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Interview: Chef des Euro-Rettungsschirms: "Griechenland macht große Fortschritte"

Interview

Chef des Euro-Rettungsschirms: "Griechenland macht große Fortschritte"

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    „Ein europäischer Finanzminister hat im Moment sicher keine Priorität“, sagt Klaus Regling, Chef des Euro-Rettungsschirms ESM. 
    „Ein europäischer Finanzminister hat im Moment sicher keine Priorität“, sagt Klaus Regling, Chef des Euro-Rettungsschirms ESM.  Foto: Ulrich Wagner

    Herr Regling, wie sieht die Lage in den Krisenländern heute aus? Haben sie nach den Hilfen des Rettungsschirms ESM die Krise hinter sich?

    Klaus Regling: Wir haben fünf Ländern geholfen: Portugal, Spanien, Irland, Zypern und Griechenland. Insgesamt haben wir 273 Milliarden Euro an Krediten vergeben – das ist eine riesige Summe. Vier der fünf Länder sind heute eindeutig Erfolgsgeschichten. Sie können sich selbstständig am Markt refinanzieren und haben mit die höchsten Wachstumsraten in Europa, die Arbeitslosigkeit sinkt und ist zum Beispiel in Irland niedriger als vor der Krise, in Spanien gibt es drei Prozent Beschäftigungswachstum. Das ist auch nicht verwunderlich, da diese Länder mehr Reformen umgesetzt haben als alle anderen auf der Welt.

    Der Problemfall bleibt wohl Griechenland?

    Regling: Griechenland ist das letzte Land, für das die Unterstützung noch läuft. Das Programm dauert hier bis August an. Das ist auch gut so, denn es gibt noch etwas zu tun in Griechenland. Aber auch dort gibt es große Fortschritte. Griechenland hatte 2009 das höchste Haushaltsdefizit, mehr als 15 Prozent der Wirtschaftsleistung. 2016 gab es eine „schwarze Null“ im griechischen Staatshaushalt – wie in Deutschland.

    Ist diese Erholung in Griechenland denn tragfähig?

    Regling: Wie gesagt, es gibt noch etwas zu tun, aber die Fortschritte sind stark. Griechenland hat seine Wettbewerbsfähigkeit wiedergewonnen. Die Gehälter und Pensionen sind um zwanzig bis vierzig Prozent gesunken. Das senkt die Preise, sodass das Land wieder wettbewerbsfähig ist. Auch das Leistungsbilanzdefizit geht zurück. Denn nicht nur der Tourismus boomt, auch die Exporte steigen. Der Fortschritt ist eindeutig und nachhaltig. Dieses Jahr werden 2,5 Prozent Wachstum erwartet.

    Wo bleibt noch Arbeit in Griechenland?

    Regling: Die Verwaltung ist immer noch schwach, die Steuerverwaltung zum Beispiel. Es gibt Probleme im Rechtssystem. Es muss weiter privatisiert und der öffentliche Dienst reformiert werden. Es wäre schade, wenn hier die bisherigen Fortschritte am Ende des Programms erschlaffen.

    Die griechischen Schulden bleiben hoch. Wie sehen Sie das Thema eines weiteren Schuldenschnitts?

    Regling: Griechenland hatte schon erhebliche Erleichterungen. Private Gläubiger hatten 2012 einen Schuldenschnitt von über 50 Prozent akzeptiert. Öffentliche Gläubiger akzeptieren aber keinen Schuldenschnitt. Stattdessen wird eine günstige Finanzierung gewährt, ohne dass der Steuerzahler in Deutschland Kosten hat. Es wird darüber nachgedacht, ob nochmals Erleichterungen am Ende des Programms notwendig sind, zum Beispiel längere Laufzeiten. Das alles ist aber kein Erlassen von Schulden.

    Regling sieht Griechenland auf einem guten Weg. Auch die Ratingagentur Fitch beurteilt die Kreditwürdigkeit des Euro-Krisenlandes nun positiver. Sie hob das entsprechende Rating von „B-“ auf „B“ an.
    Regling sieht Griechenland auf einem guten Weg. Auch die Ratingagentur Fitch beurteilt die Kreditwürdigkeit des Euro-Krisenlandes nun positiver. Sie hob das entsprechende Rating von „B-“ auf „B“ an. Foto: Thanassis Stavrakis, dpa

    Gibt es eine Chance, dass der Rettungsschirm die verliehenen 273 Milliarden jemals zurückbekommt?

    Regling: Ich bin überzeugt, dass alle Kredite zurückgezahlt werden. Ich weiß, in Deutschland gibt es hier große Skepsis. Namhafte deutsche Professoren haben vor fünf Jahren gesagt, dass Spanien die Kredite nie zurückzahlen wird. Das war Unsinn. Die Kredite werden bedient, die Zinsen gezahlt. Spanien tilgt seinen Kredit bereits vorzeitig.

    Welche Rolle sehen Sie dann für den Rettungsschirm in Zukunft? Haben Sie sich überflüssig gemacht?

    Regling: Ich denke, es ist wichtig, dass es langfristig einen Krisenmechanismus gibt. Unser Wirtschaftssystem hat von Zeit zu Zeit Krisen. Dass wir uns im Moment überflüssig gemacht haben, ist gut. Das war Ziel der Veranstaltung. Der Euro-Rettungsschirm ESM ist aber als eine permanente Institution angelegt. Es gibt zudem eine Diskussion, ob er im Zuge der Vertiefung der Währungsunion nicht zusätzliche Aufgaben übernehmen sollte. Die Euro-Finanzminister sind überwiegend der Meinung, dass EU-Kommission und ESM in Zukunft gemeinsam Reformprogramme für einen Mitgliedstaat konzipieren und verhandeln sollten, wenn dies in Zukunft wieder einmal nötig werden sollte.

    Müssten Sie als mehr tun als nur Geld geben? Also auch beraten und Reformen vorschlagen?

    Regling: Das wäre in der Tat mit so einem neuen Mandat für uns verbunden. In Griechenland sind wir aber schon in diese Rolle hineingewachsen. Nicht nur die Troika aus EU, EZB und IWF ist vor Ort, auch der ESM ist dabei. Aus der Troika ist ein Quartett geworden.

    Würden Sie sich eine stärkere Rolle wünschen?

    Regling: Es wäre sinnvoll. Zum einen scheint sich der Internationale Währungsfonds stärker aus Europa zurückzuziehen. Zum anderen sollte Europa vorbereitet sein, falls wieder einmal eine Krise kommt.

    Wird aus dem Rettungsschirm also ein Europäischer Währungsfonds, wie der IWF mit seinen 2500 Mitarbeitern?

    Regling: Das sehe ich nicht. Der IWF ist für die ganze Welt zuständig und damit ungleich größer. Zudem hat der ESM die EU-Kommission als Partner. Diese überwacht heute bereits die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Länder und gibt Empfehlungen. Die Zuständigkeiten der Kommission sind im EU-Vertrag geregelt und werden bleiben.

    Bisher ist der Rettungsschirm zwischenstaatlich und nicht Teil der EU. Wird das so bleiben?

    Regling: Es gibt eine Debatte darüber. Die Kommission möchte den ESM in den EU-Vertrag eingliedern und zu einem Europäischen Währungsfonds entwickeln. Ich bin der Meinung, dass es zwar gut wäre, dass der ESM in den EU-Vertrag kommt. Der Weg, den die Kommission vorschlägt, ist allerdings zwiespältig. Ich sehe für den ESM eine Rolle wie die Europäische Investitionsbank – diese ist im EU-Vertrag ausdrücklich erwähnt, aber sie ist relativ unabhängig von der Kommission und wird weitgehend durch die Mitgliedstaaten kontrolliert. Eine solche Stellung ist für den ESM nur erreichbar, wenn der EU-Vertrag geändert würde, was die nächsten Jahre kaum möglich sein dürfte.

    Bräuchten Sie mehr Geld?

    Regling: Nein, wir haben ein ungenutztes Kreditvolumen von 400 Milliarden Euro.

    Was halten Sie vom Vorstoß des französischen Präsidenten Macron, einen europäischen Finanzminister einzurichten?

    Regling: Das ist sicher keine Priorität im Moment, man kann sich aber überlegen, welche Aufgaben solch ein europäischer Finanzminister hätte. Er würde sicher der Eurogruppe vorsitzen, auch dem Aufsichtsgremium des ESM. Er könnte den Euroraum international repräsentieren. Die entscheidende Frage wird sein, ob der Euroraum einen eigenen Haushalt bekommt. Dazu gibt es im Moment keine Einigkeit.

    Ein anderes Thema: In Deutschland fürchten Volksbanken und Sparkassen eine europäische Einlagensicherung, weil sie damit vielleicht für ausländische Banken geradestehen müssten. Hat eine solche europäischen Einlagensicherung wirklich Sinn?

    Regling: Unter den europäischen Finanzministern besteht Einigkeit, dass die europäische Einlagensicherung eines Tages kommen sollte, weil sie für das reibungslose Funktionieren der Währungsunion gut wäre. Wichtig ist aber, dass erst Altlasten beseitigt werden, also alle faulen Kredite abgebaut und die Bankbilanzen bereinigt werden.

    Dann müssten also deutsche Sparer für ausländische Anleger haften, wie häufig kritisiert wird?

    Regling: Eine europäische Einlagensicherung ist auch in deutschem Interesse. Zum einen, weil alle Programme des Euro-Rettungsschirms damit kleiner gewesen wären. Ein Großteil unserer Gelder wurde verwendet, um Banken zu stabilisieren, bei denen es zu gewaltigen Depositenabzug kam. Zum anderen könnte es ja sein, dass auch deutsche Sparer eines Tages von der Sicherung profitieren. Und grundsätzlich würde der europäische Finanz- und Kapitalmarkt besser funktionieren, wenn die Bankenunion vervollständigt wird, wodurch die Kapitalflüsse aus Deutschland – das notwendige Gegenstück zu den deutsche Leistungsbilanzüberschüssen – reibungsloser erfolgen könnten.

    Ist es überhaupt das Richtige, Europa enger zusammenzurücken? Rechte und populistische Parteien in Europa suchen derzeit eher die Abgrenzung.

    Regling: Es gibt mehr populistische Parteien als früher. Auch in Deutschland. Dies ist besorgniserregend für mich. Es gibt aber auch die höchste Zustimmungsrate zum Euro seit 2004. Das ist erfreulich. Ich denke, es gibt auch Zustimmung dafür, dass Europa in bestimmten Bereichen mehr tun soll: In der gemeinsamen Grenzsicherung, dem Klimaschutz, der Terrorismusabwehr, aber auch für eine funktionierende Währungsunion, bei Themen also, die Staaten allein nicht bewältigen können.

    Zur Person: Klaus Regling, 67, geboren in Lübeck, ist Chef des permanenten Euro-Rettungsschirms ESM. Regling ist Volkswirt.

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