Startseite
Icon Pfeil nach unten
Geld & Leben
Icon Pfeil nach unten

Interview: Chancen und Probleme der Rheumaforschung - ein Arzt berichtet

Interview

Chancen und Probleme der Rheumaforschung - ein Arzt berichtet

    • |
    Es gibt verschiedene Formen des Rheumas, das beispielsweise Gelenke zerstören kann. Wichtig aber ist stets: in Bewegung bleiben.
    Es gibt verschiedene Formen des Rheumas, das beispielsweise Gelenke zerstören kann. Wichtig aber ist stets: in Bewegung bleiben. Foto: Andrea Warnecke, dpa (Symbolbild)

    Herr Professor Schewe, Sie sind Rheumatologe und kümmern sich vor allem um die entzündliche Form der Krankheit. Woran erkennen Betroffene, dass es sich darum handelt?

    Professor Schewe: "Bei der rheumatoiden Arthritis, der häufigsten entzündlichen Rheumaerkrankung, erkennen sie das daran, dass eine Gelenkschwellung vorliegt, dass die Beschwerden vor allem nachts und morgens auftreten und dass sie eine längere Zeit brauchen, bis sie sich wieder normal bewegen können. Besonders betroffen sind die kleinen Gelenke der Finger oder an den Füßen. Diese Beschwerden müssen frühzeitig erkannt und behandelt werden, um Schäden zu vermeiden."

    Was sind die Ursachen dafür?

    Professor Schewe: "Wenn ich das beantworten könnte, wäre ich Nobelpreisträger. Es gibt aber drei Faktoren, die wahrscheinlich eine Rolle spielen: Genetik, Infektionserkrankungen und Umwelteinflüsse, vor allem das Rauchen. Alle Patienten mit entzündlichem Rheuma müssen dringend damit aufhören, denn es kann die Krankheit auslösen oder verstärken."

    Woran liegt das?

    Professor Schewe: "Das liegt daran, dass durch den Rauch Gewebe in den Bronchien abstirbt und das Immunsystem gegen diese absterbenden Zellen des eigenen Körpers arbeitet. Das hat nicht nur mit dem Rauchen zu tun, allerdings verstärkt es den Effekt."

    Welche Behandlungsmethoden gibt es?

    Professor Schewe: "Medikamente helfen bei entzündlichem Rheuma gut. Sie können die Krankheit zu 80 Prozent unterdrücken. Es gibt immer gezieltere Methoden, die einen bestimmten Überträgerstoff blockieren und damit die Entzündung zum Stillstand bringen. Da wären zum Beispiel die TNF-Blocker, die kein Kortison enthalten – eine der wichtigsten Neuerungen der letzten zehn Jahre in der Rheumatologie."

    Hat die Medizin weitere Behandlungsmethoden gefunden?

    Professor Schewe: "Selbstverständlich. Es gibt ganz neue JAK-Inhibitoren, Tabletten, die an bestimmten Stellen in der Zelle die Entzündung unterdrücken können. Diese Medikamente gibt es bei uns erst seit einem halben Jahr. Trotz der Entzündung ist Bewegung notwendig, denn sie kann die Entzündung vermindern. Ernährung ist ebenfalls wichtig. Sie hat vielleicht für die Auslösung eine Bedeutung, aber nicht für den Verlauf. Es gibt keine Rheuma-Diät – möglichst viel Obst, Salat, Gemüse und wenig Fleisch ist hilfreich."

    Helfen auch Operationen?

    Professor Schewe: "Wenn schon eine Veränderung des Gelenks vorliegt, sind Operationen unter Umständen notwendig. Genau das wollen und können wir oft verhindern."

    Manche Menschen bevorzugen Homöopathie – hilft das auch?

    Professor Schewe: "Eindeutig nein. Ich hab Patienten, die komplett mit der Schulmedizin aufgehört haben. Ein paar Jahre später kamen sie mit veränderten Gelenken wieder."

    Was hilft bei Abnutzung der Gelenke, der häufigsten Form einer nicht entzündlichen Rheumaerkrankung?

    Professor Schewe: "Die richtige und tägliche Bewegung, insbesondere der betroffenen Gelenke. Sie sollte aber nicht zu stark belastend sein. Es müsste schon Schülern beigebracht werden, dass das für ihre Gesundheit – nicht nur der Gelenke – entscheidend ist."

    Vergangene Woche war Welt-Rheuma-Tag – heuer zum Thema Begleiterkrankungen. Welche gibt es?

    Professor Schewe: "Das Problem ist, dass entzündliches Rheuma auch im Herz-Kreislauf-Bereich Veränderungen verursachen kann. Patienten haben ein höheres Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle, aber auch Lungen und Nieren können betroffen sein. Das kann man verhindern, indem man die Entzündung mindert und Zusatzerkrankungen sowie Risikofaktoren mitbehandelt."

    Es ist die Rede davon, dass entzündliche Rheumaerkrankungen Krebs oder Diabetes auslösen. Ist da etwas dran?

    Professor Schewe: "Es stimmt, dass bestimmte Krebsarten etwas häufiger auftreten bei entzündlichen Rheumaerkrankungen. Das sind vor allem Krebsarten, die über Immunzellen laufen, wie Blut- und Lymphknotenkrebs. Andere Krebsarten sind bei entzündlichem Rheuma nicht häufiger. Diabetes ist insofern ein Begleitproblem, weil wir oft Kortison in der Behandlung einsetzen. Es ist ein hoch entzündungshemmendes Medikament und deshalb für einige Rheumaarten das einzige Medikament. Es kann allerdings Diabetes verursachen."

    Warum ist dieses Thema bisher eher unbekannt?

    Professor Schewe: "Das liegt vor allem daran, dass die Rheumatologie zu wenig Ärzte hat und diejenigen, die diese Fachrichtung ausüben, kümmern sich nur um die Gelenke und nicht um Begleiterkrankungen. Sie sollen vom Hausarzt übernommen werden, der aber auch überfordert ist, weil er nie weiß: Was ist eine Folge der Rheumaerkrankung? Ein anderes Problem liegt bei den Universitäten."

    Inwiefern?

    Professor Schewe: "Es gibt in Medizinfakultäten nicht immer einen Lehrstuhl für Rheumatologie. Den brauchen wir aber, weil Rheumatologie das schwierigste medizinische Fach überhaupt ist, schließlich müssen Studenten Wissen über die gesamte innere Medizin haben. Denn alle Organsysteme von Patienten mit entzündlichem Rheuma können beteiligt sein, deshalb sind regelmäßige Kontrollen notwendig. Es muss mehr Power in die Ausbildung gesteckt werden."

    Welchen Einfluss hat Rheuma auf das Leben der Patienten?

    Professor Schewe: "Das kann einen erheblichen Einfluss haben. Deshalb müssen sie damit umgehen lernen, schließlich ist die Krankheit nicht heilbar. Trotzdem können Patienten selbstverständlich ein normales Leben führen, gerade wenn die Krankheit früh erkannt wird. Sie lässt sich meist gut in den Griff bekommen."

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden