Geschichte
30.04.2014

Tempel im neuen Zentrum der Stadt

Von Dr. Benigna Schönhagen

Vor 100 Jahren wurde der Grundstein der Augsburger Synagoge gelegt. Die Gemeinde musste erst eine Antwort finden, wie ein angemessenes jüdisches Gotteshaus aussieht

Der prächtige Monumentalbau in der Halderstraße, zu dem am 30. April 1914 der Grundstein gelegt wurde, hat eine lange und bewegte Vorgeschichte. Nahezu 30 Jahre dauerte es, bis die ersten Überlegungen zu einem eigenen Synagogenbau Gestalt annahmen. Die Anregungen dazu kamen vom Magistrat der Stadt, der dabei vor allem den repräsentativen Ausbau der aufstrebenden Industriestadt im Blick hatte. Ihre jüdische Gemeinde, die erst 1861 offiziell zugelassen worden war, wuchs zwar rasch durch den Zuzug aus den Landgemeinden – 1873 schlossen sich ihr die jüdischen Gemeinden von Pfersee und Steppach an –, dennoch behalf man sich noch lange mit Um- und Anbauten an dem zur Synagoge umgebauten Privathaus in der Wintergasse.

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Schließlich wurde in gut deutscher Manier ein Synagogenbauverein gegründet. Den ersten Beitrag stiftete der Israelitische Frauenverein: 10000 Mark in Wertpapieren. Doch erst 1903, als kaum noch die Hälfte der 1200 Mitglieder starken Gemeinde in der Synagoge Platz fand, wurde ein Bauplatz erworben, das Degmaiersche Gartengrundstück in der damals noch nahezu unbebauten Halderstraße. Seine prominente Lage im attraktiven Neubauviertel zwischen Hauptbahnhof und Königsplatz macht das Selbstverständnis der damaligen jüdischen Gemeinde und ihr Vertrauen in die endlich erreichte rechtliche Gleichstellung deutlich. Nicht irgendwo am Rand oder in der zweiten Reihe, sondern mitten im modernen Zentrum der Stadt sollte ihr Gotteshaus entstehen und sie als stolze deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens repräsentieren.

Architekt aus Augsburger Fabrikantenfamilie

Nach einem Wechsel im Gemeindevorstand und dem Amtsantritt eines neuen Rabbiners ging das Vorhaben dann rasch voran. Im Februar 1912 genehmigte die Generalversammlung den Bau einer „Synagoge nebst Gemeindehaus“. Der Kostenaufwand sollte 600000 Mark nicht überschreiten. Im Mai wurde bayernweit ein Architektenwettbewerb ausgelobt, 47 Entwürfe wurden eingereicht. Die hochkarätig besetzte Jury erkannte den ersten Preis dem Beitrag zu, der unter dem Namen „Sem“ eingereicht worden war. Er stammte von dem Münchner Architektenduo Dr. Heinrich Lömpel (1877 – 1951) und Fritz Landauer (1883 – 1968). Letzterer stammte aus der bekannten Augsburger Textilfabrikantenfamilie.

Ihr kongenialer Entwurf markiert den Schlusspunkt einer nahezu hundert Jahre anhaltenden architekturtheoretischen Diskussion um den Synagogenbau. Welches war die angemessene Form für Synagogen, nachdem Juden keinen Vorschriften beim Bau ihrer Synagogen mehr unterworfen waren? Neomaurische Saalbauten wie in Binswangen (1836/47) und Hainsfarth (1860) oder dreischiffige Kirchenbauarchitektur, wie sie die 1885/86 errichtete Synagoge in Nördlingen prägte?

Der Augsburger Bau stellte mit seinem überkuppelten Kultraum über quadratischem Grundriss und seinen zwei zur Straße hin vorgelagerten Gemeindehäusern im Stil Augsburger Bürgerhäuser eine Synthese zwischen byzantinischen und lokalen Einflüssen her. Er griff auf das Modell des Tempels in Jerusalem zurück und wurde zum architektonischen Ausdruck einer jüdischen Erneuerungsbewegung, die als „jüdische Renaissance“ seit der Jahrhundertwende entstanden war. Der Kuppelbau sollte später als Beispiel einer „modernen Synagoge“ gefeiert werden und als Inbegriff eines neuen Synagogenstils gelten.

Für die bis heute faszinierende Innengestaltung und viele Baudetails wurde der Entwurf von den Architekten überarbeitet. Gemeinsam mit dem Rabbiner Dr. Richard Grünfeld, der bereits in Bingen eine Synagoge gebaut hatte, und Herren aus dem Gemeindevorstand besichtigten sie viele neue Synagogen, u.a. in Bamberg, Frankfurt, Köln und Straßburg. Als am 30. April 1914 die feierliche Grundsteinlegung stattfand, war der Rohbau schon so weit fortgeschritten, dass nur wenige Besucher zugelassen wurden. Doch der Erste Weltkrieg verhinderte die rasche Vollendung der Bauarbeiten, die nur als Notstandsarbeiten fortgesetzt werden konnten. Erst 1917 fand die Einweihung statt. In seinem Grußwort brachte Gemeindevorstand Justizrat Ludwig Bauer noch einmal das damalige Selbstverständnis der Augsburger Juden zum Ausdruck, als er betonte: „(…) zugleich leitete uns auch der Wunsch, unsere durch so viele herrliche Bauwerke weit berühmte Vaterstadt durch einen neuen Monumentalbau zu verschönern, soweit dies in unseren Kräften steht“.

Dr. Benigna Schönhagen leitet das Jüdische Kulturmuseum Augsburg

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