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150. Geburtstag von Alois Alzheimer: Wie Demenz unsere Gesellschaft bedroht

150. Geburtstag von Alois Alzheimer

Wie Demenz unsere Gesellschaft bedroht

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    Alois Alzheimer forscht als Erster an den Ablagerungen im Gehirn. Heute ist Demenz eine Volkskrankheit.
    Alois Alzheimer forscht als Erster an den Ablagerungen im Gehirn. Heute ist Demenz eine Volkskrankheit. Foto: Patrick Pleul (dpa)

    Ein alter Mann irrt nachts durchs Haus. Er trägt fünf Hemden übereinander, hat die Taschen vollgestopft mit Geschirr, Handtüchern, Zahnbürste – und will zur Schule. Eine Frau trinkt zwei Liter Weichspüler, überlebt knapp. Diagnose in beiden Fällen: Alzheimer.

    Alois Alzheimer wäre heute 150 Jahre alt

    Rund 1,4 Millionen Menschen leiden allein in Deutschland an Demenz, bis 2050 rechnet die Deutsche Alzheimer Gesellschaft wegen der steigenden Lebenserwartung mit drei Millionen. Als der Psychiater Alois Alzheimer vor gut 100 Jahren an seiner dementen Patientin Auguste Deter erstmals Hirnveränderungen entdeckte, dachte er noch, er habe es mit einer ganz seltenen Krankheit zu tun. Am Samstag wäre Alzheimer 150 Jahre alt geworden. Geboren im unterfränkischen Marktbreit, studiert der Sohn des Notars Eduard Alzheimer und seiner Frau Theresia Medizin in Berlin, Tübingen und Würzburg. Danach beginnt er als Assistenzarzt in der Frankfurter Städtischen Heilanstalt für Irre und Epileptische. Der Fall der Auguste Deter fesselt ihn.

    Erst denkt Alois Alzheimer er entdecke gerade eine sehr seltene Krankheit

    „Wie heißen Sie?“ – „Auguste.“ – „Familienname?“ – „Auguste.“ – „Wie heißt ihr Mann?“ – „Ich glaube Auguste.“ Der Dialog schreibt Medizingeschichte. Auguste wird 1901 von ihrem Mann verwirrt und orientierungslos in die Anstalt gebracht, sie ist erst 51 Jahre alt. Sonst ist sie gesund, ein psychisches Trauma ist nicht erkennbar. Der Gedächtnisverlust gibt den Ärzten Rätsel auf. Alzheimer dokumentiert seine Gespräche und Beobachtungen auf 31 Seiten. Als er Frankfurt verlässt, um in München an der psychiatrischen Klinik das Hirnanatomische Laboratorium zu leiten, verliert er Auguste Deter nicht aus den Augen. Nach ihrem Tod am 8. April 1906 lässt er sich ihr Gehirn schicken, untersucht es unter dem Mikroskop und entdeckt massiven Zellschwund und ungewöhnliche Ablagerungen.

    Alzheimer ist der erste der die Zusammenhänge herstellen kann

    Ein halbes Jahr später berichtet er bei der 37. Versammlung Südwestdeutscher Irrenärzte über das eigenartige Krankheitsbild und einen „eigenartigen schweren Erkrankungsprozess der Hirnrinde“. Seine Kollegen werten seine Entdeckung als Kuriosität. Hirnforschung lag damals im Trend. Viele Ärzte untersuchten Gehirne per Mikroskop, machten mit Farbstoff Strukturen sichtbar, beschrieben Veränderungen. Alzheimer war aber der erste, der einen Zusammenhang zwischen Ablagerungen und Gedächtnisschwund bei einer jüngeren Patientin herstellte.

    Das ist Alzheimer

    Alzheimer ist eine bis heute unheilbare, neurodegenerative Erkrankung. Sie führt dazu, dass in bestimmten Bereichen des Gehirns Nervenzellen und Nervenzellkontakte zugrunde gehen.

    Alzheimer ist die häufigste Ursache für Demenz, an der nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft bundesweit 1,5 Millionen Menschen leiden (Stand 2014). Die meisten Patienten sind 85 Jahre und älter.

    Da die Gesellschaft altert, gehen Experten davon aus, dass die Zahl der Demenzkranken bis zum Jahr 2050 auf rund drei Millionen steigen wird - sofern kein Durchbruch in der Therapie gelingt.

    Alzheimer ist zwar nicht heilbar, doch das Fortschreiten der Symptome lässt sich mit Medikamenten vorübergehend hinauszögern. Oft ist eine Beaufsichtigung rund um die Uhr nötig - eine immense Herausforderung für pflegende Angehörige.

    Das Wesen des Erkrankten verändert sich. Viele Patienten erkennen ihre Angehörigen nicht mehr, manche werden aggressiv. In fortgeschrittenem Stadium weiß ein Patient nicht mehr, wo er sich befindet und wer er ist.

    Um das Risiko einer Erkrankung zu verhindern, kann man sich lediglich an ein paar Faktoren halten. Dazu zählen eine ausgewogene Ernährung sowie geistige, soziale und körperliche Aktivität.

    Heute gehen Wissenschaftler davon aus, dass die meist nach dem 65. Lebensjahr einsetzende Krankheit durch einen zu langsamen Abbau von Stoffwechselprodukten, Amyloid-Peptiden, ausgelöst wird. Hirnzellen sterben ab. Folge: Betroffene ringen um Worte, können Bankautomaten nicht mehr bedienen, erkennen Familie und Freunde nicht mehr. Angehörige finden später häufig ganze Sammlungen von Zetteln, Notizen auf abgerissenen Zeitungsecken oder gebrauchten Briefumschlägen mit Erinnerungen wie „Achtung!“, „Lisa fragen“, „Erich ist tot“, „Wie geht es weiter?“, wie Susanna Saxl von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft sagt. Oft stehe die gleiche Notiz auf vielen Zetteln – daraus sei auch die Verzweiflung abzulesen.

    Die Genauen Auslöser kennt bis jetzt keiner

    Die Auslöser der Krankheit sind nicht klar. Lebensstil und Ernährung spielen eine Rolle, häufige Gehirnerschütterungen bei Sportarten wie Boxen. Studien wiesen auch genetische Dispositionen nach. „Die Ursache ist multifaktoriell“, sagt der Münchner Psychiater Timo Grimmer. „Die Menschen werden gesünder älter – und damit haben sie schlichtweg eine höhere Chance, so eine Erkrankung zu erleben.“

    Jeder muss wissen wie mit Demenzkranken umzugehen ist

    Die rapide Zunahme der Fälle alarmiert Grimmer und seine Kollegen. „Eine Volkskrankheit, die Millionen betrifft, lässt sich irgendwann nicht mehr beherrschen.“ Die Ärzte hoffen auf neue Therapien. Bisher können Medikamente nur die Beschwerden lindern. Wurden zu Alzheimers Zeit Betroffene als Irre weggesperrt, setzen die Experten heute auch auf die Gesellschaft. „Das Modell der Zukunft muss sein, dass die Menschen verstärkt solidarisch miteinander umgehen“, sagt Grimmer.„Es geht nicht um reine Pflegekonzepte, sondern um gesamtgesellschaftliche Konzepte“, sagt Saxl.

    Nötig sei eine sorgende Gemeinschaft. „Das fängt an mit der älteren Dame, die dreimal am Tag zum Bäcker kommt und zehn Brötchen kauft.“ Dem Bankkunden, der hohe Summen abhebt. Der Seniorin, die im Supermarkt nicht bezahlt. Was sonst mit Polizei ende, lasse sich lösen, wenn Verkäufer Bescheid wüssten.„Dazu gehört, dass jeder weiß, wie er mit Menschen mit Demenz umgehen muss, dass die Leute nicht weggucken und weglaufen.“ Oft sind es gerade die Betroffenen, die weggucken. Das Vergessen bringt Angst und Scham.

    Auch Alzheimer sah an seiner Patientin Auguste Angst, Misstrauen, Ablehnung und Verzweiflung. In den Gesprächen mit ihm sagte sie: „Ich habe mich sozusagen verloren.“ Alzheimer sprach von der „Krankheit des Vergessens“. Erst nach seinem Tod wurde sie nach ihm benannt. Er starb 1915 mit nur 51 Jahren – jünger als seine Patientin. dpa

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