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Peter Bofinger: Wirtschaftsweiser Bofinger: "Agenda 2010 wird völlig überschätzt"

Peter Bofinger

Wirtschaftsweiser Bofinger: "Agenda 2010 wird völlig überschätzt"

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    Peter Bofinger war im Rat der "Wirtschaftsweisen" oft anderer Meinung als seine Kollegen.
    Peter Bofinger war im Rat der "Wirtschaftsweisen" oft anderer Meinung als seine Kollegen. Foto: Michael Kappeler, dpa (Archiv)

    Herr Bofinger, was machen Sie ab März mit Ihrer freien Zeit?

    Peter Bofinger: Ich bin ja weiter als Professor an der Uni Würzburg tätig und will mich verstärkt der China-Forschung und dem Wachstum dort widmen. Die deutsche Wirtschaftswissenschaft beschäftigt sich noch erstaunlich wenig mit China.

    Ruft eigentlich mal ein Minister bei Ihnen an und holt sich Rat ein?

    Bofinger: In der alten Koalition habe ich mit Herrn Gabriel häufiger telefoniert und mich mit ihm getroffen. Mit dem neuen Wirtschaftsminister hat das noch nicht stattgefunden.

    Werden Sie auch privat von Leuten nach Rat gefragt?

    Bofinger: Ja, die Leute fragen manchmal. Was ich grundsätzlich nicht mache: spezielle Aktientipps zu geben. Meine Prognosen sind da zu schlecht.

    Verhalten Sie sich als Privatmann so wie der Wirtschaftsweise? Dann müssten Sie in der Null-Zins-Phase gerade ordentlich Geld ausgeben.

    Bofinger: Es ist ja ein Unterschied, ob man als Staat, Unternehmer oder als Professor agiert. Da ist es besser, vorsichtig zu sein und nicht in großem Stile Kredite aufzunehmen.

    Also privat steht bei Ihnen die schwarze Null?

    Bofinger: Ja. Aber Ihre Frage verdeutlicht den Denkfehler, den die Leute machen: Sie übertragen das Denken eines Privathaushalts auf den Staat. Eine Privatperson kann nur in einer bestimmten Lebensphase ein hohes Einkommen erzielen und muss damit auch für das Alter sorgen. Staaten dagegen leben ewig und sollten wie vernünftige Unternehmen handeln: Wenn die Investition eine Rendite bringt, die höher ist als die Verzinsung, sollte man in die Verschuldung gehen.

    Ein Land, dem es so gut geht, in dem aber Schulen und Straßen marode sind. Wie passt das zusammen?

    Bofinger: Wir haben so große ungenutzte Finanzspielräume wie kein anderes Land! Wir sollten dazu übergehen, die öffentliche Verschuldung nicht in Euro, sondern im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung konstant zu halten. Dann hätten wir jedes Jahr 60 Milliarden Euro mehr zum Investieren – in Bildung, Infrastruktur, Bahn oder Umwelt.

    Warum hört ein SPD-Finanzminister nicht auf den "linken" Wirtschaftsweisen Bofinger und pocht auf die schwarze Null?

    Bofinger: Weil die schwarze Null in Politik und Öffentlichkeit sehr ideologisch gesehen wird. Das hat sich festgesetzt. Wenn man in 20 bis 30 Jahren auf unsere Zeit zurückschaut, wird man fragen: Wie konnten die Briten so bescheuert sein, den Brexit zu machen. Und warum haben wir in Deutschland an einer reinen Ideologie festgehalten, die uns so viele Potenziale genommen hat, unser Land noch viel stärker zu machen. Es gibt keinerlei ökonomische Rechtfertigung für diese schwarze Null.

    Vergangenes Jahr wurden Sie von ihren Kollegen im Sachverständigenrat angegangen, weil Sie sich in einem Gastbeitrag für mehr staatliche Lenkung ausgesprochen haben.

    Bofinger: Das klingt zu planwirtschaftlich. Die Frage ist doch: Wie schaffen wir es, dass die großen Technologiesprünge auch weiterhin bei uns in Deutschland stattfinden? Die Batteriezellen kommen zum größten Teil aus China. Das haben wir schon fast verpennt.

    Aber lässt sich das staatlich verordnen?

    Bofinger: Natürlich. Schauen Sie nach China: Dort hat der Staat so viel Geld in die Entwicklung der Solarenergie gepumpt, dass die Chinesen dominant wurden und unsere Solarindustrie kaputt gemacht haben.

    Bofinger gegen den Rest: Sie haben in 15 Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen 52 Minderheitsvoten abgegeben. Sind waren im Rat der "Mr. Minderheit". Sind Sie stolz darauf?

    Bofinger: Nein. Mir wäre es lieber gewesen, mit vier ähnlich denkenden Ökonomen die Zeit zu verbringen. Da hätte man konstruktivere Lösungen erarbeiten können.

    Sind Sie im Nachhinein von der Politik auch mal gelobt worden?

    Bofinger: Lob bekommt man nicht wirklich. Aber als Herr Draghi als EZB-Präsident zu meinem Ausscheiden gesagt hat: "This will be a disaster" – das war schon nett.

    Mit welchen Politikern sind Sie per Du?

    Bofinger: Mit keinem, das hat sich nicht ergeben.

    Haben Sie sich auch mal so richtig getäuscht?

    Bofinger: Die Entwicklung vor der Finanzkrise 2008 habe ich nicht richtig wahrgenommen. Es hatte sich eine Riesenwelle aufgebaut, die habe ich nicht gesehen – wie die meisten anderen Wirtschaftswissenschaftler auch.

    Haben Sie sich im Sachverständigenrat in den 15 Jahren verändert?

    Bofinger: Rückblickend muss ich sagen, dass ich gleich nach der Ernennung 2004 etwas forsch war. Ich hatte schon vorher über die Medien Vorschläge gemacht – das kam nicht so gut an und die Stimmung war im ersten Jahr relativ schlecht. Aber man hat sich die Hörner abgestoßen.

    Hält es frisch und agil, wenn man der Provokateur ist?

    Bofinger: Es geht nicht um die Provokation. Aber es ist doch der Job von Wissenschaftlern, bestimmte Sichtweisen zu hinterfragen und nicht alles zu glauben. Hartz IV ist so ein Beispiel. Finden alle großartig, aber dann schauen Sie sich mal die Fakten an.

    Hat nicht die Agenda 2010 den Erfolg der letzten Jahre erst ermöglicht?

    Bofinger: Überhaupt nicht. Die Agenda 2010 wird völlig überschätzt. Wenn man die alten Bundesländer 2001 und 2016 vergleicht, dann haben wir gerade mal 90.000 Langzeitarbeitslose weniger. Und es gab 2016 sogar mehr Arbeitslose mit einem Leistungsanspruch als 2001. Warum ist denn die deutsche Wirtschaft in den letzten zehn Jahren super gelaufen? Doch nicht, weil man Druck auf ältere, qualifizierte Arbeitslose gemacht hat, sondern weil wir eine fantastische Unternehmenslandschaft und engagierte Arbeitnehmer haben.

    Zur Person: Peter Bofinger hat an der Universität Würzburg seit 1991 den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Geld und internationale Wirtschaftsbeziehungen inne. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Europäische Integration, die Geld- und Währungspolitik und die Energiepolitik. 2004 wurde er einer von fünf "Wirtschaftsweisen", Ende Februar scheidet er aus. Damit ist Bofinger einer von nur drei "Wirtschaftsweisen" mit drei Amtszeiten. Der 64-Jährige hat eine Tochter und lebt heute mit seinem Partner in einer eingetragenen Lebensgemeinschaft.

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