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Astrophysiker: Genie und Popstar: Stephen Hawking ist tot

Astrophysiker

Genie und Popstar: Stephen Hawking ist tot

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    Stephen Hawking bei einem Ausflug in die Schwerelosigkeit. Der Wissenschaftler erlebte das Abenteuer an Bord einer modifizierten Boeing 727. 
    Stephen Hawking bei einem Ausflug in die Schwerelosigkeit. Der Wissenschaftler erlebte das Abenteuer an Bord einer modifizierten Boeing 727.  Foto: DB gozerog/Zero Gravity Corporation, dpa

    Dass er von Religion nichts hält, hat Stephen Hawking gegen Ende seines Lebens eindeutig klar gemacht. Der Glaube an einen Himmel oder ein Leben nach dem Tod seien „Märchen für Leute, die Angst vor der Dunkelheit haben“, sagt er in mehreren Interviews. Aber weil er Sinn für Humor und Selbstironie hat, hätte ihm diese Konstellation wohl ziemlich gut gefallen: Stephen Hawking, der brillante Erneurer der Astrophysik, kommt am 8. Januar 1942, auf den Tag genau 300 Jahre nach Galileo Galileis Tod, auf die Welt. Er stirbt am frühen Morgen des 14. März, dem Geburtstag von Albert Einstein.

    Die Vorstellung, die beiden Ikonen der Physik des 20. Jahrhunderts könnten nun zusammen in irgendeinem Jenseits diesen Tag fröhlich feiern, ist natürlich abwegig. Erstens sind Hawking und Einstein in ihrer Meinung zur Religion ziemlich deckungsgleich. Und zweitens würden sich die beiden wohl nicht lange mit dem Austausch von Freundlichkeiten aufhalten, sondern schnell ins Grundsätzliche abgleiten. Denn Hawking und Einstein liegen an entscheidender Stelle über Kreuz. Bisher hat sich allerdings noch keiner gefunden, der sagen könnte, wer von beiden nun recht hat.

    Damit könnte man es bewenden lassen, aber die entscheidende Frage über Hawking bliebe so unbeantwortet: Wie hat es dieser merkwürdige kleine Mann im Rollstuhl geschafft, zu einem weltweit anerkannten Wissenschaftler zu werden – und gleichzeitig fest verankert zu sein im Personal der Populärkultur?

    Von Einstein kennt jedes Schulkind das Bild mit herausgestreckter Zunge. Hawking taucht in einer Folge von Raumschiff Enterprise auf, in der er mit Einstein, Newton und dem Enterprise-Androiden Poker spielt. Bei den Simpsons, der anarchischen Zeichentrick-Serie um die amerikanische Durchschnittsfamilie, gehört er fast schon zum Personal, so oft ist er zu sehen – und zu hören. Denn Hawkings lässt es sich nicht nehmen, seinen Part auch selbst zu synchronisieren. Sogar ins Kino hat es Hawking schon zu Lebzeiten geschafft: In „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ spielt Eddie Redmayne den jungen Physiker und sein Leben mit der fortschreitenden Nervenerkrankung ALS so überzeugend, dass er dafür 2015 den Oscar bekommt.

    Stephen Hawking bekam mit 21 Jahren die Diagnose ALS

    ALS. Die drei Buchstaben stehen für die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose. Als Student fällt Hawking mit seiner zunehmenden Tapsigkeit auf. Auf Drängen seiner Eltern geht er schließlich zu einem Arzt – und erhält mit 21 Jahren die Diagnose, dass er unheilbar krank ist. Drei Jahre geben ihm die Ärzte da noch. Was macht das mit einem jungen Menschen, wenn man ihm sagt, dass er bald sterben muss?

    Bis eben lief das Leben doch noch so normal. Normal für Hawking-Verhältnisse zumindest. Angeblich gilt die Familie selbst in einem Land, in dem eine starke Persönlichkeit nicht als Makel empfunden wird, als etwas exzentrisch. Der Vater Tropenmediziner, die Mutter Wirtschaftswissenschaftlerin und Aktivistin. Stephen ist das erste Kind des Paares, ihm folgen zwei Töchter und ein Adoptivsohn. Er ist noch Schüler, als er sich probeweise für die Aufnahmeprüfung an der Universität Oxford anmeldet – und mit Auszeichnung besteht. Hawking bekommt ein Stipendium und studiert Mathematik und Physik, später dann theoretische Astronomie und Kosmologie in Cambridge. Mit 24 hat er den Doktortitel in der Tasche und sein Lebensthema als Wissenschaftler gefunden. Und die Diagnose seiner Krankheit?

    Sie wird zum Wendepunkt in Hawkings’ Leben. Aber anders, als man das erwarten dürfte. Erstens zeichnet sich bald ab, dass ALS bei ihm einen extrem langsamen Verlauf nehmen würde. Das verschafft ihm Zeit. Einen Horizont. Und noch etwas verändert den Lauf dieses jungen Lebens.

    Kurz bevor Stephen Hawking sich von den Ärzten untersuchen lässt, geht er auf eine Silvesterparty – und lernt dort ein Mädchen kennen, das ihn ziemlich beeindruckt. Jane Wilde heißt die junge Frau, die Sprachen studiert. „Plötzlich begriff ich, dass es eine Reihe wertvoller Dinge gab, die ich tun könnte, wenn mir ein Aufschub gewährt würde.“ So beschreibt Hawkings später diese Phase seines Lebens. 1965 heiraten er und Jane. Ein Jahr später bekommt der hoch begabte Nachwuchswissenschaftler die erste Auszeichnung für seine Forschung. Ein neuer Stern geht auf. Und wir sind damit zurück bei der Frage, was Einstein und Hawking trennt.

    Was sind Schwarze Löcher?

    Wie hat alles angefangen? Warum existieren das All, die Erde, die Menschen? Wer an die Grenzen unseres Denken gehen und die endgültigen Fragen beantworten will, darf nichts als gegeben ansehen. Als Hawkings noch Student ist, gewinnt die Theorie des „Big Bang“ zunehmend an Einfluss. Zusammen mit dem Kollegen Roger Penrose gelingt Hawking ein theoretischer Beweis dafür, dass das Universum explosionsartig aus einem Zustand unendlich dichter, heißer Strahlung und Energie entstand. Einstein nannte diesen Zustand, der sich jeder mathematischen oder physikalischen Voraussage entzieht, Singularität. Mit Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie im Einklang steht auch die Existenz von Schwarzen Löchern.

    Diese entstehen, wenn ein Riesenstern ausgebrannt ist und wegen der Schwerkraft und seiner eigenen Masse in sich zusammenstürzt. Ist die Masse groß genug, wird die Schwerkraft so stark, dass nichts diesen Kollaps aufhalten kann – die Materie stürzt zu einem mathematischen Punkt zusammen – einer sogenannten Singularität. Nichts kann aus diesem Gravitationsfeld entweichen. In kosmischen Dimensionen wäre so irgendwann ein Endzustand erreicht. So weit, so Einstein.

    Hawking aber rechnet neu. Als er beginnt, haben die Astronomen noch keine Beobachtungsdaten zu Schwarzen Löchern. Nur aus der Theorie kommt Hawking zu dem Schluss, dass aus Schwarzen Löchern eben doch wieder etwas herauskommt: eine Strahlung, die so schwach ist, dass sie bisher nicht gemessen werden konnte, die aber langfristig dazu führt, dass ein Energiekreislauf im Universum entsteht. Diese nach ihm benannte „Hawking-Strahlung“ könnte zwei, bisher kaum in Einklang zu bringende Theoriegebäude der Physik miteinander verbinden. Die klassische, auf Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie basierende Physik auf der einen Seite und die wesentlich von Niels Bohr, Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger entwickelte Quantentheorie auf der anderen.

    Niemand konnte Hawkings Theorie beweisen

    Größtes Problem bei Hawkings Theorie: Niemand konnte sie bisher beweisen. Und: Wenn Schwarze Löcher Materie verschlucken und anschließend verdampfen, vernichten sie dabei nach herrschender Meinung Information. Das widerspricht aber allen Prinzipien der Quantenphysik, die darauf baut, dass Information stets erhalten bleibt. Hawking hat lange gebraucht, um darauf eine Antwort zu finden. Wer bisher noch folgen konnte, wird diese erstaunlich simpel finden: „Es ist so, als würden Sie eine Enzyklopädie verbrennen: Streng genommen geht die in ihr enthaltene Information nicht verloren, wenn Sie allen Rauch und alle Asche sorgfältig aufheben, aber sie lässt sich sehr schwer lesen.“ So schreibt er in einem seiner letzten populärwissenschaftlichen Bücher, die stets hohe Auflagen erzielten. Und damit zur Frage, wie aus dem Wissenschaftler Hawking so etwas wie ein Popstar werden konnte.

    Hawking führt diesen Wandel – der ihm auch schmeichelt – stets auf die Diskrepanz zwischen seiner körperlichen Erscheinung und der Komplexität der Theorien zurück, mit denen er sich beschäftigt. Schon drei Jahre nach seiner Hochzeit mit Jane ist er auf einen Rollstuhl angewiesen. Infolge einer Luftröhrenoperation kann er seit 1985 nur noch mithilfe eines Sprachcomputers kommunizieren. Dennoch sind die Säle, in denen Hawking auf der ganzen Welt seine Vorlesungen hält, fast überall zu klein für die Massen an Besuchern. Mit „Eine kurze Geschichte der Zeit“ schreibt er, wie Spötter sagen, das meistverkaufte, ungelesene Buch seit der Bibel.

    Doch der Ruhm hat seine Schattenseiten. Je bekannter Hawking wird, desto weniger scheint noch relevant, was er sagt. Viel wichtiger ist, dass er es sagt: Die Erde werde wegen des menschlichen Wirkens bald unbewohnbar; eine Begegnung mit Außerirdischen ginge für die Menschheit wohl nicht gut aus – Spekulationen, mit denen Hawking viel Kredit unter Fachkollegen verspielt. Und das Leben für die Wissenschaft fordert auch privat einen hohen Preis. Die Ehe mit Jane, mit der er drei heute längst erwachsene Kinder hat, zerbricht. 1990 lassen sich die beiden scheiden, nähern sich aber in Hawkings letzten Lebensjahren wieder an. 1995 heiratet er seine Pflegerin Elaine Mason, doch auch diese Ehe scheitert nach gut zehn Jahren.

    Am frühen Mittwochmorgen stirbt der Mann, der keine Angst vor der Dunkelheit hat, im Alter von 76 Jahren friedlich in seinem Haus in Cambridge. „Wir werden ihn für immer vermissen“, lassen seine Kinder Lucy, Robert und Tim über die PR-Agentur der Familie mitteilen. Hawkings ist Jahrzehnte älter geworden, als die Ärzte ihm voraussagten. In dieser Zeit hat er unseren Blick auf den Kosmos und den Beginn von allem verändert. Auf die Frage, worüber er jeden Tag am meisten nachdenke, sagt er noch vor wenigen Jahren: Frauen – sie seien ihm ein komplettes Rätsel. Ansonsten halte er sich für einen glücklichen Menschen.

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