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Sommerserie Kultur aus Haunstetten: Zwei Hymnen auf Haunstetten

Sommerserie Kultur aus Haunstetten

Zwei Hymnen auf Haunstetten

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    Zwei Hymnen auf Haunstetten
    Zwei Hymnen auf Haunstetten

    Viel Regen und viel Sonne, Heimatlieder und Popsongs, wunderbare Stimmen und ein sonor brummendes Notstromaggregat, Andrang und Abschied, Überraschungsbesucher und Stammgäste, Weißwein und später Rotwein … Und um unseren mobilen Schreibtisch Leute über 90 und Leute unter zehn – was für ein bewegendes, verrücktes Finale ist dieser sechste und letzte Dienstag mit „Kultur aus Haunstetten“ auf dem Georg-Käß-Platz! Unterm Haunstetter Maibaum herrscht Stadtteilfest-Atmosphäre.

    Karl-Heinz Difloe bringt eine Sonnenblume in einer leeren Saftflasche als Vase – wir stellen sie auf den Schreibtisch. Die Sonnenblume wird an diesem Nachmittag daran erinnern, welches Glück wir haben. Nach einem völlig verregneten Vormittag hat es aufgehört – und später: die Sonne über Haunstetten. „Wir haben den Regen verscheucht“, sagen fröhliche Damen. Und Wolfgang Kurtz, der alle sechs Dienstage zum Georg-Käß-Platz gekommen ist, meint trocken: „Ich hab’s Wasser abgedreht“. Kaum stehen alle Stühle, beginnt das Überraschungsprogramm, das die Haunstetter für Haunstetter geben – spontan.

    Eine Kindheit in Haunstetten

    Maike Schwab hat ein Bündel eng beschriebener Blätter in der Hand. Sie möchte ihre Lebenserinnerungen vorlesen. Es wird still unterm Maibaum. Auch wenn der Autoverkehr und das Gescharre von der Hortbaustelle nebenan manche Sätze verschlucken – die persönliche Erzählung kommt an. Der Flughafen von Haunstetten und legendäre Haunstetter Piloten. Dazu eine Kindheit in Haunstetten, die Schulspeisung der Amerikaner, Wundertüten, das überraschende Wiederfinden von Spielkameraden der Jugend. Heute treffen sie sich regelmäßig, sagt Maike Schwab. „Viele unserer Sätze beginnen mit: Weißt du noch, woisch no …“ Applaus. Jemand ruft „Super!“.

    Inzwischen haben sich Gudrun Arndt mit der Steirischen, eingerahmt von Gerhard Wrensch und Elisabeth Wengenmeir, an einer anderen Ecke postiert. Sie verteilen kopierte Blätter mit dem Text der „Haunstetten-Hymne“ – ein Lied, das 1952 zur Stadterhebung entstand, also mehr als ein halbes Jahrhundert vor einer ganz anderen, alternativen Haunstetten-Hymne, die am frühen Abend ebenfalls zu hören sein wird, vom Pop-Sänger Oliver Gottwald. In seinem Song „Sonne über Haunstetten“ reimt sich Haunstetten auf Betten und Europaletten …

    Jetzt die Hymne: (v.l.) Elisabeth Wengenmeir, Gerhard Wrensch, Gudrun Arndt.
    Jetzt die Hymne: (v.l.) Elisabeth Wengenmeir, Gerhard Wrensch, Gudrun Arndt.

    Nicht so die alte Hymne, die sie nun auf dem Käß-Platz singen. Mit Strophen wie diesen: „Hat auch das Schicksal Wunden uns geschlagen/ auch tiefe Wunden heilen wieder zu./ In Treue halten wir in allen Tagen/zu dir, Haunstetten, uns’re Heimat du.“

    Zu diesem Zeitpunkt ahnen wir noch nicht, dass bald eine weitere Version der Haunstetten-Hymne zu hören sein wird – deutlich stimmstärker und leidenschaftlich.

    Jetzt sind sie da, 14 Leute, der Ehrenpräsident ist auch dabei

    Es sammeln sich Männer am Brunnen gegenüber, und irgendwann nehmen sie Aufstellung. Der Männerchor der Sängergesellschaft Einigkeit Haunstetten, gegründet 1858, der älteste Verein Haunstettens. Sie haben Wort gehalten. Irgendwann am ersten oder zweiten Dienstag, in der Hitze des Hochsommers, hatte jemand auf unsere Frage, ob denn der Chor mal bei uns auftreten wolle, „schau’ mer mal“ gesagt. Dann nichts mehr. Jetzt sind sie da. 14 Leute, der Älteste, Willi Lindauer, ist seit 57 Jahren dabei, Walter Schäfer, der „Ehrenpräsident“, seit 56 Jahren.

    Das Platzkonzert des 2013 aus Nachwuchsmangel offiziell aufgelösten Chors, der aber sozusagen informell weitersingt und sich am Stammtisch trifft, bringt entspannte Feierlichkeit und Fröhlichkeit auf die Straße. Leute stehen an offenen Fenstern. Für die Einigkeit-Sänger ist das hier auch eine Art Heimspiel. Denn es gehörte zur Tradition des Chors, dessen Wappen den Maibaum schmückt, hier am 1. Mai aufzutreten.

    Sie haben Wort gehalten. An unserem letzten Dienstag singen die Männer der Sängergemeinschaft Einigkeit Haunstetten bei uns.
    Sie haben Wort gehalten. An unserem letzten Dienstag singen die Männer der Sängergemeinschaft Einigkeit Haunstetten bei uns.

    Das Lied, das der Männerchor als dritte (oder ist es schon die vierte?) Zugabe und in einer Art Jam-Session mit Gudrun Arndt und ihren Begleitern dann singt, kennt jeder. Aber wir finden, es hat noch nie so gepasst. „So ein Tag, so wunderschön wie heute …“ Die Haunstetter singen die Zeile „Wer weiß, wann wir uns wiedersehen …“ lauthals mit – mit einem Auge zu uns, denen sie das Lied spontan gewidmet haben.

    Viel Zeit, in auch zum letzten Treffen wieder mitgebrachten Alben, Büchern, Briefen und Zeitungsartikelsammlungen zu blättern, bleibt nicht. In den Pausen werden die Alben untereinander herumgereicht und begutachtet. Jeder auf dem Platz kennt jemanden, selbst wenn man vor Jahrzehnten weggezogen ist und jetzt zu unserem großen Finaltag einmal wieder an den Ort der Kindheit zurückgekehrt ist – wie Marianne Husel, die von ihrem Großvater erzählt, der überall nur als Botmüller bekannt war, weil er das Gepäck der Haunstetter per Pferd und Wagen zum Bahnhof nach Augsburg brachte.

    Ihre Stimme ist eine Wucht

    Dann geht es schon wieder weiter: Jetzt singt Isabell Drost, eine 17-jährige Gymnasiastin aus Haunstetten, deren Stimme eine Wucht ist. Eben noch Willi Lindauer und seine Stammtischsänger mit „Einig Heimatland“ – und jetzt Adeles „Skyfall“-Song und „Bohemian Rhapsody“ von Queen. Gänsehautatmosphäre in Alt-Haunstetten, wo jetzt die Sonne sich immer stärker durchsetzt. Längst reichen unsere Stühle nicht mehr – Trauben von Menschen stehen um unsere mobilen Schreibtische. Autofahrer verlangsamen und wundern sich, was da los ist in Haunstetten …

    Ein Auftritt mit Gänsehautfaktor unter dem Maibaum.
    Ein Auftritt mit Gänsehautfaktor unter dem Maibaum. Foto: Richard Mayr

    Zu den Überraschungsgästen dieses verrückten Final-Dienstages gehört auch der Schauspieler und Heimatautor Hermann Wächter. Plötzlich steht er da mit Aktenköfferchen, in Sakko und Schal. Das legt er ab, setzt sich irgendwo dazu und rezitiert seine G’schichtle. O-Ton Wächter: Die Augsburger sind nett, aber es gibt welche, die sind netter: Die nennen wir Haunstetter. Volltreffer am Georg-Käß-Platz – warmer Applaus für den Schauspieler, der noch einmal daran erinnert, dass sich an diesem Donnerstag, 6. September, die Stadterhebung Haunstettens zum 66. Mal jährt.

    Oliver Gottwald singt unser Wunschlied

    1952 war Oliver Gottwald noch nicht auf der Welt. Er singt auf dem Platz nicht nur unser Wunschlied „Die Sonne über Haunstetten“, sondern ein halbes Dutzend weitere Songs, die meisten bekannt aus seiner Zeit mit der sehr erfolgreichen Augsburger Pop-Band Anajo, zum Schluss aber auch von seiner Solo-EP „Lieblingslieder“. Zum Abendlicht, das 25-Meter-Kabel von der Anlage führt zum Notstromaggregat, das wir vollgetankt und in einer weit entfernten Ecke brummen lassen.

    Improvisation in Haunstetten, Weißwein aus Plastikbechern – und als wir nach 19 Uhr langsam zusammenpacken, sind wir nicht allein. So viele helfende Hände – und Rotweinnachschub gab es auch. Rudi Ripperger hat schnell zwei Flaschen daheim aus dem Keller geholt. Alfred Schneider hat das Taschenmesser mit Korkenzieher dazu – Improvisation in Haunstetten. Als wir fahren, ist der Georg-Käß-Platz verwaist. Fast. Die Flasche mit der Sonnenblume, die haben wir dagelassen – als eine Art neues Wappen für Haunstetten.

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