von Memmingen. Er sitzt in seinem Amtszimmer im historischen Rathaus, die Wände sind holzvertäfelt, durch die Fenster blickt man direkt auf den Marktplatz. „Wir haben lange diskutiert“, sagt Schilder jetzt. „Auch darüber, wie viel Handel auf der grünen Wiese die Innenstadt verträgt.“

    Nicht so viel jedenfalls wie in der ursprünglichen Planung vorgesehen. Darauf hat sich der Stadtrat am Ende geeinigt. In den neuen Plänen hat die Stadt die Fläche für das Fachmarktzentrum reduziert: von knapp 31.000 auf etwa 22.000 Quadratmeter. Um die Kunden dazu zu bringen, auch das Memminger Zentrum zu besuchen, soll ein Shuttlebus regelmäßig zwischen Ikea und Altstadt verkehren.

    Manfred Schilder ist zufrieden, Hermann Oßwald auch. Zumindest sagt er: „Wir müssen jetzt das Beste daraus machen.“ Er will nicht jammern oder schimpfen, sondern kämpfen. Dafür, dass die Kunden gern in die Altstadt kommen. „Das Internet kann keiner von uns abschalten“, sagt der Modehaus-Chef. Stattdessen müsse man jetzt „die Kräfte bündeln“, um die Innenstadt noch attraktiver zu machen.

    Aber was heißt das überhaupt? Wie muss eine Fußgängerzone heute aussehen, was bieten? Oßwald zählt die Punkte an seinen Fingern ab. Natürlich Einzelhandel, sagt er. Wenn es nach ihm ginge, am besten mit längeren Öffnungszeiten als das bayerische Ladenschlussgesetz derzeit erlaubt. Aber auch mit Restaurants, Cafés, Grünflächen. Dazu kommt die Erreichbarkeit: Busse und Bahnen, die in einem regelmäßigen Takt aus dem Umland in die Innenstadt fahren, außerdem genügend Parkplätze für alle Besucher.

    Kunden sind aus dem Internet eine bequeme Behandlung gewöhnt

    Wolfgang Puff nennt all das „den richtigen Mischmasch“. Puff war lange Chef des schwäbischen Handelsverbands, seit dem vergangenen Herbst vertritt er alle Händler im Freistaat. „Der Kunde ist so anspruchsvoll wie nie zuvor“, betont der Handelsexperte. Auch, weil er aus dem Internet eine maximal bequeme Behandlung gewöhnt ist. Er wolle gute Preise, ausgezeichnete Beratung und vor allem hasse er es, lange Wege gehen zu müssen. Händler, sagt Puff, müssten sich stärker anstrengen als je zuvor.

    Dazu gehört auch, die schönen Seiten der Kommunen mehr herauszukehren. „Man muss immer versuchen, Menschen für seine Stadt zu begeistern“, sagt der Verbands-Chef. Zum Beispiel mit Werbe-Initiativen wie „Kauf vor Ort“ oder „Kauf im Allgäu“, die von unserer Zeitung angestoßen wurden. In Memmingen versuchen Stadt und Stadtmarketing-Verein das über Innenstadt-Feste, eine lange Einkaufsnacht, einen Christkindlmarkt. „Die Menschen wollen heute ihre Heimat wieder mehr erleben“, sagt OB Schilder. Das bedeutet aber auch, dass Kommunen etwas tun müssen, was jahrelang nicht nötig war: für sich werben, auch bei den eigenen Einwohnern.

    60 Kilometer nördlich ist man da schon einen Schritt weiter. In Günzburg sind knapp 50 Händler im vergangenen Sommer gemeinsam online gegangen. Die Stadt hat einen Internet-Marktplatz eingerichtet. Gefördert wird das Projekt vom bayerischen Wirtschaftsministerium, Günzburg ist eine von nur drei Modellstädten. Die Händler veröffentlichen auf dem Portal ihre Öffnungszeiten, Rabattaktionen oder Termine. Daneben können Kunden viele Produkte auch direkt online kaufen, im Stadtgebiet liefert ein Taxiunternehmen die Waren noch am selben Tag nach Hause.

    Günzburg ist Teil des Modellprojekts „Digitale Einkaufsstadt“

    Die Frau hinter dem Internet-Portal heißt Nikola Tesch, 29 Jahre, kurze braune Haare, große Brille und ein offenes Lachen. Tesch arbeitet seit eineinhalb Jahren als Citymanagerin in Günzburg. Jetzt sitzt sie in ihrem Büro in der Innenstadt, vor dem Schreibtisch stehen Kisten mit Flyern, Notizblöcken und Gummibärchen.

    Tesch ist eingestiegen, als das Projekt gerade Fahrt aufgenommen hat. Sie hat Händler von dem Konzept überzeugt, organisiert mit ihnen regelmäßige Veranstaltungen und hilft bei technischen Fragen. Wenn die Citymanagerin über das Projekt spricht, redet sie schnell und überschwänglich, man merkt, dass sie dafür brennt. Unter den Händlern, erzählt sie, ist in den vergangenen Monaten „ein richtiges Wir-Gefühl“ entstanden. Mit dem Modellprojekt habe sich ein regelmäßiger Stammtisch etabliert, bei dem Ideen ausgetauscht oder gemeinsame Aktionen geplant werden. „Heutzutage kann nicht mehr jeder vor sich hinarbeiten“, sagt Tesch. Stattdessen müssten sich Händler vernetzen, um gemeinsam Visionen für die Innenstadt zu entwickeln.

    Eine Bilanz will Tesch noch nicht ziehen, der Start liege ja noch nicht einmal ein Jahr zurück. Die Citymanagerin ist realistisch. Kein Händler und auch keine Kleinstadt, sagt sie, könne es mit der Marktmacht eines Amazon-Konzerns aufnehmen. „Aber uns geht es nicht ausschließlich um Umsätze und Zahlen.“ Stattdessen sei es wichtig, die Innenstadt im Internet sichtbar zu machen.

    Das Online-Portal soll den Besuch in der Fußgängerzone nicht ersetzen, sondern den Menschen zeigen, was ihre Heimatstadt bietet. Im besten Fall, betont Tesch, ist das mehr als eine Ansammlung von Läden. „Wir wollen, dass Einkaufen ein Erlebnis ist“, sagt sie. Nur so werde die Innenstadt auch für die bequem gewordenen Kunden wieder interessant. Es sind zwei Sätze, die wohl auch Hermann Oßwald, der Modehaus-Chef aus Memmingen, sofort unterschreiben würde.

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