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Bodensee: Warum dieser Vogelschützer schon mal Katzenhaltern an den Kragen geht

Bodensee

Warum dieser Vogelschützer schon mal Katzenhaltern an den Kragen geht

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    Das Vogelsterben bereitet ihm Sorgen: Es gibt heimische Vögel, sagt Forscher Peter Berthold, „die krieg ich nicht mehr angelockt“.
    Das Vogelsterben bereitet ihm Sorgen: Es gibt heimische Vögel, sagt Forscher Peter Berthold, „die krieg ich nicht mehr angelockt“. Foto: Angelika Wohlfrom

    Mit ausgebreiteten Armen und hängendem Kopf sitzt er da auf seinem Holzstuhl mit dem Schaffell drauf – und fliegt. Das heißt, er tut natürlich nur so. Peter Berthold imitiert einen Rotmilan, der seine Schwingen hebt und senkt, hebt und senkt und dabei den Boden nach Beute absucht, bis ihn das Rotorblatt trifft: zack. Und schon sind die Auswirkungen der Windenergie auf den Greifvogel anschaulich erklärt. Berthold kann so etwas.

    Deutschlands bekanntester Vogelforscher ist nicht von ungefähr ein gern gesehener Gast in Fernseh-Talkshows. Er kennt sich glänzend aus. Er scheut sich nicht vor Zuspitzungen, wenn es der Sache dient, seiner Sache, also den Vögeln. Ja, er hat auch Unterhaltungswert. Und er kann dem Laien komplexe Zusammenhänge in der Natur verständlich machen. Mit einfachen Worten, ohne Fachchinesisch, dafür gerne mal im Dialekt. Berthold beherrscht Sächsisch, Schwäbisch und dessen besondere Ausprägung, das „Kretschmannisch“, aus dem Effeff. Und natürlich die Vogelsprachen. Bei Bedarf zwitschert der 79-Jährige wie ein Pirol.

    Der Professor hat sein Leben den Vögeln und dem Naturschutz gewidmet. Viele Jahre war er Direktor der Vogelwarte Radolfzell am Bodensee, einer Zweigstelle des Max-Planck-Instituts für Ornithologie. In seinem Buch „Mein Leben für die Vögel“, das vor gut zwei Jahren erschien, schildert Bernhard, wie er sich schon als kleiner Junge im sächsischen Zittau mit dem Vogelvirus infizierte. Und wie es ihn als Jugendlichen – später, als die Familie nach dem Krieg auf der Schwäbischen Alb lebte – magisch zur Radolfzeller Vogelwarte hinzog.

    So sehr, dass er mit dem Fahrrad bis zum Vogelkundler-Kongress nach Frankfurt fuhr, um in Kontakt mit diesem erlesenen Kreis zu treten. Die Liebe ist seither nicht erkaltet. Er sei nicht nur Ornithologe, sagt er heute, „sondern auch Ornithomane, vielleicht sogar Ornithopath, also den Piepmätzen regelrecht verfallen“.

    Sein mächtiger grauer Bart als Nistplatz für Vögel?

    Journalisten empfängt Berthold gerne im Institut in Radolfzell. Dort hat er noch immer ein kleines, liebevoll eingerichtetes Büro. Gerahmte Bilder von allen ehemaligen Leitern der Vogelwarte, dazu Fotos von Bertholds Weggefährten, darunter Tierfilmer Heinz Sielmann, und jede Menge Zeitungsartikel schmücken die Wände und zeugen von einem ereignisreichen Leben. Für ein doppelseitiges Interview mit einer überregionalen Zeitung hat ihm ein Grafiker Vögel in und um den mächtigen grauen Bart herum gezeichnet – der Gedanke, dass dieser ein attraktiver Nistplatz sein könnte, stand hier offensichtlich Pate.

    Drei halbe Tage in der Woche ist Berthold noch hier, beantwortet Mails und erledigt Sekretariatsarbeit. Auch seine Vorträge hat er in diesem Büro vorbereitet. 591 an der Zahl. Doch damit soll nun Schluss sein. Auch wenn es – vital, wie er vor einem sitzt – nicht so wirkt, spüre er doch, dass er älter werde. Mal schnell am Abend drei Bäume zurückschneiden, daheim auf seiner Streuobstwiese im Örtchen Owingen-Billafingen, das schaffe er heute nicht mehr.

    Mit knapp 80 bewirtschaftet er gemeinsam mit seiner Frau Gabriele noch eine kleine Landwirtschaft. Eine Schafherde hält die Streuobstwiese frei, dazu hat er Hühner und einen Hund. „Solange ich noch kriechen kann“, will er sich weiter kümmern. „Ich brauche die Verbindung zur Erde, möglichst jeden Tag, und natürlich immer Viecher um mich herum.“

    Dazu kommt sein Einsatz für die Heinz Sielmann Stiftung, das Pflegen und Dokumentieren von mehr als 100 Biotopen. Und natürlich die Bücher, fünf hat Berthold allein in den letzten Jahren veröffentlicht. Für Auftritte im Fernsehen nimmt er weite Zugreisen quer durch die Republik in Kauf. Nicht, weil er so eitel wäre, sondern weil er dort seine Botschaften mit der größtmöglichen Breitenwirkung unters Publikum bringt. „Wenn ich zu Markus Lanz gehe, sehen das fünf, sechs, sieben Millionen. Da kriege ich noch nach einem Jahr Zuschriften.“

    Der Professor stichelt gegen die Landesregierung

    Windkraft, Vogelsterben, Stuttgart 21, Nationalpark Nordschwarzwald, grün-schwarze Landesregierung, das Landleben und überhaupt – Berthold hat zu allem eine unterhaltsame Geschichte auf Lager und bei Bedarf auch einen klaren Standpunkt. Auch als er kurz vor Weihnachten in Konstanz das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen bekam, trug Berthold ganz gegen seine Gewohnheit zwar graues Jackett und weinroten Schlips – übrigens einen seines verstorbenen Freundes Heinz Sielmann. Der feierliche Anlass war für ihn aber noch lange kein Grund, mit seiner Meinung hinterm Berg zu halten. Über den Orden freue er sich „angemessen-verhalten“, ließ er den aus Stuttgart angereisten Staatssekretär mit einem Schmunzeln wissen. Und dass es ihm lieber wäre, wenn sich die Landesregierung in Baden-Württemberg mehr um den Naturschutz kümmern und mehr Biotope anlegen würde.

    Soll man die heimischen Vögel ganzjährig füttern oder nicht? Vogelforscher Peter Berthold sagt: Ja.
    Soll man die heimischen Vögel ganzjährig füttern oder nicht? Vogelforscher Peter Berthold sagt: Ja. Foto: Roland Weihrauch, dpa

    Die Auszeichnung hat er trotzdem – oder gerade deshalb – überaus verdient bekommen. Berthold ist ein leidenschaftlicher Kämpfer für die heimische Vogelwelt, mit der es in den vergangenen Jahrzehnten bergab gegangen ist. Fast die Hälfte aller Brutvögel in Deutschland steht auf der Roten Liste bedrohter Arten. Gerade die ganz gewöhnlichen, früher weit verbreiteten Vögel schwinden. Bluthänfling, Grauschnäpper, Klappergrasmücke und Gartenrotschwanz – alles Arten, die früher in Bertholds Hausgarten brüteten und verschwunden sind. „Die krieg ich nicht mehr angelockt.“ Waldlaufsäger, Braunkehlchen, Raubwürger oder Kuckuck gebe es nicht mehr rund um Owingen-Billafingen, klagt er.

    Berthold ist aber auch Pragmatiker. Einer, der die Gegebenheiten so annimmt, wie sie eben sind, und daraus das Beste macht. Während der Staatssekretär bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes darauf setzt, dass die Landwirtschaft eines Tages vogelverträglich wird, arbeitet Berthold lieber aktiv daran, dass bedrohte Vogelarten trotz Monokulturen, Chemiekeule und fehlender Blumenwiesen jetzt noch Lebensraum und etwas zum Fressen finden. Unter dem Motto „Jeder Gemeinde ihr Biotop“ legt Berthold gemeinsam mit der Heinz Sielmann Stiftung seit Jahren kleine „Oasen aus Menschenhand“ an – und setzt so den eintönigen „aufgeräumten“ Landschaften kleine Stückchen Natur entgegen. Mehr als 100 solcher Biotope hat Berthold zwischen Singen und Sigmaringen geschaffen.

    Entsprechend pragmatisch rät er deshalb auch, Vögel ganzjährig zu füttern. Schlicht und ergreifend, weil manchen Arten angesichts der industrialisierten Landwirtschaft inzwischen die Lebensgrundlage fehlt. Damit hat er sich seinerzeit heftig mit dem BUND und anderen Verbänden angelegt, denen so viel menschlicher Eingriff bis heute suspekt ist. „Gummistiefel-Ökologen“, schimpft Berthold: „Die fressen den Rotkehlchen das Futter weg!“ Sein Ratgeberbuch „Vögel füttern, aber richtig“ habe er „aus einem Wutanfall heraus“ geschrieben, erzählt er.

    Schon vor Jahren schlug Berthold eine Katzensteuer vor

    Oder die Sache mit den Katzen. Eigentlich möge er sie, hat er mal am Rande des Mensch-Tier-Kongresses Animalicum in Bregenz gesagt. Obwohl er sie gleichzeitig als „zweitgrößtes Übel für die Natur“ nach der Landwirtschaft bezeichnet. Weil es so viele Katzen gibt, allein in Deutschland mehr als 13 Millionen – wenngleich nicht alle Freigänger sind. Und weil sich viele von ihnen über Singvögel oder kleine Amphibien hermachen. Womit er vor allem ein Problem habe, sagte Berthold damals, „sind Katzenhalter, die nicht einsehen wollen, dass ihre Katzen große Schäden anrichten“.

    Die Sache mit den Katzen: Peter Berthold sagt, er mag sie. Er sagt aber auch: Es gibt viel zu viele von ihnen.
    Die Sache mit den Katzen: Peter Berthold sagt, er mag sie. Er sagt aber auch: Es gibt viel zu viele von ihnen. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Deshalb schlug er schon vor Jahren eine „ökologische Ausgleichssteuer“ für Katzenbesitzer vor. Eine Summe von etwa 30 Euro im Jahr pro Tier könnte das Problem lösen. „Damit würde sich die Zahl um mindestens die Hälfte reduzieren.“ Ein Proteststurm unter den Katzenhaltern war ihm damit sicher.

    Peter Berthold ist eben ein Vogelverrückter. Bis heute verbringt er halbe Tage mit dem Zählen und Beringen von Vögeln. Erst im Juni hat er eine Studie dazu veröffentlicht, wie viele Vögel im Gebiet des Heinz-Sielmann-Weihers bei ihm im Ort übers Jahr auftauchen – als Brutvögel, Durchzügler oder als Tagesgäste. „Ein Riesenaufwand“, sagt Berthold. Das heißt zählen, zählen, zählen. „Manche Vögel können Sie am Singen erkennen, manche sehen Sie, zum Beispiel die Störche.“ In der Zugzeit aber rolle alles drüber. Da hilft nur noch einfangen – mit riesigen Netzen – und beringen oder eben schätzen.

    Man kann sich nicht vorstellen, dass Berthold an diesen Gewohnheiten so bald etwas ändert. Aber zumindest ein bisschen durchschnaufen will er dann doch. Drei Förster, mit denen er viel zusammenarbeitet, haben ihm eine wunderschöne Eichenbank geschenkt.

    Wenn er jetzt abends die Schafe versorgt, setzt er sich immer fünf Minuten hin und denkt ein bisschen über den Sinn der Welt nach. „Ich nehme an“, sagt er und lächelt verschmitzt“, „diese Perioden werden länger werden.“ (mit anf)

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