Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Neue Vorwürfe: Datenschützer: Lidl filmte Kunden bei EC-Kartenzahlung

Neue Vorwürfe

Datenschützer: Lidl filmte Kunden bei EC-Kartenzahlung

    • |
    Lidl soll eigene Mitarbeiter systematisch überwacht haben.
    Lidl soll eigene Mitarbeiter systematisch überwacht haben. Foto: DPA

    "Eine systematische heimliche Überwachung ohne konkreten Verdacht eines schwerwiegenden Vergehens greift in unzulässiger Weise in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer ein", sagt Marit Hansen, stellvertretende Leiterin des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz. "Zudem sind nicht nur die Mitarbeiter betroffen. Wie auf den veröffentlichten Kamerabildern zu sehen ist, wurden im Kassenbereich zum Beispiel auch die Eingabegeräte erfasst, in die die Kunden bei Kartenzahlung ihre Geheimzahlen eingeben."

    Zuvor hatte das Magazin Stern Vorwürfe erhoben, Lidl spähe seine Mitarbeiter aus und sich auf interne Protokolle des Unternehmens berufen. Darin finden sich dem Bericht zufolge häufig Banalitäten, geringschätzige Bemerkungen über Mitarbeiter, aber auch Anmerkungen über die Häufigkeit von Toilettengängen und private Verhältnisse. So sei über eine Mitarbeiterin behauptet worden: "Von einer Privatinsolvenz und der damit verbundenen Enthaltsamkeit keine Spur. Frau L. raucht in Deutschland versteuerte Markenzigaretten ...". In einem anderen Protokoll heiße es: "Frau M. ist an beiden Unterarmen tätowiert, diese sehen jedoch mehr nach Marke "Eigenbau" aus."

    Die meisten Überwachungsberichte sollen aus Filialen in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Berlin und Schleswig-Holstein kommen. Dem Bericht zufolge zeigten die Protokolle auf, dass immer am Montagmorgen jeweils in einer anderen Filiale Konzernmitarbeiter fünf bis zehn winzige Kameras installierten.

    Zudem seien Monitore im Pausenraum aufgestellt worden und ein Detektiv sei mit Diktiergerät durch den Discounter gelaufen. Er habe die Aufgabe gehabt, mehr über die Mitarbeiter, auch den Filialleiter, herauszufinden. Nach einer Woche, so der Stern, hätten die Überwacher ihre Informationen aufgeschrieben und diese an die Lidl-Regionalleitung weitergeleitet.

    In einem Brief der Lidl-Geschäftsführung an die Mitarbeiter heißt es: "Wenn Sie sich in Misskredit gebracht und persönlich verletzt fühlen, so bedauern wir dies außerordentlich und entschuldigen uns dafür bei Ihnen." Das Schreiben ist nach Lidl-Angaben an alle 48.000 Mitarbeiter in Deutschland gegangen.

    Lidl teilte mit, "Inventurkontrollen", bei denen Detekteien eingesetzt worden seien, habe es in etwa 200 Lidl-Filialen in Deutschland gegeben. Das entspreche etwa acht Prozent des deutschen Filialnetzes. Die Lidl- Sprecherin sagte, es sei um "Warensicherungsmaßnahmen" gegangen.

    Bereits am Mittwoch räumte Jürgen Kisseberth, Mitglied der Lidl-Geschäftsleitung, ein, dass in einzelnen Filialen möglicherweise Bespitzelungsaufträge erteilt worden sind. "Das war aber nicht der Auftrag der Geschäftsleitung." Der Heilbronner Stimme sagte er, dass 2006 Detektive in etwa 150 Filialen tätig gewesen seien und 2007 in rund 210. Das werde jetzt nicht mehr passieren. "Wir gehen kein Risiko mehr ein", betonte Kisseberth. "Es tut uns leid. Wir können uns bei den betroffenen Mitarbeitern nur entschuldigen", zitiert Spiegel Online den Manager.

    Erst wenn alle Aufträge im Bundesgebiet geprüft worden seien, könnten alle Verdachtsmomente vollständig ausgeschlossen werden, betonte Kisseberth. Ihm lägen aber entsprechende Protokolle vor. Ob die Initiative dazu von den Detektiven oder Filialleitern ausgegangen sei, könne er nicht sagen. Lidl habe die Zusammenarbeit mit einer Detektei mittlerweile beendet und werde künftig nur noch mit sichtbar angebrachten Kamerasystemen in den Läden arbeiten.

    Politiker verschiedener Parteien zeigten sich empört über die Vorfälle. Nach Einschätzung einer Sprecherin des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit sind verdeckte Videoüberwachungen von Mitarbeitern kein Einzelfall. Dies sei aber nur als letzte Möglichkeit und über einen kurzen Zeitraum gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber beispielsweise gegen Diebstahl schützen wolle. In der Regel sei dieses Vorgehen aber ein Verstoß gegen das Datenschutzgesetz.

    Wilfried Burger, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Augsburg, sieht durch einen möglichen Verstoß gegen das Datenschutzgesetz auch die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter verletzt. Diese sind im Grundgesetz verankert. "Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Beschäftigten", sagte Burger.

    Er schließt auch einen möglichen Verstoß von Lidl gegen das Betriebsverfassungsgesetz nicht aus. In diesem sind die Mitwirkungsrechte der Beschäftigten festgelegt, unter anderem die Informationspflicht des Arbeitgebers.

    Die Grünen forderten Sanktionen gegen Lidl, da nach ihrer Auffassung gegen den Datenschutz verstoßen wurde. Ver.di prangert schon seit Jahren Methoden an, mit denen sich Lidl aus Sicht der Gewerkschaft gegen die Bestellung von Betriebsräten wehrt und hat darüber auch ein "Schwarzbuch" veröffentlicht. Lidl selbst erklärte, künftig keine Detektivbüros mehr mit der Überwachung der Filialen zu beauftragen.

    Die Gewerkschaft ver.di geht nach den am Mittwoch bekanntgewordenen Bespitzelungen von Lidl-Mitarbeitern massiv gegen den Lebensmitteldiscounter vor. Am Donnerstag rief ver.di die Beschäftigten zu Schadensersatzerklagen auf. Dadurch solle der Druck auf den Konzern erhöht werden, um so die Zulassung von Betriebsräten zu erreichen.

    Es ist nicht das erste Mal, dass ver.di gegen den Discounter vorgeht. Ende 2004 hatte die Gewerkschaft ein "Schwarzbuch Lidl" veröffentlicht und darin "arbeitnehmerfeindliche" Züge des Lidl-Systems angeprangert. Demnach verhinderte die zur Schwarz-Gruppe gehörende Handelskette unter anderem "mit aller Gewalt" die Gründung von Betriebsräten. Bereits damals habe ver.di darauf hingewiesen, dass "solche Machenschaften durchaus üblich sind, auch bei anderen Discountern", sagte der ver.di-Sekretär im Fachbereich Handel, Achim Neumann. Nur die Dimension sei jetzt überraschend gewesen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden