Startseite
Icon Pfeil nach unten
Geld & Leben
Icon Pfeil nach unten

Alkoholmissbrauch: Wer viel Alkohol trinkt, soll Mitmenschen zu Passivtrinkern machen

Alkoholmissbrauch

Wer viel Alkohol trinkt, soll Mitmenschen zu Passivtrinkern machen

    • |
    Wer viel Alkohol konsumiert, schadet damit oft seinen Mitmenschen. Besonders Kinder leiden - Experten sprechen von sogenannten Passivtrinker.
    Wer viel Alkohol konsumiert, schadet damit oft seinen Mitmenschen. Besonders Kinder leiden - Experten sprechen von sogenannten Passivtrinker. Foto: Alexander Heinl/dpa (Illustration)

    Zigtausende Menschen leiden jedes Jahr als Passivtrinker unter den Folgen von Alkoholmissbrauch anderer, sei es als Unbeteiligter, der von betrunkenen Fußballfans angepöbelt wird, als Ungeborenes im Bauch trinkender Schwangerer oder als Kind von Alkoholikern. In Baden-Württemberg bekam eine Familie am eigenen Leib zu spüren, was Passivtrinken bedeutet. Der angetrunkene Vater baut an Pfingsten einen Unfall und flüchtet. Frau und Kind lässt er verletzt zurück.

    Alkoholmissbrauch: Kinder leiden als Passivtrinker am meisten

    "Kinder, die mit alkoholkranken Eltern leben, können der Situation kaum entkommen", sagt Raphael Gaßmann von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Hamm. In solchen Familien komme es überdurchschnittlich oft zu Missbrauch und Gewalt. Ein bis zwei Millionen Kinder wachsen nach DHS-Angaben in Familien mit Alkoholproblemen auf und sind als sogenannte Passivtrinker in ihrer Entwicklung gefährdet.

    "Unsicherheit, Unberechenbarkeit und Angst hinterlassen Spuren bei diesen Kindern", sagt Gaßmann. Die Chance sei groß, dass sie später selbst suchtkrank werden und psychische Störungen entwickeln, wenn sie als Passivtrinker unter der Alkoholsucht von Eltern leiden. Jede fünfte bis sechste Schwangere trinke außerdem zumindest gelegentlich Alkohol und setze damit die Gesundheit des Kindes aufs Spiel.

    So schadet Alkohol dem Ungeborenen im Mutterleib

    Das Kind trinkt mit: Alkohol passiert problemlos die Plazenta. Deshalb ist ein Kind dem gleichen Blutalkoholspiegel ausgesetzt wie die Mutter.

    Der Abbau des Alkohols ist in der unreifen Leber des Fötus nicht oder nur in geringem Umfang möglich. Deshalb schadet er als Nervengift der Entwicklung des Ungeborenen.

    Bei Schwangeren wirkt Alkohol giftig auf die Zellteilung und ist wachstumshemmend. Zudem schädigt er die Organe des Ungeborenen, vor allem die Entwicklung des Gehirns.

    Kinder mit dem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS) bleiben oft kleiner und leichter als gesunde Gleichaltrige und haben einen geringeren Kopfumfang.

    Betroffene Kinder haben oft ein verändertes Gesicht mit schmaler Oberlippe und kleinen Augen, die meist im Erwachsenenalter kaum noch zu erkennen sind. Viele betroffenen Kinder können aber auch völlig gesund aussehen.

    Die DHS sieht den Begriff Passivtrinken als Pendant zum Passivrauchen als gerechtfertigt an, auch wenn sich gesundheitliche Folgen oft nicht auf den Wirkstoff Alkohol im Körper beziehen. Kinder leiden zwar besonders unter Passivtrinken, doch der Alkoholmissbrauch ist nicht nur bei Eltern gefährlich. "Passiv von Alkoholkonsum Betroffene finden sich in nahezu allen Lebensbereichen wieder", sagt Gaßmann.

    Tausende Menschen leiden unter dem Alkoholmissbrauch anderer

    Denn es sind nicht nur die Kinder, die unter dem Alkoholmissbrauch anderer leiden. Es sind auch Beifahrer von Betrunkenen, Unfallopfer, deren Angehörige und Retter, Mitfahrer in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Kollegen. Tausende Menschen werden Opfer von Straftaten und Unfällen, die unter Alkoholeinfluss passieren. 2015 starben 256 Menschen auf der Straße, fast 17.000 wurden verletzt, weil Fahrer zu viel getrunken hatten. Auch das sind Auswirkungen des Passivtrinkens.

    "Wenn jemand in der Stadt totgefahren wird, sind eine Menge Leute dabei, die das erleben", sagt Gaßmann. "Die werden ja auch schon traumatisiert. Die haben auf jeden Fall einen ganz bösen Tag." Das gleiche gelte für diejenigen, die am Wochenende in Regionalzügen sitzen und auf betrunkene Fußballfans treffen. "Die können sich dann überlegen: Kotzt hier gleich einer auf den Sitz oder geht hier eine Schlägerei los?"   

    "Das Bewusstsein, durch Alkoholkonsum auch andere Menschen zu schädigen, die selbst nicht trinken, ist andernorts vorhanden, in Deutschland offenbar nicht", meint der DHS-Geschäftsführer. Bei uns gebe es zum Beispiel immer noch Alkohol an Tankstellen zu kaufen. Die Auswirkungen des Passivtrinkens auf die Mitmenschen wird offenbar nicht ernst genommen.

    Versuch zeigt negative Folgen von Alkoholkonsum

    In Baden-Württemberg habe ein Versuch gezeigt, dass beim nächtlichen Verkaufsverbot die Kleinkriminalität in der Umgebung gesunken sei. Die DHS fordert nicht nur das Verkaufsverbot in Tankstellen. Es solle auch höhere Steuern auf Alkohol geben. Zudem solle auf Werbung verzichtet, der Zugang konsequent auf 18 Jahre erweitert und der Verkauf außerhalb von Gaststätten nachts verboten werden. 

    Der Pro-Kopf-Konsum lag in Deutschland 2015 laut DHS bei 135,5 Litern alkoholischen Getränken, etwa eine Badewanne voll. Umgerechnet seien das 9,6 Liter reiner Alkohol. Männer trinken durchschnittlich mehr als Frauen. dpa/sh

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden