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Junges Theater Augsburg: Sie wollte immer nur laufen

Junges Theater Augsburg

Sie wollte immer nur laufen

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    Ein großartiges Team spielt „Samia läuft“: die Schauspielerin Kristina Altenhöfer, der Puppenspieler Maik Evers mit der der Puppe Samia.
    Ein großartiges Team spielt „Samia läuft“: die Schauspielerin Kristina Altenhöfer, der Puppenspieler Maik Evers mit der der Puppe Samia. Foto: Michael Hochgemuth

    Vielleicht hätte Samia ihren Traum von Olympia aufgeben und in Somalia bleiben sollen. Vielleicht wäre sie dann nicht im Mittelmeer ertrunken. Aber genau das ist am 2. April 2012 passiert, neben einem Rettungsboot kurz vor der Küste Maltas und ein Vierteljahr vor den Olympischen Spielen in London, an denen die junge Athletin unbedingt teilnehmen wollte.

    Das Junge Theater Augsburg (JTA) hat auf jeden Fall alles richtig gemacht beim Versuch, Samias Geschichte auf die Bühne zu bringen. „Samia läuft“ erzählt mit den Mitteln des Puppen- und Objekttheaters, mit Projektionen und Musik von Samia Yusuf Omar, die im März 1991, acht Wochen nach dem Beginn des somalischen Bürgerkrieges, in Mogadischu auf die Welt kam und immer nur laufen wollte – weil sie eine talentierte Läuferin war und weil es ausreichend Gründe zum Davonlaufen gab: Kämpfe zwischen Regierungstruppen, Clans und Warlords, Hunger, zunehmende Repressalien gegenüber Frauen durch islamistische al-Shabaab Milizen, die Ermordung des liberalen Vaters. Ein Mädchen, das in kurzen Hosen und ohne Kopfbedeckung laufen wollte, war da fehl am Platz. Und trotzdem trainierte Samia: statt in den zerbombten Stadien eben auf den Straßen, wo sie nur die vielen kriegsbedingten Schlaglöcher umlaufen oder überspringen musste. Aber die al-Shabaab sahen nie die Medaillen, die Samia bei Stadt- und Landesmeisterschaften gewann, sondern nur Samias Verstöße gegen die Shar’ia.

    Die Flucht als letzte Möglichkeit

    Das Olympische Komitee nominierte sie für die Spiele 2008 in Peking, wo sie zwar weit abgeschlagen neben optimal trainierten und ernährten Athletinnen am 200 Meter-Lauf teilnahm, aber die Journalisten eine Geschichte aus der dünnen, vom Publikum mitleidig bejubelten Läuferin machten. Zurück in Afrika unterstütze trotzdem niemand ihr Talent und als es zu gefährlich wurde unter den Augen der Extremisten zu trainieren, sah Samia die Flucht nach Europa als letzte Möglichkeit für ihren Traum von Olympia in London.

    Nach dem Ertrinken vor Malta ging Samias Geschichte im Sport nicht weiter, fand aber den Weg in die Kunst: eine Graphic Novel von Reinhard Kleist und den Roman „Mit Träumen im Herzen“ des italienischen Journalisten Giuseppe Catozzella, der dem JTA als Vorlage für „Samia läuft“ diente. Regisseurin Susanne Reng und ihre Assistentin Katharina Robinson legen den Fokus auf das Laufen und die Zeit in Somalia, was klug ist in Anbetracht der fast inflationären „Flüchtlings-Theaterstücken“ auf deutschen Bühnen. Die Inszenierung tappt in keine der zahlreichen Klischee-Fallen, die rund um das Thema aufgestellt sind, sie scheut nicht vor unterhaltsamen Momenten und erzwingt keine Tränendrüsen-Reaktion, sondern lässt Betroffenheit als Angebot entstehen.

    Ausschnitte aus Samias Leben

    Das passiert dadurch, dass mit unterschiedlichsten Theatermitteln Aspekte und Szenen aus Samias Leben beleuchtet werden. Susanne Reng hat für diese Produktion ein großartiges Team zusammengeholt. Auf der Bühne von Franziska Boos ist hinter einem sandfarbenen, ovalen Teppich ein flickenartiger Paravent aus Wellblech, leeren Plastikflaschen und -kanistern zu sehen, die teils fix, teils als Vorhang oder mobiles Element arrangiert sind. So können Spiel-Fenster und -Durchgänge entstehen, die verdeutlich, dass wir Ausschnitte aus Samias Leben sehen. Mit Ytong-Steinen, Sand sowie Projektionen von Erik Kassnel wird die Bühne mal zum Innenhof von Samias Familie, mal zum Strand, mal zum Olympiastadion oder zum zerstörten, morbid-schönen Mogadischu.

    In diesem Setting setzen die Schauspielerin Kristina Altenhöfer und der Puppenspieler Maik Evers, auf hohem Niveau ihre Körper und Stimmen sowie die Puppen von Simon Buchegger ein. Der Landsberger, nun in Berlin lebende Puppenbauer hat aus Latex und Textil einen Samia-Kopf und eine etwa 50 cm große Figur gestaltet, die mit starkem Ausdruck und anthropomorpher Geschmeidigkeit überzeugt.

    Grandiose Geräuschkulissen

    Neben einer wiederkehrenden Kalimba-Melodie und einigen Percussion-Sequenzen gibt es grandiose Geräuschkulissen, die tatsächlich aus den Kulissen gemacht werden (Musik: Ute Legner). So werden etwa ganz langsam nur wenige Fasern einer Kunststofffolie direkt vor einem Mikrofon zerrissen, was bildlich für das Kaputtgehen von Freiheit und Träumen steht, aber im Kontext der Aufführung zum projizierten prasselnden Feuer im Familienhof führt.

    Legners Musik setzt eigene Akzente und Klammern im Gefüge der Aufführung. Doch entsteht ein 80-minütiger Flow, der über Samias Geschichte hinaus davon erzählt, dass auch in Afrika und Europa jeder das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück hat. „Samia läuft“ gehört künstlerisch und dramaturgisch zum besten, was das JTA in letzter Zeit gemacht hat.

    am 9. und 10. März sowie am 27. und 29. April im Hoffmannkeller und für Schulklassen auf der JTA Studiobühne

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