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Interview: Professor Sonntag, wie beugt man Stress in der Arbeit vor?

Interview

Professor Sonntag, wie beugt man Stress in der Arbeit vor?

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    53 Prozent der Beschäftigten fühlen sich in der Arbeit oft gehetzt, hat eine Studie ergeben.
    53 Prozent der Beschäftigten fühlen sich in der Arbeit oft gehetzt, hat eine Studie ergeben. Foto: Frank Rumpenhorst, dpa

    Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat am Donnerstag seinen Index für gute Arbeit vorgestellt. Ein Ergebnis war, dass 53 Prozent der Arbeitnehmer sich gehetzt fühlen. Ist das schon alarmierend, Herr Professor Sonntag?

    Prof. Karlheinz Sonntag: Es ist  zunächst mal ein Hinweis, dass eine Arbeitsverdichtung stattfindet. Das hat nicht nur die Gewerkschaftsstudie gezeigt. Das zeigen auch Studien, an denen deutlich mehr Beschäftigte teilgenommen haben. Das liegt daran, dass wir heute oft viele Aufgaben gleichzeitig erledigen müssen. Das Stichwort ist Multitasking. Des Weiteren haben die Arbeitsunterbrechungen zugenommen. Und auch die Informationsdichte und die Geschwindigkeit, mit der die Informationen verarbeitet werden müssen, sind gestiegen. Das liegt zum einen an der Digitalisierung. Aber sie ist nicht der einzige Grund für eine Arbeitsverdichtung. Die Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes zeigt ja auch, dass die Arbeitsverdichtung oft in Branchen stattfindet, in denen Personal fehlt. In den Branchen Erziehung, Gastgewerbe und im Gesundheitswesen, und hier vor allem in der Pflege.

    Es gibt ja das Vorurteil, dass vor allem die Digitalisierung dazu beiträgt, dass die Arbeit verdichtet wird. Was ist da dran?

    Sonntag: Auch das belegen Studien. Es gibt zum Beispiel den Digitalisierungsmonitor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus dem Jahr 2016. Dort haben 65 Prozent der Befragten angegeben, dass sie eine Verdichtung der Arbeit wahrnehmen. Die Befragten gaben an, dass sie immer mehr Aufgaben in der gleichen Zeit erledigen müssen, und dass die Aufgaben immer schneller zu bewältigen sind. Diese Arbeitsverdichtung durch Digitalisierung betrifft vor allem IT-Fachkräfte, Menschen in Führungspositionen und in wissenschaftlichen Berufen.

    Welche Belastung entsteht durch Digitalisierung?

    Sonntag: Zum einen nimmt die Informationsmenge zu. Diese Informationen treffen immer schneller ein und sie müssen direkt verarbeitet werden. Und zum anderen kommt es häufiger zu Arbeitsunterbrechung. Zum Beispiel dadurch, dass die Systeme nicht stabil arbeiten. Sie stürzen immer wieder ab. Oder es treten technische Störungen auf. Bis dann alles wieder läuft, dauert es. Das führt zu Frustration und das Stresslevel steigt.

    Die ideale - das heißt stressreduzierte - Arbeitswelt wäre also eine, in der man eine Aufgabe beginnt und dann ohne Unterbrechung solange daran arbeiten kann, bis sie fertig ist.

    Sonntag: Ja, ideal vielleicht. Aber das gab es ja noch nie. Selbst ohne Digitalisierung konnte man nicht ohne Unterbrechungen arbeiten. So hat beispielsweise jemand an die Bürotür geklopft und wollte etwas wissen. Das hat die Arbeit auch unterbrochen.

    Digitalisierung soll ja eigentlich vieles leichter machen und die Arbeit vereinfachen. Stattdessen scheinen sich viele Menschen von ihr gestresst zu fühlen. Woher kommt das?

    Sonntag: Es stimmt, Digitalisierung bietet Chancen. Arbeit kann zum Beispiel flexibler und mobiler gestaltet werden. Mitarbeiter und Führungskräfte können leichter im Home-Office arbeiten, oder auch mal abends. Das ist ein Vorteil. Guckt man sich dagegen an, viele E-Mails jemand bekommt und damit umgehen muss. Oder bei wie vielen E-Mails er in CC gesetzt wird - was wiederum bewirkt, dass die Anzahl nicht relevanter E-Mails ansteigt -, ist das durchaus belastend. Das Gute ist allerdings, Mitarbeiter und Führungskräfte haben das selbst in der Hand. Sie können es grundsätzlich steuern, wann geantwortet wird, wie wichtig etwas ist und wer in CC gesetzt wird. Das setzt aber in hohem Maße Selbstdisziplin voraus.

    Woran merkt der Einzelne, dass es ihm zu viel wird?

    Sonntag: Dabei ist es ganz wichtig, dass man nicht nur die Arbeit anschaut. Negative Beanspruchungsfolgen wie Burn-Out oder Stresserleben entstehen nicht nur daraus, dass es in der Arbeit psychische Belastungsfaktoren gibt. Der Mensch hat verschiedene Lebensbereiche: Arbeit, Partnerschaft, Hobbys und Freizeitaktivitäten, Freundeskreis und Familie. Auf all diesen Feldern kann Stress entstehen. Wenn es also nicht nur in der Arbeit „stressig“ ist, sondern beispielsweise auch in der Partnerschaft etwas nicht gut läuft und wenn diese Stressoren über längere Zeit andauern, dann wird es irgendwann zu viel. Wie sehr sich andere Faktoren auf das Stressempfinden auswirken, merkt man zum Beispiel schon daran, wie man sich fühlt, wenn man morgens im Stau gestanden ist. Oder wenn ein sonniger Tag den Arbeitsbeginn verschönert. Wann es dem Einzelnen zu viel wird, lässt sich außerdem nicht pauschalisieren. Jeder Mensch geht anders mit Stress um.

    Wie lässt sich dem Stress denn vorbeugen?

    Sonntag: Da gibt es zwei Aspekte. Der eine ist Eigenverantwortung. Es gibt einen schönen Begriff: Fear of Missing out - kurz Fomo. Das ist die Angst, die wir alle kennen, etwas zu verpassen. Wir haben dann das Gefühl wir müssen überall dabei sein. Dagegen muss man angehen. Man muss auch mal sagen können: Da bin ich jetzt nicht dabei. Das ist für mich jetzt nicht wichtig. Den privaten Terminkalender auszumisten, dafür ist jeder selbst verantwortlich. Das muss man abwägen und auch mal Nein sagen können.

    Und der andere Aspekt?

    Sonntag: Der liegt beim Arbeitgeber. So ist beispielsweise nach dem Arbeitsschutzgesetz die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen vorgeschrieben, um mögliche gesundheitsgefährdende Risiken zu identifizieren und abzubauen. Ein weiterer Punkt ist die Wertschätzung des Mitarbeiters durch die Führungskraft. Dazu gehört beispielsweise auch, akuten familiären Problemen entsprechend  aufgeschlossen gegenüber zu stehen. Zudem sollten Angestellte über einen gewissen Handlungsspielraum verfügen, um bei Arbeitsverdichtung ihre Arbeit entsprechend gestalten zu können. Das gilt für Mitarbeiter und Führungskräfte. Auch das mittlere Management mag es nicht, wenn ihm etwas von der Geschäftsführung oder vom Vorstand vorgesetzt wird, ohne dass es in bestimmte Entscheidungsprozess miteinbezogen wurde. Es geht also immer um wertschätzende Interaktion zwischen Mitarbeiter und Führungskraft - auf allen Hierarchieebenen.

    Zur Person Professor Karlheinz Sonntag arbeitet am psychologischen Institut der Uni Heidelberg und ist dort für den Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie zuständig. Er war unter anderem am Projekt Mega - Maßnahmen und Empfehlungen für die gesunde Arbeit von morgen - beteiligt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt wurde. Dort hat er zusammen mit Kollegen eine Toolbox entwickelt, wie psychische Belastungen reduziert werden können. An ihr können sich Unternehmen orientieren. Für alle, denen Abschalten schwer fällt, gibt es online das Work-Life-Balance-Training mit konkreten Hilfestellungen.

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