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Medizin: Grippe: Ist ein Ausbruch wie im Jahr 1918 heute noch möglich?

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Grippe: Ist ein Ausbruch wie im Jahr 1918 heute noch möglich?

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    Nichts als Grippe-Kranke: Das Militärlager Camp Funston im Jahr 1918. Hier soll das Todes-Virus seinen Ausgang genommen haben.
    Nichts als Grippe-Kranke: Das Militärlager Camp Funston im Jahr 1918. Hier soll das Todes-Virus seinen Ausgang genommen haben. Foto: National Museum of Health and Medicine, dpa

    Wer schon mal eine echte Grippe hatte, weiß, dass das kein Spaß ist. Sie kommt meist schlagartig und streckt ihr Opfer förmlich nieder. Man fühlt sich schwer krank und derart schwach, dass selbst der Gang zur Toilette als kaum machbares Unterfangen erscheint. Nun haben die Auslöser der Grippe, die Influenza-Viren, wieder Hochzeit. Rund 6000 Menschen in Bayern sind derzeit als grippekrank gemeldet. Und es werden täglich mehr. Für manche von ihnen, oft alte oder geschwächte Menschen, wird sie tödlich enden. Es gab Jahre, in denen 20.000 Menschen daran gestorben sind – allein in Deutschland.

    So schlimm das ist: Im Vergleich zu der Grippewelle, die vor 100 Jahren weltweit grassierte, nimmt sich die derzeitige Influenza-Saison harmlos aus. Damals zeichnete sich allmählich das Ende des Ersten Weltkrieges mit seinen schließlich 17 Millionen Toten ab. Die Spanische Grippe, die dann wütete, hatte noch katastrophalere Folgen. Je nach Schätzung starben zwischen 25 und 50 Millionen Menschen daran.

    Wie kam es dazu? Und: Kann es eine solche Pandemie heute wieder geben? Die Meinungen darüber gehen auseinander.

    Der Erste Weltkrieg also. Der schrecklichste Krieg, den die Welt bis dahin erlebt hatte. Zwar hatte das Deutsche Reich Frieden mit dem seit der Oktoberrevolution 1917 bolschewistischen Russland geschlossen und war der prekären Kriegssituation an zwei Fronten entronnen. Aber die Entwicklung an der Westfront, die Versorgungsmängel durch die britische Seeblockade und nicht zuletzt der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten führten dazu, dass die Oberste Heeresleitung im Laufe des Jahres 1918 immer mehr zu der Überzeugung kam, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Die Amerikaner schickten zudem immer mehr Soldaten nach Europa. Angeblich waren sie es, die die Spanische Grippe in die kriegsgeschwächte „Alte Welt“ brachten.

    Der Anfang ist vielen Quellen zufolge im riesigen Militärlager „Camp Funston“ in den landwirtschaftlich geprägten Weiten des US-Bundesstaates Kansas zu finden. 56000 zumeist junge Männer waren dort zusammengepfercht und warteten auf ihren Marschbefehl nach Europa. „Als Kronzeuge dieser Ursprungshypothese wird der Landarzt Loring Miner im Haskell County aufgerufen“, schreibt Dr. Harald Salfellner, ein in Prag ansässiger Arzt, Verleger und Medizinhistoriker, der nun seine jahrelangen Recherchen in dem Buch „Die Spanische Grippe – Eine Geschichte der Pandemie von 1918“ zusammengefasst hat. War es wirklich so? Salfellner hat zumindest Zweifel daran.

    Landarzt Miner jedenfalls, so die bisher gängige Meinung, hatte im März 1918 beobachtet, dass in dem Camp eine Grippewelle grassierte, an der binnen kurzer Zeit immer mehr Menschen starben. Das meldete er der US-Gesundheitsbehörde. Die Symptome waren grausam. Nach einer Inkubationszeit von nur ein oder zwei Tagen stellten sich hohes Fieber bis 41 Grad und schwerstes Krankheitsgefühl mit unerträglichen Kopfschmerzen ein. Die Betroffenen wälzten sich in den Betten und vegetierten nur noch wimmernd dahin. Ihrer Gesichter wurden rot bis bläulich und waren aufgedunsen.

    Grippe: So fürchterlich waren die Folgen für die Betroffenen

    Dazu traten sehr häufig zwei Formen der Lungenentzündung auf: die Primärpneumonie, bei der die Lungenentzündung direkt von den Grippeviren ausgelöst wird, oder – was häufiger vorkam: Der Patient erkrankte an einer von Bakterien hervorgerufenen Lungenentzündung, die zur Grippe hinzukam und den ohnehin geschwächten Patienten malträtierte. Das nennt sich Sekundärpneumonie.

    Mit fürchterlichen Folgen für den Erkrankten, der an vereiterten Lungen und entsetzlichen Schmerzen litt. Salfellner beschreibt es so: „Die unter qualvoller Atemnot leidenden Kranken sind bis zum Schluss bei klarem Bewusstsein, beobachten die vergeblichen Rettungsversuche der Ärzte und erkennen mit Entsetzen das bevorstehende Ende. (...) In diesen Fällen macht ein Herzversagen dem Todeskampf ein Ende.“

    Mitarbeiterinnen des St. Louis Red Cross Motor Corps in St. Louis (USA) bereiten sich 1918 auf die Versorgung der Grippe-Opfer vor.
    Mitarbeiterinnen des St. Louis Red Cross Motor Corps in St. Louis (USA) bereiten sich 1918 auf die Versorgung der Grippe-Opfer vor. Foto: Library of Congress/AP, dpa

    Im Frühjahr 1918 waren zunächst vergleichsweise wenige Menschen von der Krankheit betroffen, sodass noch nicht wirklich von einer Grippewelle die Rede war. Die Nachrichten rund um den Erdball waren vom Kriegsgeschehen dominiert. In diesen Tagen wurden weitere US-Soldaten nach Europa gebracht, wo sie – so die gängige medizinhistorische Deutung – dann den Kriegskontinent „infizierten“.

    So kam es auch zu dem Namen „Spanische Grippe“ und nicht etwa „Amerikanische Grippe“. Die Zensurbehörden der kriegsführenden Länder untersagten nämlich zunächst, darüber zu berichten, um die Kampfmoral nicht zu torpedieren. Spanien war aber neutral, und dort gab es nur relativ wenig Zensur. So berichteten spanische Medien Ende Mai, dass acht Millionen Spanier an Grippe erkrankt seien. Plötzlich war der Name „Spanische Grippe“ in der Welt.

    Eine Pandemie, die grob skizziert in drei Wellen verlief: der ersten etwas weniger schweren im Frühjahr 1918, einer zweiten extrem tödlichen im Spätsommer und Herbst 1918 sowie einer dritten Anfang 1919. Überall auf der Erde lagen die Menschen darnieder. Die Grippe raffte ganze Ortschaften dahin. Generäle in Europa waren es leid, morgens nur noch die Zahl der Erkrankten genannt zu bekommen, was das Kriegsgeschäft stark erschwerte.

    Grippewelle: Allein in Deutschland starben bis zu einer halben Million Menschen

    Zwei Drittel der Bevölkerung des Deutschen Reiches waren angeblich erkrankt. Je nach Schätzung starben davon zwischen 250000 und 460000. In den USA entstand Salfellner zufolge ein „Hexenkessel“ der Grippewelle. Allein in der Woche vom 17. bis zum 23. Oktober verloren in den Vereinigten Staaten 210000 (!) Amerikaner ihr Leben. Überall gab es riesige Probleme, die Toten – weil so zahlreich – zu bestatten.

    Die Schätzungen, wie viele Menschen überhaupt ihr Leben lassen mussten, gehen auseinander. Der Weltkrieg überschattete vieles. Sehr zahlreich sollen die Opfer in Russland gewesen sein. Doch in dem revolutionsgeschüttelten Land, nunmehr Sowjetunion genannt, hatten die führenden Kommunisten andere Themen auf der Agenda. Die meisten Toten soll es in Indien gegeben haben: 14 Millionen, was eine Volkszählung im Jahr 1921 angeblich belegte.

    Ob die Grippe tatsächlich in den Vereinigten Staaten ihren Ursprung nahm, ist bis heute nicht hundertprozentig geklärt. Ebenso wenig ist klar, warum sie bevorzugt nicht Kinder und Alte dahinraffte, sondern gerade gesunde Menschen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Fakt ist, dass es sich um ein Influenzavirus des sogenannten Subtypen A/H1N1 handelte. Dieser stammte Experten zufolge von einem Vogelgrippe-Virus ab und war kurz vor dem Ausbruch der Seuche mehrfach mutiert – in einer Weise, die ihn äußerst gefährlich machte. Weil er aber mutiert war, kannte ihn das Immunsystem der Menschen nicht. So konnte das Virus seinen Wirt befallen, um sich zu vermehren. Viele dieser Wirte starben denn auch daran. Nach 1919 ebbte die Spanische Grippe schließlich ab.

    Kann sich eine Katastrophe von diesem Ausmaß wiederholen? Während Salfellner dies grundsätzlich bejaht, ist man beim Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin, der zentralen Stelle für Infektionskrankheiten in Deutschland, vorsichtig mit einer solchen Aussage. Susanne Glasmacher, Biologin und Pressesprecherin des RKI, sagt: „Eine ähnliche Pandemie wie 1918 ist heute bei uns nicht denkbar.“ Weil: Die Menschen seien 1918 kriegsbedingt oft in einem schlechten Gesundheitszustand gewesen. Vor allem habe es damals weder Antibiotika gegen die Sekundärpneumonie gegeben noch antivirale Mittel. Auch eine leistungsfähige Intensivmedizin, bei der man Patienten mithilfe von Geräten zur Not übergangsweise außerhalb des Körpers beatmen kann, existierte nicht.

    Im Grippe-Ernstfall gibt es einen nationalen Pandemieplan

    Es ist Winter und damit auch bei uns Grippe-Zeit. Allein in Bayern sind derzeit rund 6000 Menschen als grippekrank gemeldet.
    Es ist Winter und damit auch bei uns Grippe-Zeit. Allein in Bayern sind derzeit rund 6000 Menschen als grippekrank gemeldet. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Im Jahr 2009 schlug A/H1N1 – infolge von Mutationen in anderer „Gestalt“ – übrigens wieder zu, diesmal als sogenannte Schweinegrippe. Diese brachte weltweit etwa 18500 Menschen den Tod – viel weniger als 1918. Das lag Glasmacher zufolge auch daran, dass es heute modernere Medikamente und Vorsorgemaßnahmen gibt. In einem anderen Jahrhundert also hätte die Schweinegrippe womöglich viel verheerendere Folgen gehabt.

    Im Fall des Ausbruchs einer Grippeseuche gibt es in der Bundesrepublik einen nationalen Pandemieplan. Danach sind die Pharmariesen Novartis und GlaxoSmithKline verpflichtet, einen spezifischen Impfstoff für die komplette deutsche Bevölkerung zu produzieren und auszuliefern. Das würde laut Glasmacher mehrere Wochen dauern.

    Es muss ja zunächst bestimmt werden, welcher Impfstoff in großer Menge hergestellt werden muss, schließlich gibt es unterschiedliche Virustypen. Bis dahin wird die Bevölkerung mit einem nichtspezifischen Mittel gegen das Virus versorgt, das laut Pandemieplan schon jetzt in relativ großen Mengen im Auftrag der Bundesländer eingelagert ist. Wie weit die Bevorratung in den Ländern inzwischen fortgeschritten ist, sagt der Pandemieplan allerdings nicht.

    Medizinhistoriker Salfellner dagegen sieht dieses Thema in einem düstereren Licht. „Am Ende des Ersten Weltkriegs gab es 1,8 Milliarden Menschen auf der Erde, bald werden es acht Milliarden sein. Davon lebt aber nur ein kleiner Teil in gut versorgten Wohlstandsgebieten wie Deutschland, das im Ernstfall sicher gut versorgt ist“, sagt er. Der andere, weitaus größere Teil der Menschheit lebe in schlecht versorgten Gebieten. Deshalb ist er überzeugt: „Die nächste Pandemie kommt bestimmt.“

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