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Fußball: Wembley-Finale: Hallers Ballklau und die Folgen

Fußball

Wembley-Finale: Hallers Ballklau und die Folgen

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    Helmut Haller hat sich sein Souvenir aus England geschnappt. Der Augsburger Nationalspieler mit dem Spielball aus dem WM-Finale von 1966.
    Helmut Haller hat sich sein Souvenir aus England geschnappt. Der Augsburger Nationalspieler mit dem Spielball aus dem WM-Finale von 1966. Foto: Sven Simon

    Es ist eine verrückte Geschichte. „Crazy“, wie der Engländer sagt. Oder einfach nur „Balla, balla“. Begonnen hat alles am Samstag, 30. Juli 1966. Schuld daran, dass diese Geschichte überhaupt stattgefunden hat, ist der junge Mann rechts auf dem Foto, der mit traurigem Blick und einem Ball in seiner Hand über den Rasen des Londoner Wembley Stadions geht.

    Helmut Haller, der Augsburger, der zum Weltstar wurde

    Natürlich haben die etwas älteren Menschen den jungen Mann sofort erkannt: Helmut Haller, der Augsburger, der als Fußballer zu einem Weltstar wurde. Warum Haller an diesem sonnigen Nachmittag den Spielball in seine Obhut nahm? Er wollte wohl ein Souvenir mit heimbringen. Deutschland hatte an diesem Tag das Finale gegen England um die Weltmeisterschaft unter äußerst unglücklichen Umständen (siehe auch Bericht auf Seite 23) mit 2:4 nach Verlängerung verloren.

    Vielleicht dachte sich Haller einfach nur: Nachdem man uns heute so beschissen hat, nehme ich wenigstens den Ball mit nach Hause. Und außerdem – wer kräht nach einem WM-Finale schon nach einem orangeroten Lederball?Helmut Haller, der im Jahr 2012 gestorben ist, brachte die Kugel seinem damals vierjährigen Sohn Jürgen mit nach Hause. Der war mächtig stolz und hütete den Ball viele Jahre wie einen Schatz. Aber der kleine Jürgen wurde älter und auch bei ihm geriet die Lederkugel irgendwann in Vergessenheit.

    Der Sieg war ein Fluch für England

    Nicht so auf der Insel. Den Engländern hatte der Sieg über Deutschland kein Glück gebracht. Im Gegenteil. Es war wie ein Fluch. England gewann danach weder eine EM noch gar wieder eine WM. Oft schied die Mannschaft in den kommenden Jahren kläglich aus.1996 fand die Europameisterschaft in England statt. Kurz vor Turnierbeginn fanden die Engländer – besser gesagt: einige englische Journalisten – endlich eine Erklärung für ihre Pechsträhne. Der Endspielball von 1966 war weg. Daran muss es gelegen haben.

    Man erinnerte sich an die Bilder von Helmut Haller, der den Lederball auch noch unter dem Arm trug, als ihm Königin Elizabeth II. bei der Siegerehrung die Hand schüttelte.Die Engländer wollten ihren „Glücksball“ zurück, er sollte ihnen endlich wieder Siege bescheren. Vor allem die beiden Boulevard-Zeitungen The Sun und der Daily Mirror sahen sich dazu auserkoren, für das englische Volk erbittert zu kämpfen.

    Die Zeitungen boten den Hallers Geld für den Ball

    Die Zeitungen boten den Hallers Geld. Angeblich viel Geld. Jürgen Haller muss lachen, wenn man ihn auf die Geschichte anspricht: „Über Geld will ich ungern sprechen.“ Aber der Sohn von Helmut Haller erzählt launig die Geschichte aus seiner Sicht. „Mein Vater wurde aus England angerufen. Die sind ja ein bisschen abergläubisch und vielleicht ein wenig bekloppt und kamen auf ihn, weil sie seit 1966 nichts mehr gewonnen hatten. Jedenfalls hat mich mein Vater damals gefragt: ,Hosch du no den Ball?‘ Ich rief meine Mutter an. Meine Eltern waren ja zu diesem Zeitpunkt schon geschieden. Meine Mutter sagte mir, dass der Ball im Keller liegt.“

    Dann nahm alles seinen Lauf. „Eine der Zeitungen wollte meinem Vater 5000 Pfund (knapp 6000 Euro) in die Hand drücken. Da habe ich aber zu ihm gesagt: Langsam, langsam. Die sind total heiß auf diesen Ball“, erinnert sich Jürgen Haller zurück.Also begannen die Verhandlungen über den Ball. Herbert Schmoll, ehemaliger Redakteur unserer Zeitung, erinnert sich, wie die britische Journaille im Restaurant Villa d‘Este, dem Lieblingsrestaurant von Helmut Haller in Neusäß, eintraf. „Nachdem die Zeitungen mit Jürgen Haller wegen des Balles Kontakt aufgenommen hatten, konnte keiner ahnen, was dies für eine Dimension annimmt. Die englischen Journalisten sind eingefallen wie die Hornissen. Der Wahnsinn nahm seinen Lauf“, erzählt Schmoll.

    Sie haben Haller am Kragen gepackt

    Sowohl The Sun als auch der Daily Mirror wollten die Lorbeeren für sich buchen und den Ball haben. „Die wurden teilweise richtig aggressiv und haben Helmut sogar mal am Kragen gepackt. Es ging drunter und drüber bei den Verhandlungen“, erinnert sich Schmoll. Sieger im Gefeilsche um den Ball wurde dann der Daily Mirror. Helmut Haller machte sich am 25. April 1996 auf den Weg nach London, um die letzten Verkaufsgespräche zu führen. Jürgen Haller und Gilbhart Beil, Reporter beim Radiosender rt1, flogen einen Tag später mit dem Ball nach Amsterdam. Als finanziell alles geregelt war, folgten sie nach London.

    Rund 75.000 Euro soll der Ball den Zeitungsleuten wert gewesen sein. „Der Daily Mirror hat von uns den Zuschlag bekommen, weil die Zeitung ein bisschen seriöser gewirkt hat“, erinnert sich Jürgen Haller.

    Haller als "gierigsten Deutschen" bezeichnet

    Die Konkurrenten von der Sun waren mächtig verärgert, dass sie im Kampf um den Ball verloren hatten. Ihre Reaktion: Gleich auf mehreren Seiten wurde den „deutschen Dieben“ so richtig die Meinung gegeigt. „Der gierigste Deutsche“ war eine der Bezeichnungen für Helmut Haller. Sogar eine eigene Telefon-Hotline richtete die Sun ein. Dort konnten sich ihre Leser frei von der Leber weg über die bösen „Krauts“ (Schimpfwort für Deutsche) auslassen.

    Nun, die Rückkehr des Balles hat den Engländern, wie man weiß, bis heute nichts gebracht. Bei der EM 1996 unterlagen sie im Halbfinale ausgerechnet im Elfmeterschießen gegen Deutschland. Auch bei den folgenden EM- und WM-Turnieren blieb England konstant erfolglos. Und der Ball von 1966? Der liegt, geschützt von einer Glasvitrine, als nationales Kulturgut im National Football Museum in Manchester. Und ruht dort hoffentlich für immer in Frieden.

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