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Wie Frau Walther ihren Job verlor, an Krebs erkrankte – und nie aufgab

Wahlserie: So fühlt sich die Nation

Wie Frau Walther ihren Job verlor, an Krebs erkrankte – und nie aufgab

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    Manuela Walther ist Betriebsratsvorsitzende von Lear am Standort Kronach.
    Manuela Walther ist Betriebsratsvorsitzende von Lear am Standort Kronach. Foto: Stefan Küpper

    Manuela Walther fürchtet sich nicht mehr davor, ihre Arbeit zu verlieren. Das hat sie schon. Und es war nicht mal die härteste Erfahrung ihres Lebens. Schon lange weiß sie: „Es geht immer weiter.“

    Es war am 24. Februar 2021. Mitten in der Pandemie. An diesem Tag war klar, dass der US-Konzern Lear das Produktionswerk in Kronach dicht machen wird. In der oberfränkischen Stadt werden Licht- und Audiobauteile für Autos hergestellt. Die Entwicklungsabteilung bleibt zwar bestehen, aber: Mehrere hundert Mitarbeitende verlieren ihre Stellen. Walther ist Betriebsratsvorsitzende — und gefordert wie nie.

    Deutschland ist ein Hochlohnland

    Sie wird nicht nur ihren Job, ihre Kolleginnen und Kollegen und das vertraute Umfeld verlieren und von vorn anfangen müssen. Für den Moment weiß sie damals nicht einmal, ob sie einen Neustart überhaupt wird wagen können. Denn: Sie hat Brustkrebs. Die Diagnose kam am 17. Dezember 2020. Schon damals, sagt sie, war klar, dass es bei Lear Probleme geben könnte. Es gibt keinen günstigen Zeitpunkt für eine solche Diagnose. Es gibt aber besonders ungünstige. Walther funktioniert. Sie habe damals gedacht: „Ich habe überhaupt keine Zeit für den Mist.“ Und beschließt knallharte Pragmatik: „Ich mache, was die Ärzte mir sagen. Aber ich lasse die Krankheit nicht mein Leben bestimmen.“

    Walther kämpft. Gegen die Krankheit und für ihre Kolleginnen und Kollegen. Gleichzeitig. Der Lear-Standort in Kronach schreibt zwar laut Betriebsrat schwarze Zahlen. Die Produkte seien zukunftsfähig gewesen, denn Leiterplatten und Module sind auch für E-Autos zu gebrauchen. Aber die Zentrale in Southfield im US-Bundesstaat Michigan hat andere Pläne. Lear selbst äußert sich trotz mehrfacher Anfrage nicht zur Sache.

    Gefühlslage der Nation

    Wahlen werden inzwischen mehr denn je auf den letzten Metern entschieden, und oft sind es nicht Programme, die den Ausschlag geben, sondern Stimmungen und Emotionen. Deshalb haben wir uns entschieden, in unserer Wahlserie Gefühle in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht um Mut, Überforderung, Glück, Hoffnung und Angst, die Menschen hinter diesen Gefühlen und um Politik. Alle Teile der Serie sammeln wir auf einer Übersichtsseite, auf der Sie jeden Tag bis zur Wahl am 23. Februar eine neue Folge finden.

    Die Zahl der Arbeitslosen steigt

    Deutschland ist ein teurer Standort, ein Hochlohnland im internationalen Vergleich. Und die Autoindustrie ist mitten in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Wenn man so will, sagt Walther, sei der Standort Kronach ein „Kollateralschaden der Globalisierung“.

    Wie es um die deutsche Wirtschaft, den Standort D bestellt, was er noch wert ist, das wird in diesem Bundestagswahlkampf verhandelt. Das ist eine der großen Fragen. Die Konjunkturzahlen sind seit Jahren schlecht, die scheidende Bundesregierung hat für 2025 ihre Wachstumsprognose drastisch auf 0,3 Prozent reduziert. Ursprünglich hatte man mit 1,1 Prozent gerechnet. Europas größte Volkswirtschaft kommt einfach nicht in Fahrt. Der Jobmarkt hat sich in der Krise bisher als ziemlich robust erwiesen, aber auch die Zahl der Arbeitslosen steigt inzwischen. Die Quote liegt im vergleichsweise gut aufgestellten Bayern im Januar bei 4,2 Prozent, deutschlandweit bei 6,4 Prozent.

    Früher wurde auf dem Gelände von Lear Porzellan von Rosenthal gebrannt

    Ende Januar, in Kronach, bei Lear. Es ist der Tag an dem die noch verbliebenen Kolleginnen und Kollegen ihre Aufhebungsverträge ausgehändigt bekommen. Es ist gespenstisch ruhig auf den Gängen. Man sieht noch den Pförtner - das war es so ziemlich. Ganz früher wurde auf dem Gelände das berühmte Rosenthal-Porzellan gebrannt, bevor Lear mit seiner Produktion dort einzog. Die Leute seien inzwischen einfach nur erleichtert, dass es vorbei ist, sagt Walther. Der Frust, die Enttäuschung, die sind noch da, aber seit klar ist, dass die Produktion stillgelegt wird, wollen die meisten vor allem, dass es vorbei ist. Manche gehen ganz, manche kommen in eine Transfergesellschaft. Sie müssen nochmals durchstarten. „Viele werden vermutlich keinen Arbeitsplatz mehr in Kronach vor der Haustüre bekommen. Viele werden vielleicht ihr Umfeld ändern müssen. Wenn man so lange in einem Betrieb war, dort so verwurzelt ist, ist da nochmals schwieriger.“ Was Walther aber auch sagt, ist: „Die Zeiten haben sich geändert, es geht alles rasend schnell.“

    Der Standort des Autozulieferers Lear im oberfränkischen Kronach.
    Der Standort des Autozulieferers Lear im oberfränkischen Kronach. Foto: Stefan Küpper

    Immer mehr Menschen in Deutschland fürchten um ihre Jobs, und immer mehr verlieren sie. Trotz des Fachkräftemangels. Das war lange Zeit anders. In Bayern gibt es viele Autozulieferer. Arbeitslosigkeit kennt man natürlich nicht nur in Kronach. Auch die großen Autohersteller sind unter Druck. VW zum Beispiel will ganze Werke schließen. Die chinesische Konkurrenz drängt mit günstigeren Modellen auf den Markt. Exportweltmeister Deutschland - das war einmal. Das Ifo-Institut bilanziert: Die Stimmung in der Autoindustrie hat zum Jahresanfang ein neues Tief erreicht. „Die Autoindustrie steckt in der Krise fest. Vor allem sieht sie ihre Wettbewerbsposition ernsthaft in Gefahr“, sagt Anita Wölfl, die Branchenexpertin des Instituts. 

    „Bin jung, brauche das Geld“

    Gelingt es nicht, den Standort bald wieder schick zu machen, droht sich die Deindustrialisierung Deutschlands weiter zu beschleunigen. Was das heißt, hat Walther auch schon einmal am eigenen Leib erfahren. Sie ist in Ostdeutschland groß geworden, hat bei Carl Zeiss in Jena gelernt. Ihre Ausbildung zur Fein-Optikerin schloss sie mit „sehr gut“ ab. Dann aber fiel die Mauer. Alles auf Null. Sie ging erst mal zurück in ihren thüringischen Heimatort - nicht weit von Kronach an der Grenze zu Bayern gelegen. „Und dann bin ich einfach mit meinem Moped über Land gefahren und hab´ in jeder Firma, die infrage kam, meine Bewerbung abgegeben. Die hatte ich alle in der Tasche und hab sie dann vor Ort eingeschmissen. So nach dem Motto: Bin jung, brauche das Geld.“

    Bei Loewe in Kronach klappt es. 1991 konnte sie in der Produktion des Unterhaltungstechnikherstellers anfangen. Sie machte Schichtarbeit, baute sich etwas auf, ging in den Betriebsrat, wechselte später von Loewe zu Lear. Wo sie bis zum bitteren Ende blieb.

    Sie wird nun Hundefriseurin

    Und jetzt? Walther wird sich selbstständig machen. Sie mag Tiere, liebt Hunde, also hat sie sich einen Transporter gekauft und wird nun Hundefriseurin. Ihre Ausbildung beginnt Ende April. Wenn sie fertig ist, wird sie losfahren und sich jeweils vor Ort um die Hunde ihrer Kundschaft kümmern. Sie will keinen festen Salon, weil ihr das Risiko zu groß ist und sie dann wegen der Miete gleich einen Mindestumsatz erreichen muss. „Mit dem Transporter“, sagt sie, „minimiere ich das Risiko. Den kann ich theoretisch wieder verkaufen, wenn es nicht so laufen sollte, wie erwartet.“

    Und was Walther, die den Krebs besiegt hat und schon wieder von vorn beginnt, zu sich selbst sagt, das gilt auch für die nächste Bundesregierung und das ganze Land: „Den Hintern zusammenkneifen und durch da. Ich muss das irgendwie wuppen.“

    Als Teil unserer Bundestagswahl-Serie schauen wir uns auch die Parteiprogramme genauer an und dröseln auf, wie die Parteien zu unterschiedlichen Sachthemen stehen.

    Mehr Texte aus unserer Serie zur Wahl finden Sie hier:

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