Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Industrie : Joe Kaeser: „Glaube nicht, dass meine Karriere heute noch möglich wäre“

Industrie

Joe Kaeser: „Glaube nicht, dass meine Karriere heute noch möglich wäre“

    • |
    • |
    • |
    Der ehemalige Siemens-Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser ist in Augsburg zu Gast bei AZ Live im Foyer der Augsburger Allgemeinen. Motto: „Wie geht es Deutschland? Liegen die besten Tage hinter uns?“
    Der ehemalige Siemens-Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser ist in Augsburg zu Gast bei AZ Live im Foyer der Augsburger Allgemeinen. Motto: „Wie geht es Deutschland? Liegen die besten Tage hinter uns?“ Foto: Bernhard Weizenegger

    Ob er heute noch einmal Chef von Siemens werden könnte, eines Weltkonzerns mit über 300.000 Beschäftigten? Joe Kaeser hat selbst Zweifel daran. „Ich bin in einem kleinen Ort im Bayerischen Wald groß geworden, eine Fahrt nach München war eine Weltreise“, erinnert er sich. „Es war damals nicht selbstverständlich für sogenannte ‚bildungsferne Schichten‘, auf eine weiterführende Schule zu gehen.“ ,Pass auf, das wird ein Taugenichts‘, soll die Großmutter seine Mutter damals gewarnt haben. „Es kamen aber mehrere gute Zufälle zusammen: Schulwegkostenfreiheit, später Bafög – ich habe den Höchstsatz bekommen“, erinnert sich Kaeser. Er besucht die Realschule, später die Fachoberschule in Cham, studiert in Regensburg Betriebswirtschaftslehre, arbeitet sich bei Siemens hoch und wird 2013 Vorstandschef. Einer der erfolgreichsten, den Siemens hatte. „Ich glaube nicht mehr, dass der gesellschaftliche Aufstieg heute noch möglich wäre, wie ich es erlebt habe“, gibt Kaeser aber beim Live-Interview unserer Redaktion zu bedenken. „Die Gesellschaft ist nicht mehr so durchlässig, wie sie früher war.“

    Heute sei es deshalb umso wichtiger, dass der Staat die Durchlässigkeit fördert, beispielsweise mit Lernmitteln wie iPads, betonte der Spitzenmanager. „Nicht die Reichsten, sondern die Klügsten sollen studieren“, fordert der Ex-Siemenschef. Er macht sich Sorgen um den Zustand des Landes.

    Kaeser sieht die Wirtschaft des Landes in keiner guten Verfassung. „Deutschland ist kein Sanierungsfall. Wir sind aber bequem geworden und setzen das, was unsere Eltern und Großeltern erarbeitet haben, zu sehr als garantiert voraus“, warnt er. „In zehn Jahren sind die Sozialausgaben um circa 50 Prozent gestiegen, die Ausgaben für Gehälter und Pensionen der Staatsbediensteten ebenfalls, der Bundeshaushalt um 47 Prozent. Aber das Bruttoinlandsprodukt nahm nur um 40 Prozent zu. Mit diesem Trend kommt man auf Dauer nicht weit.“ Der Staat sei zu freigiebig geworden: „Das Bürgergeld hat in der vorliegenden Form falsche Anreize gesetzt. Geld zu zahlen, egal, ob man arbeitet oder nicht, ist vielleicht wünschenswert, aber wirtschaftlich schädlich.“

    Kaeser: „Leistung muss sich wieder lohnen“

    Damit das Land auch im internationalen Wettbewerb wieder aufholt, müssen aus seiner Sicht wieder die Kräfte der Marktwirtschaft entfesselt werden: „Wir brauchen mehr Respekt für die Menschen, die sich als Unternehmer mit ihrem Eigentum in der Wirtschaft einbringen und die in der Kommunalpolitik Verantwortung vor Ort übernehmen. Leistung muss sich wieder lohnen. Das gilt übrigens auch für die Regierenden“, erklärt er. „Unser Land braucht einen ganzheitlichen Plan, eine strategische Agenda. Wir brauchen eine Agenda 2030, vielleicht auch 2035.“ Das Konzept einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft sei ein guter Ansatz. „Leider ist die Marktwirtschaft dabei bisher völlig unter die Räder gekommen. Das muss sich ändern.“ Gleichzeitig müsse das Bewusstsein wachsen, dass die Marktwirtschaft das Soziale und das Ökologische finanziert. „Man kann nur Sachen umverteilen oder für den Klimaschutz aufwenden, die man vorher erwirtschaftet hat“, lautet seine zentrale These.

    Die AfD als Problemlöser sieht Kaeser aber kritisch: „Die Forderungen in der AfD nach einem Austritt aus der EU sind eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort“, warnt er eindringlich. „Ich würde nie AfD wählen.“ Trotzdem warnt er davor, die Partei zu verteufeln: „Wenn bis zu 20 Prozent der Menschen im Land AfD wählen, muss man das ernst nehmen. Ich würde nie die ganze AfD mit Nazis gleichsetzen, wie es führende SPD-Politiker getan haben. Denn damit impliziert man, dass alle AfD-Wähler Nazi-Sympathisanten wären. Vielmehr sind viele davon von den anderen Parteien der sogenannten ‚Mitte‘ enttäuscht.“

    Als Joe Kaeser im Jahr 2014 Wladimir Putin traf

    Die Nähe der AfD zu Russland und Präsident Wladimir Putin sieht Kaeser ebenfalls kritisch. Die Partei spalte das Land zusätzlich. Putin, argumentiert Kaeser, werde nicht auf Dialog setzen. Der frühere Siemens-Chef hat seine eigenen Erfahrungen mit Putin gemacht. Russlands Präsidenten sei es gelungen, ihn vorzuführen.

    Im Jahr 2014, kurz nach der Annexion der Krim, stand eine Reise nach Russland an. Bei Siemens hat man lange überlegt, ob der Besuch unter den Umständen sinnvoll ist. Mit dem Bundeskanzleramt und Russland wurde abgestimmt, dass Kaeser und Putin sich zwar treffen sollen, aber ohne Publikum und Presse. In Russland fahren der Siemens-Chef und sein Team lange durch den Wald. In einem Zimmer warten sie, plötzlich heißt es, man kann kommen. Eine Tür - mehrere Meter hoch, öffnet sich, Kaeser steht im Blitzlichtgewitter, Presse überall, ein freudestrahlender Putin kommt auf Kaeser zu.

    Der Siemens-Chef wird unfreiwilligerweise empfangen wie ein Staatsgast. Indes beschließt die EU in Brüssel Sanktionen gegen Russland. Kaeser ist froh, als er wieder sicher in Deutschland landet.

    Fremdenhass als hässliches Gesicht Deutschlands

    Zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus hat Joe Kaeser immer klare Worte gefunden. „Fremdenhass ist ein hässliches Gesicht von Deutschland“, sagt Kaeser. „Was sich mit dem Holocaust ereignet hat, darf sich nie wieder wiederholen“, lautet seine feste Überzeugung. Die Hintergründe liegen auch in seiner Familiengeschichte.

    Johann, der Bruder seiner Mutter, hatte sich im Dritten Reich geweigert, der NSDAP beizutreten. Er wird der Kollaboration bezichtigt, ins KZ Dachau gebracht und später in Mauthausen getötet. Als er daheim verhaftet wurde, habe die Großmutter ihrem Sohn noch zugerufen, er soll sich feste Schuhe anziehen. Dieser habe entgegnet: ,Ich habe doch nichts verbrochen, ich komme gleich wieder.‘ Er kam nie wieder.

    Wer hat das Zeug zum Kanzler? Habeck oder Merz?

    Kaeser ist ein Mann, der abwägt, ein Mann der Zwischentöne. Fremdenfeindlichkeit weist er zurück, das Thema Migration müsse aber trotzdem politisch besser beantwortet werden: „Unsere Migrationspolitik ist keine Benchmark dafür, wie es gut geht. ‚Wir schaffen das‘ war ein wunderbares Aufbruchssignal, doch was danach als ‚Umsetzung‘ kam, war desaströs - auch unser Umgang mit dem Thema Migration. Wir haben mit der Migration ein Problem in unserem Land, das wir nicht gelöst haben.“

    Joe Kaeser im Gespräch mit Redakteurin Christina Heller-Beschnitt und Chefkorrespondent Stefan Stahl (rechts).
    Joe Kaeser im Gespräch mit Redakteurin Christina Heller-Beschnitt und Chefkorrespondent Stefan Stahl (rechts). Foto: Bernhard Weizenegger

    Bleibt die Frage, wem er nach der kommenden Bundestagswahl eine Lösung der Probleme zutraut. Robert Habeck, dem frisch auserkorenen Favoriten der Grünen? Kaeser ist skeptisch: „Herrn Habeck fällt es schwer, aus der Kluft zwischen den sogenannten Realos und Fundis herauszukommen. Er erklärt gut und ist sehr empathisch. Aber was er erklärt, ist oft inhaltlich schwierig zu akzeptieren: Dieses Heizungsgesetz, zum Beispiel, war inhaltlich eine Katastrophe.“

    Oder CDU-Chef Friedrich Merz? Kaeser wägt ab: „Ich denke, Herr Merz hat die Kompetenz. Er war auch in der freien Wirtschaft und er hat die Welt gesehen. Nachholbedarf hat er vielleicht, wenn es darum geht, Menschen mitzunehmen, die nicht gleich seiner Meinung sind.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden