
Wie sich der lahme Netzausbau in Corona-Zeiten rächt

Plus Die Pandemie legt Versäumnisse in Bayern offen. Die Opposition und Wirtschaft fordern Konsequenzen, wenn Bayern wettbewerbsfähig bleiben soll.
Wenn derzeit sehr viele Unternehmen ihr Geschäft aus dem „Homeoffice“ steuern, bleibt bei so manchem Mitarbeiter in Videokonferenzen die Kamera dunkel: In vielen bayerischen Landstrichen wird die Arbeit übers Internet zur Geduldsprobe. Und das selbst am Telefon, wie der Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags, Manfred Gößl erzählen kann: „Kürzlich berichtete mir eine Unternehmerin, dass sie zum Telefonieren mit ihrem geschäftlichen Mobiltelefon regelmäßig auf der Terrasse stehen muss, um Empfang zu haben.“
Seit Jahren ärgern sich viele Unternehmen ebenso wie Normalbürger über die vor allem auf dem Land oft schlechte Internet- und Mobilfunkversorgung. „Schon vor der Pandemie klagten viele Unternehmen über unzureichende Festnetz- und Mobilfunk-Versorgung: in einer IHK München-Umfrage aus 2019 waren grob 40 Prozent der Unternehmen damit unzufrieden“, sagt Hauptgeschäftsführer Gößl.
Ein Viertel der Gewerbegebiete hat kein Breitband-Internet
Laut Bundesregierung hatten vergangenes Jahr noch 3473 Gewerbegebiete und damit mehr als ein Viertel in Bayern keinen Breitbandanschluss. „Die Internetversorgung insbesondere im ländlichen Raum ist trotz der sehr umfangreichen Maßnahmen der letzten Jahre, vor allem durch die bayerischen Förderprogramme, nach wie vor nicht zufriedenstellend“, kritisiert Gößl. Das liege auch daran, dass der Bedarf an Breitband ständig steige, noch mal verstärkt durch die Corona-Krise.
Für spezielle Anforderungen, wie sie heute üblich seien, reichten die vorhandenen Netze oft nicht aus: „In Unternehmen mit mehreren parallelen Nutzern und Branchenanwendungen, höherem Datenvolumen, das ausgetauscht werden muss und international vernetztem Arbeiten kommt es auf Schnelligkeit und Stabilität im Download wie auch im Upload an“, sagt Gößl. Die Pandemie sei nur der letzte Beleg dafür, dass der Weg zu reinen Glasfasernetzen unumgänglich sei.
Internetausbau in Bayern: Grüne kritisieren "CSU-Versäumnispolitik"
Auch der Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann kämpft seit Jahren für einen schnelleren Internetausbau auf dem Land: „Jenseits von Corona gab es für mich diese Woche so etwas wie ein Schlüsselerlebnis, das mir die Dimension der digitalen Rückständigkeit Bayerns wieder klar gemacht hat“, erzählt er: „Das EU-Zentrum für Cybersicherheit, für das sich die bayerische Regierung beworben hatte, geht nach Rumänien. Das ist das Land mit dem schnellsten Internet in ganz Europa, wir stehen hier auf Platz 20.“
Das Beispiel zeige, dass Bayern seine Zukunft verspiele, wenn es seine digitalen Hausaufgaben nicht mache. „Wir brauchen endlich flächendeckend Glasfaser in jedes Haus und müssen den Rückstand jahrzehntelanger CSU-Versäumnispolitik dringend aufholen“, sagt Hartmann.
Doch seit diesem Jahr hat die Staatsregierung nochmals ein neues Förderprogramm aufgelegt, um überall den Glasfaserausbau zu fördern, selbst dort wo eine gute Kupferkabel-Versorgung gewährleistet ist. CSU-Digitalministerin Judith Gerlach sagte in einem Interview mit unserer Redaktion, dass der langsame Ausbau der Netze nicht an mangelnder Förderung durch den Freistaat liege: „Das Problem ist, dass trotz des Geldes zu wenig gebaut wird“, betonte sie. „Die Kommunen brauchen eben Tiefbaufirmen, die ihnen die Leitungen unter die Erde legen“, sagte Gerlach. Ebenso mangele es vor Ort oft an interessierten Netzbetreibern.
Gemeindebund beklagt träge Förderverfahren beim Breitbandausbau
„Das ist vollumfänglich korrekt“, sagt der Präsident des Bayerischen Gemeindetags Uwe Brandl. Allerdings seien die Förderprogramme vor allem wegen Auflagen der EU nicht so straff, wie es nötig wäre, sondern die Verfahren träge. „Insgesamt meine ich aber noch immer, dass wir gut beraten gewesen wären die Schaffung einer leistungsfähigen Gigabitinfrastruktur als Staatsaufgabe zu verstehen“, sagt der CSU-Bürgermeister von Abensberg. „Der Bund und die Länder hätten diese Infrastruktur in eigener Zuständigkeit errichten müssen, das gilt auch für den Mobilfunk. Der Zug ist jetzt wohl abgefahren.“
Doch als Folge der Corona-Krise werde es in Zukunft für manche Kommune schwerer werden, den erforderlichen Eigenbeteiligungsbetrag zu leisten, sagt Brandl. Dabei habe die Pandemie jedoch gezeigt, dass eine flächendeckende starke Internetversorgung nicht nur für die Aufrechterhaltung von Bildung, Kommunikation und die Wirtschaft unerlässlich sei, sondern auch für das soziale Miteinander.
„Wir sollten den Mut haben, vieles zentraler und damit schneller zu regeln, Förderprogramme zu vereinfachen und zu straffen“, sagt Brandl. „Es kann nicht sein, dass jeder nach 5G schreit, den notwendigen Mast in seiner eigenen Nachbarschaft aber bis aufs Blut bekämpft. So werden wir Schlusslicht in Europa.“
Wirtschaft fordert Glasfaser für alle bis 2023
So fordert auch die bayerische Wirtschaft einen schnelleren Glasfaser-Ausbau. „Ohne die Glasfaser-Technologie wird unser Wirtschaftsstandort an Wettbewerbsfähigkeit verlieren“, warnt der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, Bertram Brossardt. Auch nach der Pandemie werde der Bedarf angesichts neuer technischer Möglichkeiten und Innovationen weiter rasant steigen. Bis 2023 müsse jedes Unternehmen Zugang zu einem Glasfaser-Anschluss haben.
Auch die IHK-Schwaben berichtet, dass die Corona-Pandemie viele Probleme verschärft habe: „Anders als befürchtet hat das Internet die Belastungsprobe vielerorts zwar bestanden; dort wo es aber auf große Datenvolumen zum Beispiel für Videokonferenzen oder Up- und Downloads ankam, hat man aber auch ganz klar die Grenzen erkannt“, sagt der IHK-Infrastruktur-Experte Peter Stöferle. Dabei gebe es ein klares Stadt-Land-Gefälle. „Corona hat uns aber gelehrt, dass Breitbandausbau überall gleichermaßen wichtig ist: In Gewerbegebieten ebenso wie dort, wo die Menschen wohnen und ins Homeoffice oder Homeschooling gehen“, sagt der IHK-Experte.
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