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Analyse: Wird erstmals eine Frau WTO-Chefin?

Analyse

Wird erstmals eine Frau WTO-Chefin?

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    Ngozi Okonjo-Iweala aus Nigeria rechnet sich Chancen auf den Posten der WTO-Generaldirektorin aus.
    Ngozi Okonjo-Iweala aus Nigeria rechnet sich Chancen auf den Posten der WTO-Generaldirektorin aus. Foto: Martial Trezzini/KEYSTONE, dpa

    Drei Frauen und fünf Männer von vier Kontinenten wollen den Job an der Spitze der krisengeplagten Welthandelsorganisation. Erstmals könnte Afrika bei der Besetzung der Topposition zum Zuge kommen. Und: Erstmals könnte eine Frau es schaffen. Der Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala und der Kenianerin Amina C. Mohamed werden gute Chancen eingeräumt.

    Egal wer sich durchsetzen wird, die neue Generaldirektorin oder der neue Generaldirektor übernimmt die Chefposition einer tief zerstrittenen Organisation. Die 164 Mitglieder des Klubs am Genfersee konnten sich nicht einmal auf eine Übergangslösung für den bereits abgetretenen Generaldirektor Roberto Azevêdo einigen – der Brasilianer heuerte zum 1. September bei PepsiCo an. Der nächste Generaldirektor muss die vor 25 Jahren mit viel Vorschusslorbeeren gegründete Genfer Institution davor bewahren, in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen.

    Staaten wie Deutschland profitieren von einer funktionierenden WTO

    Gegründet wurde sie 1995, um stabile Regeln für einen möglichst freien Warenaustausch festzusetzen und zu überwachen. Gerade exportorientierte Staaten wie Deutschland oder die Schweiz profitieren von einer funktionierenden WTO. Doch jetzt untergraben Protektionismus und Handelskriege die Globalisierung und damit die WTO.

    Die Welthandelsorganisation selbst meldete in den vergangenen Jahren historische Höchststände an Zöllen und anderen Abschottungsmechanismen. Obendrauf kommt die Corona-Krise. Die Pandemie droht den Welthandel in diesem Jahr gegenüber 2019 nach WTO-Schätzungen um rund 13 Prozent einbrechen zu lassen. Corona könnte auch zu einer langfristigen Verriegelung von Märkten führen. Viele Regierungen dürften Gefallen an dem Argument finden, die Grenzen für Personen und Waren zu schließen, um die Gesundheit des eigenen Volkes zu schützen.

    Die Bewerber um den Spitzenposten bei der WTO

    Für die acht Bewerberinnen und Bewerber um den Posten des Generaldirektors bei der WTO wird es ernst. Am Montag beginnen die 164 WTO-Mitglieder den Auswahlprozess. Spätestens im November soll die Neue oder der Neue an der WTO-Spitze feststehen.

    Die Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala gilt als eine Favoritin. Sie war die erste Finanzministerin ihres Landes und stieg bei der Weltbank zum Managing Director auf. Kenia setzte die Ex-Außenministerin und frühere Botschafterin bei der WTO, Amina C. Mohamed, auf die Bewerberliste.

    Der ägyptische Anwalt Abdel-Hamid Mamdouh bekleidete hohe Positionen in der WTO. Der Mexikaner Jesús Seade diente nach der Gründung der WTO als Vize-Generaldirektor.

    Moldawien nominierte den früheren Außenminister Tudor Ulianovschi. Südkorea setzt auf Handelsministerin Yoo Myung-hee.

    Großbritannien hofft auf einen Erfolg des Ex-Handelsministers Liam Fox. Saudi-Arabien reichte die Bewerbung von Mohammad Maziad Al-Tuwaijri ein, derzeit Berater des königlichen Hofes.

    Die WTO müsste ein Forum ökonomischer Vernunft sein

    Eigentlich müsste gerade jetzt die Stunde der WTO schlagen – als ein Forum der ökonomischen Vernunft. Dem Nachfolger oder der Nachfolgerin des glücklosen Azevêdo kommt darin ein wichtiger Part zu. Zwar verfügt der Generaldirektor gegenüber den WTO-Mitgliedern nicht über formale Macht. Er oder sie kann aber Reformdebatten anstoßen, mutig Position beziehen.

    Vor allem muss die oder der Neue vehementer öffentlich und hinter verschlossenen Türen für einen möglichst freien Welthandel werben. Die WTO-Spitze muss sich für ein System des Warenaustausches stark machen, in dem klare Normen herrschen; und diese sollten für alle gelten. Azevêdo, ein Handelsdiplomat der alten Schule, bot Protektionisten wie US-Präsident Donald Trump nie ernsthaft Paroli. Selbst in seiner zweiten Amtsperiode, als er wusste, dass seine Zeit zu Ende geht, schwieg der WTO-Generaldirektor oft.

    Innerhalb der WTO warten ebenfalls Baustellen. Ganz oben auf der Liste steht das arg ramponierte WTO-Streitschlichtungssystem. Spektakuläre Konflikte wie zwischen den Flugzeugbauern Boeing und Airbus wurden hier ausgefochten. Die USA sperren sich gegen neue Richter in der Berufungsinstanz und machen somit das „Herzstück“ der WTO arbeitsunfähig.

    Die WTO braucht ein Konzept für einen Neuanfang

    Die nächste WTO-Spitze muss daher ein Konzept für einen Neuanfang vorlegen, einen Plan, der auch den USA zusagt. Zudem gilt es, die Scherben der letzten Welthandelsrunde zusammenzukehren. Im Jahre 2001 startete die WTO in Doha ihr bislang größtes Projekt: Ein neuer, viele Bereiche umfassender Welthandelsvertrag sollte in drei Jahren unterschriftsreif vorliegen.

    Damit wollten die WTO-Granden die Globalisierung beschleunigen und die Entwicklungsländer stärker einbinden. Doch die vielen Streitpunkte zwischen Armen und Reichen, zwischen EU, China, Indien und den USA, vor allem der Schutz der Agrarindustrie, ließen die ehrgeizige Initiative langsam sterben. Es ist an der Zeit, das Scheitern offiziell einzugestehen. Darauf sollte die neue Person an der Spitze der Welthandelsorganisation dringen.

    Die nächste WTO-Führung muss mit den Mitgliedern eine neue, attraktive Agenda ausloten. So könnte angesichts des Klimawandels versucht werden, Umweltfragen und Warenaustausch besser zu integrieren. Inmitten der Corona-Krise scheint es geboten, die faire Verteilung von Medikamenten und Impfstoffen zu regeln. Zudem muss die lähmende WTO-Konsensregel auf den Prüfstand, schon oft verhinderten einzelne Mitglieder Fortschritte hin zu offeneren Märkten. Doch zunächst müssen die Mitglieder im Jubiläumsjahr der WTO die beste Besetzung für den Topjob finden.

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