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Interview: Wie gesund ist Deutschlands Wirtschaft?

Interview

Wie gesund ist Deutschlands Wirtschaft?

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    Peter Bofinger (rechts) ist das dienstälteste Mitglied der Wirtschaftsweisen. Wolfgang Wiegard gehörte bis 2011 dem Gremium an und war bis 2012 auch Mitglied des „Rats der Immobilienweisen“.
    Peter Bofinger (rechts) ist das dienstälteste Mitglied der Wirtschaftsweisen. Wolfgang Wiegard gehörte bis 2011 dem Gremium an und war bis 2012 auch Mitglied des „Rats der Immobilienweisen“. Foto: Thomas Obermeier

    Sieben Jahre lang diskutierten die beiden Wissenschaftler Peter Bofinger und Wolfgang Wiegard als Wirtschaftsweise kontroverse Positionen im Sachverständigenrat der Bundesregierung. Bofinger steht für eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik, Wiegard gilt als Vertreter der Angebotsorientierung. Zur Jahreswende 2005 sorgten die beiden für Schlagzeilen, weil sie sich öffentlich über steuerpolitische Kompetenzen zofften. In den Jahren danach entwickelte sich eine Freundschaft zwischen beiden Professoren. Ein Gespräch über den ausgehandelten Koalitionsvertrag, die wirtschaftliche Lage und den Immobilienmarkt.

    Die Konjunktur läuft auf Hochtouren, der Arbeitsmarkt brummt – klingt nach Schlaraffenland. Gibt es überhaupt noch Gefahren?

    Wolfgang Wiegard: Natürlich. Wenn Trump seine Pläne zur Handelspolitik mit 45-Prozent-Zöllen umsetzt, landen wir in einem Handelskrieg, der eine exportorientierte Nation wie Deutschland treffen würde. Es kann auch zu Turbulenzen im Bankenwesen kommen, wenn der Ausstieg aus der Niedrigzinsphase zu schnell erfolgt. Also von einem Schlaraffenland würde ich nicht reden.

    Wirtschaftspolitisch konnten Sie beide sich früher trefflich streiten. Haben Sie noch Differenzen?

    Peter Bofinger: Wie stark der Beitrag der Agenda 2010 für den Arbeitsmarkterfolg war – das sehen wir schon unterschiedlich …

    Wiegard: … ja, stimmt. Da findet der gute Peter Bofinger, dass der Beitrag gering war. Ich dagegen glaube, dass es die zentrale Reform der letzten 20 bis 30 Jahre in Deutschland war. Ein nicht unwesentlicher Teil des Rückgangs in der strukturellen Arbeitslosigkeit ist auf die Agenda 2010 zurückzuführen.

    Bofinger: Ach, da kann man ganz verschiedene Studien dazu zitieren. Wenn tatsächlich die Absenkung des Anspruchs fürs Langzeitarbeitslose die Vollbeschäftigung bringen sollte, dann müsste in Italien oder Griechenland die Wirtschaft brummen. Denn dort gibt’s nach einem Jahr Arbeitslosigkeit gar nichts.

    Und mit Blick voraus: Wie sehen Sie den aktuell verhandelten Koalitionsvertrag?

    Wiegard: Ein großer Wurf ist das nicht. Nehmen Sie die Steuerpolitik. Die Abgeltungsteuer auf Zinserträge soll abgeschafft werden …

    Bofinger: … was ich gut finde, weil ich schon immer dafür geworben habe.

    Wiegard: Fatal wäre allerdings gewesen, die Abgeltungsteuer auch auf Dividenden abzuschaffen. Und das Zweite ist der Soli, für den eine unglaublich komplizierte Lösung gefunden wurde …

    Bofinger: Zustimmung! Den Soli abschaffen zu wollen, aber nur für Einkommen unter einer Freigrenze – das ist Unsinn und grobschlächtig. Man hätte aus meiner Sicht einfach einen neuen maßgeschneiderten Steuertarif einführen müssen …

    Wiegard: … den man in den Einkommensteuertarif hätte integrieren können. Der Spitzensteuersatz von 45 Prozent beginnt heute beim 1,3- bis 1,5-Fachen des Durchschnittsverdienstes, was auch unsinnig ist. Hier hätte man viel mehr machen können.

    Deutschland geht es gesamtwirtschaftlich gut, die soziale Schere scheint sich aber weiter zu öffnen oder zumindest nicht zu schließen. Wie kann denn Wirtschaftspolitik hier gegensteuern?

    Bofinger: Der Mindestlohn war schon mal ein guter Ansatz und wichtig, einen Boden nach unten einzuziehen. Ich sehe auch Spielraum, den Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro stärker zu erhöhen als die Tariflöhne. So könnten breitere Schichten von der guten Wirtschaftslage profitieren …

    …  sagt der Vertreter einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik. Stimmt der Angebotstheoretiker zu?

    Wiegard: Ach … Es gibt keinen Ökonomen, der ausschließlich auf die Nachfrage oder das Angebot schaut. Richtig ist beim Mindestlohn: Die Befürchtung einiger Ökonomen, bis zu 900.000 Arbeitsplätze könnten verloren gehen, ist nicht eingetreten. Wenn man aber an die unteren Einkommensbereiche und an die Langzeitarbeitslosen heran will – dann kann das nur über eine verstärkte Bildungspolitik im Bereich der Niedrig-Qualifikation laufen.

    Inwieweit ist der Fachkräftemangel ein Thema im Sachverständigenrat?

    Bofinger: Diskutiert wird darüber seit langem – aber das politische Handeln ist eine andere Sache. Seit Jahren können wir sehen, dass unsere Bildungsausgaben im internationalen Vergleich der OECD-Länder zu niedrig sind. Dann darf man sich nicht wundern, wenn man die Rechnung bekommt und nicht genug qualifizierte Menschen da sind.

    Wiegard: Und für Bildung muss man eben Geld in die Hand nehmen. Aufgabe von Ökonomen ist es, mögliche Finanzierungen aufzuzeigen: durch weniger Ausgaben an anderer Stelle, durch höhere Steuern oder durch Kreditaufnahmen.

    Bofinger: Wenn es an Geld für Bildung fehlt, würde ich auch eine Verschuldung akzeptieren. Denn das kommt auf jeden Fall den künftigen Generationen zugute. Keine optimale Bildung zu ermöglichen, nur um auf Schulden zu verzichten – das halte ich für falsch.

    Herr Wiegard, Sie waren von 2009 bis 2012 auch im Rat der Immobilienweisen. Wenn Sie sich die Preisentwicklung in Ballungsräumen anschauen: Haben Sie Angst vor einer Immobilienblase?

    Wiegard: Ich glaube nicht, dass es bei uns eine Immobilienblase gibt wie in Spanien, Irland oder in den USA. Dass Immobilien in Städten wie München oder Hamburg überbewertet sind – das glaube ich schon. Die Bundesbank spricht von Überbewertungen von 15 bis 30 Prozent. Aber selbst, wenn diese einmal abgebaut werden, sind das noch tragbare Verluste, die nicht auf den Bankensektor übergreifen dürften.

    Nochmal ein Blick auf den Koalitionsvertrag: Findet sich der Sachverständigenrat mit seinen Empfehlungen darin wieder?

    Bofinger: Deutschland ist aus meiner Sicht pumperlgesund. Man braucht keine Radikaloperationen, -reformen oder große Weichenstellungen. Deshalb ist es nicht so schlimm, wenn dieser Koalitionsvertrag nicht die großen Würfe bringt. Für mich ist die europäische Dimension wichtig. Die ist klar und deutlich niedergeschrieben. Nur gemeinsam mit den anderen europäischen Ländern werden wir in der Lage sein, unseren Wohlstand und unser Gesellschaftsmodell auf Dauer gegenüber China und den USA zu behaupten.

    Und wie stimmt das SPD-Mitglied Wolfgang Wiegard in der GroKo-Frage ab …?

    Wiegard: Ja, ich unterstütze eine Große Koalition und werde auch in meinem Ortsverein um Zustimmung werben. Ich würde es für fatal halten, wenn sich ein Mitgliedervotum gegen den Koalitionsvertrag und gegen eine Große Koalition aussprechen würde.

    Fatal für die SPD oder für das Land?

    Wiegard: Für beide.

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