Andreas Magg muss noch schnell ein Formular unterschreiben und in einen Umschlag packen. Ein neues Kälbchen ist auf seinem Hof zur Welt gekommen, das muss dokumentiert werden. Das Tier bekommt eine Marke ins Ohr, dabei wird auch gleich eine Gewebeprobe entnommen, die muss verschickt und untersucht werden. Da darf nichts durcheinandergeraten. Erst, wenn alles seine Ordnung hat, bekommt er einen Pass für das Tier. Alltag eines Landwirts in Deutschland. Etwa 20 Prozent seiner Arbeit bestehen aus Papierkram, schätzt Magg. „Das gehört halt auch dazu“, sagt er und man kann das „Aber“, das gleich folgen wird, förmlich spüren.
„Es ist wahnsinnig frustrierend, wenn man einfach nur seine Arbeit machen will, aber ständig ohne Not davon abgehalten wird“
Andreas Magg, Landwirt
„Es muss auch mal aufhören, dass man uns mit immer noch mehr Regeln, Vorgaben und Verboten das Leben schwermacht. Es ist wahnsinnig frustrierend, wenn man einfach nur seine Arbeit machen will, aber ständig ohne Not davon abgehalten wird“, fügt er hinzu. „Mir muss doch auch keiner erklären, dass es den Klimawandel gibt. Den spüre ich auf meinem Land jeden Tag. Und ich stelle mich darauf ein und suche nach Lösungen“, sagt Magg. Er geht über eines seiner Felder, auf dem sich kleine grüne Pflänzchen tapfer der Wintersonne entgegenstrecken. Sie dienen dazu, den Boden locker zu halten. So kann er mehr Wasser aufnehmen, außerdem hält sich später die Feuchtigkeit besser, falls es mal ein paar Wochen gar nicht regnet.
Magg probiert gerne etwas aus, um seine Felder widerstandsfähiger gegen klimatische Veränderungen zu machen. „Das tue ich als Unternehmer und ich muss dann auch meinen Kopf dafür hinhalten, wenn ich eine falsche Entscheidung getroffen habe. Nur in der Politik, da muss komischerweise nie einer den Kopf hinhalten, wenn was schiefgeht.“ Und schon sind wir mitten im Thema.

Mit 75 Milchkühen plus Jungviehaufzucht ist der Einödhof von Andreas Magg auf einem idyllischen Hügel oberhalb von Sontheim im Unterallgäu ein typisch süddeutscher Durchschnittsbetrieb. Der Landwirt, 43 Jahre alt, verheiratet, vier Kinder, bewirtschaftet dieses Land in der fünften Generation. Bei den Bauernprotesten vor gut einem Jahr stand er in der ersten Reihe. Er engagiert sich im Verein „Landwirtschaft verbindet Bayern“, der die Demos organisierte.
Ganz Deutschland redete damals über die Wut und den Frust der Landwirte. Phasenweise drohten die Proteste aus dem Ruder zu laufen. Und heute? Von der Politik erwartet sich der Milchviehhalter nicht mehr viel, selbst wenn Bayerns Bauernpräsident Günther Felßner nach der Bundestagswahl tatsächlich auf dem Ticket der CSU Landwirtschaftsminister da droben in Berlin werden sollte. „Auch der würde doch irgendwann aufgerieben werden, von den Interessen der Partei und den Zwängen möglicher Koalitionen“, sagt Magg, der den Bundestagswahlkampf zwar eher gleichgültig verfolgt, es aber trotzdem „sehr wichtig“ findet, zur Wahl zu gehen.
Gefühlslage der Nation
Wahlen werden inzwischen mehr denn je auf den letzten Metern entschieden, und oft sind es nicht Programme, die den Ausschlag geben, sondern Stimmungen und Emotionen. Deshalb haben wir uns entschieden, in unserer Wahlserie Gefühle in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht um Mut, Überforderung, Glück, Hoffnung und Angst, die Menschen hinter diesen Gefühlen und um Politik. Alle Teile der Serie sammeln wir auf einer Übersichtsseite, auf der Sie jeden Tag bis zur Wahl am 23. Februar eine neue Folge finden.
Tatsächlich wird die Personalie Felßner unter Bauern zwiespältiger gesehen als erwartet. Aus Sicht der CSU war das ungewöhnliche Manöver, schon Monate vor der Bundestagswahl ein Ministerium für sich zu beanspruchen — Markus Söder hatte das schon beim Parteitag in Augsburg im Oktober getan — ein strategischer Erfolg. Damit konnte man den selbst ernannten Bauernführer Hubert Aiwanger erst einmal ausbremsen, der seit Jahren ebenso rustikal wie erfolgreich versucht, die Landwirte auf seine Seite zu ziehen. Doch kaufen können sich die Bauern bislang nichts von alldem.
Wie hart die CSU in Koalitionsverhandlungen dann wirklich um das Ministerium kämpfen wird, ist offen, und mancher warnt schon hinter vorgehaltener Hand, dass es beim nächsten Unmut der Landwirte heißen könnte: „Jetzt haben wir doch schon einen von euch zum Minister gemacht, was wollt Ihr denn noch?“
Das Gefühl, auf die Unterstützung der Regierung angewiesen zu sein, gefällt Magg ohnehin nicht. Er krempelt die Ärmel seines Pullovers hoch, hebt seine Hände in die Höhe und sagt: „Mit denen hier will ich mein Geld verdienen, meine Familie ernähren, mit ehrlicher Arbeit, und nicht am Tropf von irgendjemanden hängen.“ Dass es aber gerade die geplanten Streichungen staatlicher Förderung beim Agrardiesel und der Kfz-Versicherung von Nutzfahrzeugen war, die vor einem Jahr den Furor der Landwirte, auch seinen, geweckt hatten, ist für ihn kein Widerspruch.
„Wenn ich für den Liter Diesel 1,70 Euro zahle und der Kollege in Frankreich nur einen Euro, dann kann ich mit meinen Preisen nicht mithalten.“
Andreas Magg, Landwirt
„Es ging damals um viel mehr, es ging um das Signal der Bundesregierung, dass man mit uns offenbar alles machen kann“, sagt er. „Ausgerechnet bei denen, die das Land am Laufen halten, den Selbständigen, den Handwerkern, den Bauern wollte die Ampel als Erstes sparen, als ihr das Geld ausgegangen ist — das fand die Mehrheit der Menschen in Deutschland ungerecht. Und wissen Sie, warum? Weil es ungerecht war!“ Tatsächlich hatten sich den Bauerndemos damals auch viele andere Berufsgruppen solidarisch angeschlossen.
Magg wäre froh, wenn es staatliche Finanzspritzen gar nicht bräuchte, doch die Realität ist eine andere. Die Landwirte in Deutschland konkurrieren mit ihren Produkten auf einem internationalen Markt, auf dem nicht alle nach den gleichen Spielregeln agieren. „Ich habe kein Problem mit der Europäischen Union oder dem Mercosur-Abkommen mit Südamerika, aber wenn wir das ernst meinen, dann müssen wir auch über die Rahmenbedingungen reden. Nur ein Beispiel: Wenn ich für den Liter Diesel 1,70 Euro zahle und der Kollege in Frankreich nur einen Euro, dann kann ich mit meinen Preisen nicht mithalten. Punkt“, erklärt Magg, was ihn so frustriert.
Überhaupt, die Preise. Bei allem Klagen über Bürokratie und Regulierung sind sie der größte Hebel, wenn es um die Frage geht, ob landwirtschaftliche Betriebe auf Dauer überleben können. Nur sitzen an diesem Hebel nicht die Bauern oder der Staat, sondern die großen Supermarktketten und Discounter. „Die nutzen natürlich ihre Macht“, sagt Magg und fügt hinzu: „Wenn die nächste Regierung wirklich etwas für uns tun will, dann sollte sie denen mal auf die Finger schauen.“
Dann muss er ganz unbürokratisch rüber in den Stall. Die Kühe warten. Und er macht einfach nur seine Arbeit.
Als Teil unserer Bundestagswahl-Serie schauen wir uns auch die Parteiprogramme genauer an und dröseln auf, wie die Parteien zu unterschiedlichen Sachthemen stehen.

Mehr Texte aus unserer Serie zur Wahl finden Sie hier:




Das Beispiel mit dem franzoesichen Diesel leuchtet zwar ein, aber etwas mehr konkrete Beispiele braeuchte es schon, um die Notlage nachzuvollziehen. Es gibt auch andere Meldungen wie z.B. hier: https://www.agrarheute.com/management/finanzen/bauern-haben-sehr-gut-geld-verdient-einkommen-steigt-um-32-prozent-605835 (Einkommensplus: Ackerbau 39,9 %, Milch 50,5 %, Veredlung 43,3 %). Darauf sollte bei allen Demos auch hingewiesen werden. Die meisten Unternehmer und Arbeitnehmer traeumen davon.
Träumen Sie auch davon, für 42.087€ im Jahr so hart wie ein Bauer zu arbeiten und dabei das volle unternehmerische Risiko zu haben?
Ich kenne eine ganze Reihe Bauern. Die machen das, weil sie etwas sinnvolles machen wollen, nicht weil Reichtum winkt. Die Alternative Angestellter oder Arbeiter, was ja auch nicht immer risikofrei ist, kaeme bei gleichem Einkommen und evtl. weniger Arbeit nicht in Frage. Unternehmerisches Risiko ist sicher vorhanden, aber nicht mit vielen anderen Unternehmen vergleichbar. Gegessen wird immer, ein neues Auto kann auch ein paar Jahre warten.
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