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Weihnachtsstress: Schleppen, abgeben, beeilen: Paketzusteller erzählen von ihrem Job

Weihnachtsstress

Schleppen, abgeben, beeilen: Paketzusteller erzählen von ihrem Job

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    Es gibt Paketzusteller, die klagen. Felice Iannone gehört nicht dazu. Seit 21 Jahren liefert er Pakete aus – und wird besser bezahlt als andere Kollegen.
    Es gibt Paketzusteller, die klagen. Felice Iannone gehört nicht dazu. Seit 21 Jahren liefert er Pakete aus – und wird besser bezahlt als andere Kollegen. Foto: Sebastian Raviol

    Patrick Mahler fährt mit seinem DHL-Transporter auf dem Gehweg einer Kleinstadt in Oberbayern. Entgegen der Fahrtrichtung. Die dunkelblonden Haare liegen ihm im Gesicht – dort bleiben sie den Tag über auch. Er schaut nach links, zählt langsam die Hausnummern mit. 20, 22, 24. „Der Gehweg, dein Freund und Helfer“, sagt er und stellt seinen Wagen nach 30 Metern ab. „In manchen Bezirken fahre ich mehr auf dem Bordstein als auf der Straße.“ Alltag. „Wir haben gar nicht die Zeit, wie in der Fahrschule zu fahren.“ Auch nicht die Zeit, an allen roten Ampeln zu halten. „Selbst schuld, wer da stehen bleibt“, sagt Mahler.

    Patrick Mahler, der in Wirklichkeit anders heißt, ist Paketzusteller. Er trägt Nike-Sportschuhe, Pullover und eine silberne Halskette unter der Weste. Mit seinen leicht angegrauten Haaren sieht er älter aus als 27. Mahler hat schon alles gemacht. Einparker, Stuckateur, Staplerfahrer – insgesamt für elf Zeitarbeitsfirmen. Dann wurde er Paketzusteller bei der DHL. Es ist der stressigste seiner bisherigen Berufe. Mahler sieht, was in der Branche schiefläuft, die derzeit mehr denn je in der Kritik steht.

    "Die Gerüchte stimmen"

    Er wuchtet das erste Paket aus dem Laderaum auf die Sackkarre und sagt: „Die Gerüchte stimmen.“ Zusteller, die gar nicht erst beim Kunden klingeln, sondern nur eine Abholkarte in den Briefkasten werfen. Schlechte Bezahlung, miese Stimmung, Dauerstress. „Manchmal wird es mir zu viel“, sagt er. „Ich habe dann schon mal gegen ein Paket getreten.“ Mahler will erklären, warum er und viele seiner Kollegen an ihre Grenzen stoßen.

    Als er am Vormittag aufbricht, liegen 150 Pakete im Laderaum seines Transporters. „Das ist wenig, heute ist es ruhig.“ Manche Pakete wiegen 300 Gramm, andere 30 Kilo. Mahler geht von Haus zu Haus, 15 Kilometer am Tag, hat er mal überschlagen. Er sprintet nicht, wie manche seiner Kollegen, die um ihren Job fürchten, wenn sie am Abend mit nicht ausgelieferten Paketen in die Zentrale zurückkehren. Er lässt sich von seinem Arbeitgeber nicht unter Druck setzen – was zu viel ist, ist zu viel. Wenn am Abend noch Pakete übrig sind, fährt er damit zurück zur Zentrale. Er weiß, Paketboten sind knapp, das Unternehmen wird ihn kaum feuern.

    Viele Paketzusteller brauchen einen Zweitjob

    Andere haben Angst um ihre Existenz, sie brauchen sogar einen Zweitjob: „Ganz viele Kollegen fahren am Abend noch Pizza aus“, sagt Mahler. Jetzt, im Weihnachtsgeschäft, ist der Druck noch höher: Die DHL rechnet mit doppelt so vielen Paketen wie sonst. Im Lagerraum von Mahler stapeln sich dann gerne mal 100 Pakete mehr.

    Den Zustellern von Hermes, DPD und UPS geht es ähnlich. Sie drohten zuletzt mit Streiks, ehe Verdi das Ende der Tarifverhandlungen verkündete. Ab März 2018 bekommen die Fahrer 4,9 Prozent mehr Lohn. Auch Zusteller der DHL-Tochter Delivery gingen auf die Barrikaden. „Mit der Delivery wurde alles schlechter“, sagt Mahler. Um dieses Kapitel zu erzählen, muss er stehen bleiben, er stellt die volle Sackkarre ab. Es hat sich viel angestaut. Er war eigentlich zufrieden mit seinem befristeten Vertrag. Dann, an einem Abend vor eineinhalb Jahren, änderte sich alles.

    Er und 20 andere Mitarbeiter wurden zu einer Versammlung einbestellt. Sie sollten von nun an für das Tochterunternehmen Delivery arbeiten und nicht mehr nach DHL-Haustarif bezahlt werden. Viele Zulagen fielen damit weg. Mahler berichtet: „Es hieß: Nimm das Angebot an oder du bist weg.“ Er entschied sich gegen die Arbeitslosigkeit. Den Vertrag konnte er nicht in Ruhe einsehen, auch nicht mitnehmen. „Ich wusste nur das Gehalt, die Urlaubstage und dass mein Weihnachtsgeld wegfällt.“ Letzteres bedeutet für ihn 1000 Euro weniger. Er muss nun mehr Stunden pro Woche arbeiten – ohne wesentlich mehr zu verdienen. „Der einzige Vorteil ist, dass ich jetzt einen unbefristeten Vertrag habe.“ Eigentlich stehen ihm auch zwölf Euro Spesen pro Tag zu. Bislang wurden ihm nur zwei Tage ausgezahlt.

    Stimmung auf dem Tiefpunkt

    Mahler spürt den Sparkurs der DHL aber nicht nur an seinem Geldbeutel. Er zeigt auf einen Riss an der rechten Seite seines Transporters. Der stört ihn nicht. Gefährliche Mängel an anderen Fahrzeugen, mit denen er manchmal unterwegs ist, schon. Es gibt einen Transporter, den die Fahrer mehrmals am Tag mit einem Starthilfegerät anlassen müssen. Ein Fahrzeug gibt ab 40 Stundenkilometern kein Gas mehr, bei einem anderen ist das Trittbrett hinüber. Mahler schimpft: „An den Autos wird nichts mehr gemacht.“ Die Stimmung unter den Kollegen sei am Tiefpunkt angelangt.

    Und dann sind da noch die Kollegen, die ständig wechseln. In München und im Umland wirbt die Deutsche Post mit Briefen und Flyern um neue Mitarbeiter. „Bei mir fährt fast jeden Tag jemand zum Einlernen mit“, sagt Mahler. Manche könnten gar kein Deutsch. „Nach dem ersten Tag, an dem sie dann selbst fahren mussten, kündigen die meisten.“ Die Folge der hohen Fluktuation: Die Klagen häufen sich. Das bekommt auch Mahler zu spüren. Auf seiner Tour wird er schon mal beschimpft, obwohl er alles richtig macht. Manche Kunden sind einfach nur genervt.

    Mahler steht vor einem Mehrfamilienhaus mit fünf Etagen und klingelt bei vier Bewohnern gleichzeitig. Es dauert, bis zwei von ihnen antworten und er zuordnen kann, wer das genau war. „Hier klingeln viele Kollegen gar nicht erst“, sagt er. Benachrichtigungskarten einzuwerfen, spart Zeit. Ist ein Kunde nicht zu Hause, sollte der Zusteller bei drei Nachbarn klingeln – so lautet die Regel. Mahler winkt ab: „Zeitlich gar nicht möglich.“ Eigentlich stehen ihm 30 Minuten Pause zu. Am Ende seiner Tour hat er ein paar Mal an seiner Spezi-Flasche genippt. Gegessen hat er nicht. Und auch keine Pause gemacht.

    Delivery, Sparkurs und viele neue Fahrer. Das Problem scheint hausgemacht. Post-Sprecher Klaus-Dieter Nawrath sagt: „Wenn wir die Delivery nicht gegründet hätten, hätten wir langfristig ein Problem bekommen.“ Die Löhne seien teilweise doppelt so hoch gewesen wie bei der Konkurrenz.

    Er war wie eine Maschine

    Mahler fuhr einen Monat lang für Hermes. Sechs Tage die Woche, von morgens halb sieben bis abends halb sieben. „Ich war wie eine Maschine“, erzählt er. „Ich bin nur noch zum Essen und Schlafen nach Hause.“ Monatsgehalt: 1000 Euro netto. 1200 sind es jetzt bei der DHL Delivery. Für eine Flugreise in den Süden reicht das nicht. Aber der Single kann sich damit eine Zwei-Zimmer-Wohnung leisten. „Ich bin gerne bei der Post“, sagt er.

    Nawrath sagt: „Das sind keine Billiglöhne.“ Die Deutsche Post DHL hat 2015 rund 2,4 Milliarden Euro Gewinn gemacht, sparen müsse sie trotzdem. Nawrath erklärt: „Davon profitieren auch die Mitarbeiter.“ Weil deren Arbeitsplätze gesichert würden. Die anderen Vorwürfe dementiert er: Dass Druck auf Mitarbeiter mit befristeten Verträgen ausgeübt wurde, bei Delivery zu unterschreiben, „ist in der Masse definitiv auszuschließen“. Einsparungen an der Sicherheit der Fahrzeuge? „Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“

    Auch Felice Iannone, 46, sieht das Ganze nicht so drastisch. Der Deutsch-Italiener fährt in voller DHL-Montur, seine Halbglatze versteckt er an kalten Tagen unter einer roten Mütze mit Firmenemblem, er ist sogar stolz auf die Sackkarre, die das Unternehmen ihm stellt. „Die beste Sackkarre der Branche“, sagt er. Seit 21 Jahren liefert Iannone rund um den Münchner Hauptbahnhof Pakete aus. Einmal hat ihm ein Kunde nackt die Tür geöffnet.

    Meist dreht er seine Runden durch Bürogebäude: Hier ist immer jemand da, der die Lieferung annimmt. Sein Vertrag ist noch aus Zeiten der Bundespost – damals gab es den Lohn noch bar auf die Hand. Mit seinem alten Vertrag kann sich Felice Iannone einen anderen Blickwinkel als Patrick Mahler erlauben. Sein Gehalt verrät er nicht, aber er ist damit zufrieden. Auch er hat neue Kollegen, die kein Deutsch können. „Aber es ist gut, dass sie die Chance bei der Post bekommen“, sagt er. Er selbst kam vor 28 Jahren aus Italien, ohne ein Wort Deutsch zu können. Jetzt kann er sich keinen anderen Beruf mehr vorstellen. „Nur wenn ich einen Vertrag von einem Fußballverein bekomme“, sagt er und muss selbst grinsen.

    Jede Menge Arbeit für Paketboten

    Iannone ist ein Beispiel dafür, wie dieser Job einmal war. Früher, als nicht jeder im Internet bestellt hat. Die Zusteller liefern heute alles aus: Bio-Äpfel, Backofen, Bettgestelle. 2,95 Milliarden Sendungen transportierte die Branche im vergangenen Jahr, 2019 dürften es Prognosen zufolge bereits 3,8 Milliarden sein. Jede Menge Arbeit für die Paketboten.

    Nicht jedem fällt es leicht, so freundlich wie Iannone zu bleiben. Er ist, das ist wahrscheinlich keine Übertreibung, einer der beliebtesten Paketfahrer Münchens. Die Menschen schütteln ihm auf der Straße die Hand, manche umarmen ihn. Vor vier Jahren fand er auf der Straße eine Handtasche mit 6000 Euro. Selbstverständlich gab er sie bei der Polizei ab. Ein Zusteller der Konkurrenz nannte ihn mal den „Bürgermeister der Bayerstraße“.

    Iannone verteilt nicht nur Pakete, sondern auch Komplimente. Er hört zu. Die Kunden erzählen ihm von Geldsorgen, Hüftbeschwerden und Liebeskummer. Dann ist er mehr Freund als Lieferant. Vor Weihnachten aber ist wenig Zeit dafür.

    Die Post stellt für diese Zeit zu den bundesweit 21.500 Paketzustellern 10.000 weitere ein. Irgendwie müssen sie den Paket-Wahnsinn ja bewältigen.

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