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Forschung: Brauchen wir noch Tierversuche?

Forschung

Brauchen wir noch Tierversuche?

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    In einem Labor wird eine Labormaus für einen Versuch vorbereitet.
    In einem Labor wird eine Labormaus für einen Versuch vorbereitet. Foto: Jan-Peter Kasper/Illustration (dpa)

    Unter Narkose wird dem Pavian sein eigenes Herz herausgenommen. Stattdessen setzen ihm die Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität München ein Schweineherz ein. Der Affe lebt 25 Tage, dann tritt akutes Leberversagen ein. Er wird getötet. Das Experiment zählt zur Grundlagenforschung. Es soll dabei helfen, besser zu verstehen, wie Organtransplantationen beim Menschen funktionieren. Zwei Tiere mussten dafür sterben.

    Es sind zwei von 2,7 Millionen Tieren, an denen Wissenschaftler 2015 in deutschen Laboren experimentierten. 244 000 sind es laut der zuständigen Regierung von Oberbayern allein in Südbayern. Mit einem Anteil von mehr als 80 Prozent sind Mäuse und Ratten die beliebtesten Versuchstiere. Das liegt daran, dass die Nager einfacher zu halten sind als größere Säugetiere. Zudem ist ihr Genom neben dem des Menschen am besten erforscht. Geht es nach Silke Strittmatter, sollte kein einziges Tier mehr für Versuche herhalten müssen. Die Biologin kämpft mit dem Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ für ein Umdenken. „Die Ergebnisse, die durch Tierversuche erzielt werden, sind gar nicht auf den Menschen übertragbar. Es kann sogar gefährlich sein, auf Basis solcher Erkenntnisse hergestellte Medikamente an Menschen zu testen.“ Medikamententests an Tieren würden nur eine Sicherheit vorspielen, die gar nicht vorhanden sei. Sie dienten als Alibi gegen Regressansprüche.

    Biologin Silke Strittmatter: „Forscher kommen leichter an Fördergelder, wenn sie mit Tieren experimentieren.“

    Strittmatter behauptet, die Forschungserkenntnisse wären auch ohne Tierversuche möglich, etwa mithilfe von Computersimulationen. Doch Tierversuche hätten in der Forschung einfach Tradition. „Forscher kommen leichter an Fördergelder, wenn sie mit Tieren experimentieren, als wenn sie darauf verzichten. Ganze Industriezweige verdienen daran, etwa Züchter oder Laborausstatter.“ Zwar habe es in Sachen Tierschutz durch neue Gesetze eine gewisse Verbesserung gegeben. Doch um Tiere vor Schaden zu bewahren, sei ein Verbot unausweichlich. Im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, das auch für Tierschutz zuständig ist, sieht man das anders.

    Sprecherin Jennifer Reinhard sagt: „Obwohl heute schon viele Fragen der Wissenschaft durch den Einsatz von Zellkulturen, computergestützte Verfahren und weitere Alternativmethoden beantwortet werden können, kann nach derzeitigem Stand der Wissenschaft auf den Einsatz von Tieren für wissenschaftliche Zwecke noch nicht vollständig verzichtet werden. Ein Verbot würde nicht zuletzt auch verfassungsrechtliche Fragen, etwa nach der Freiheit von Forschung und Lehre, aufwerfen.“ Nach dem Tierschutzgesetz dürften Tierversuche nur durchgeführt werden, wenn durch eine Alternativmethode nicht ein ebenso aussagekräftiges Ergebnis zu erwarten sei. Jedes Versuchsvorhaben würde durch die zuständigen Landesbehörden intensiv geprüft, sagt Reinhard. Die Bundesregierung unterstütze zudem verschiedene Forschungsprojekte, die zum Ziel haben, Tierversuche durch alternative Methoden zu ersetzen.

    Mehr Sachlichkeit in emotionale Debatte um Tierversuche durch Kampagne

    Es werden aber noch Jahrzehnte vergehen, bis kein Tier mehr für Forschungszwecke sterben muss, glaubt Johannes Beckers. Der stellvertretende Leiter des Helmholtz-Zentrums München erforscht mithilfe von Mäusen die Ursachen von Diabetes. „So etwas Komplexes wie einen gesamten Organismus können wir noch nicht künstlich nachbauen. Wenn wir verstehen wollen, wie Krankheiten funktionieren, müssen wir die Wirkung auf den ganzen Körper sehen.“ Beckers rief, gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern, vor einigen Monaten die Kampagne „Tierversuche verstehen“ ins Leben. Sie soll in die sehr emotionsgeladene Debatte um Tierversuche mehr Sachlichkeit bringen.

    „Natürlich sind Ergebnisse aus Tierversuchen nicht blind auf den Menschen übertragbar. Aber sie helfen, besser zu verstehen, wie der Körper funktioniert.“ Deshalb sei Grundlagenforschung so wichtig, auch wenn sie oft erst nach vielen Jahren konkrete Ergebnisse bringe. Ein Verbot von Tierversuchen fände Beckers falsch. „Dann würde sich die Forschung in Länder außerhalb der EU verlagern, wo Kontrollen und Vorschriften weniger strikt sind.“ Kein Wissenschaftler führe Tierversuche durch, weil es ihm Spaß mache. Er selbst erinnere sich noch genau, wie er als Student das erste Mal eine Maus durch Genickbruch habe töten müssen. „Ich sage aber auch klar, dass mir das Leiden eines Menschen im Zweifelsfall wichtiger ist als das eines Tieres.“

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