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Interview: Brötchen statt Semmel: „Kindern wird alles Bayerische abtrainiert“

Interview

Brötchen statt Semmel: „Kindern wird alles Bayerische abtrainiert“

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    In der Schule leidet der Dialekt oftmals. Die Kinder werden auf Hochdeutsch eingeschworen.
    In der Schule leidet der Dialekt oftmals. Die Kinder werden auf Hochdeutsch eingeschworen. Foto: Armin Weigel (dpa)

    Herr Maitz, Sie haben die Darstellung des Dialekts in bayerischen Schulbüchern des Fachs Deutsch untersucht. Überrascht Sie das Ergebnis?

    Péter Maitz: Ja, man muss erstaunt und verblüfft sein. Die Sprachpolitik Bayerns und übrigens auch des Bundes und der EU besagt, dass Dialekte und sprachliche Vielfalt generell erhalten und gefördert werden müssen. Was von den Schulbüchern vermittelt wird, ist das absolute Gegenteil davon.

    Sie haben 13 Schulbücher unterschiedlicher Reihen aus Mittelschule, Realschule und Gymnasium ausgewertet. Wie wird der Dialekt darin abgebildet?

    Maitz: Es zeichnet sich eine ganz klare Tendenz ab. Dialekte werden mal latent, mal unverhüllt als Sprachbarriere und Kommunikationshindernis dargestellt – und zwar in jedem Buch, das ich analysiert habe. Im Grunde geht es darum, dass den Kindern entweder durch Suggestivfragen oder durch inszenierte gescheiterte Kommunikationssituationen beigebracht wird, dass Dialekte im kommunikativen Alltag unangemessen und unbrauchbar sind und dass sie deswegen Hochdeutsch sprechen sollen.

    Wie geschieht das?

    Maitz: Wenn Szenen abgedruckt sind, in denen Dialekt verwendet wird, sind das in aller Regel Heimatlieder, Dialektgedichte, Witze. Das Vorurteil wird verstärkt, dass der Dialekt allenfalls in bestimmten Nischen, vor allem im Bereich der Heimatpflege, angemessen und angebracht ist, nicht aber im kommunikativen Alltag. Sobald zum Beispiel in Bilderfolgen Dialekt in Alltagssituationen abgebildet wird, kommt am Ende immer heraus, dass der Dialektsprecher nicht verstanden wird.

    Sprachforscher Maitz: „Alles was bayerisch anmutet, wird abtrainiert“

    Wie ist es mit regionalen Ausdrücken wie „Semmel“ oder „Wienerle“?

    Maitz: In einem Buch gibt es eine Abbildung, wo man das schön sehen kann. Ein Mädchen will in Frankfurt eine Semmel kaufen und die Verkäuferin versteht sie nicht. Und hier geht es noch nicht einmal um ein Dialektwort, Semmel ist ja in Bayern, aber auch in Österreich sowohl im mündlichen als auch im geschriebenen Hochdeutsch gebräuchlich.

    Die Kinder sind also angeleitet, „Brötchen“ zu sagen?

    Maitz: Genau. Sie werden an ein norddeutsches Hochdeutsch herangeführt. Es ist inzwischen in ganz Deutschland eine selbstverständliche Annahme, dass nur im Norden das reine Hochdeutsch gesprochen wird. Deswegen wollen die Schulbücher genau das den Kindern beibringen. Auf diese Weise wird ihnen tendenziell alles, was irgendwie bayerisch anmutet, abtrainiert.

    Gilt diese Abwertung auch für andere Ausdrucksweisen neben dem Dialekt?

    Maitz: Betroffen ist davon eigentlich alles jenseits von Hochdeutsch, auch die Jugendsprache. Die Schulbücher zeigen sie gern als Ausdrucksweise der Problemjugend. Es gibt zum Beispiel eine Szene, wo ein Junge bei einem Vorstellungsgespräch anfängt, wilde Jugendsprache zu verwenden und noch dazu eine Baseballkappe trägt. Jugendsprache wird darin mit sozialer Verhaltensauffälligkeit in Verbindung gebracht.

    Maitz: Bücher legen nahe, dass Dialekt unangemessen ist

    Beinhaltet diese Sichtweise, dass die eigene Ausdrucksweise später zu Problemen im Berufsleben führen kann?

    Maitz: Ja, die Bücher legen nahe, dass ein Schüler mit Dialekt unangemessen spricht, vom Rest der Welt nicht verstanden wird und vom Dialekt daher wegkommen muss. Dadurch wird das negative Bild von den Dialekten weiter verfestigt, was im Berufsleben bis hin zu unverhüllter sprachlicher Diskriminierung führen kann. Wenn zum Beispiel bei einer Bewerbung nicht die Leistung zählt, sondern die Tatsache, dass jemand Dialekt spricht, liegt eine Diskriminierung aufgrund der Herkunft vor. Das ist dann, als würde man sagen: „Sie sind Moslem, ich stelle Sie nicht ein“ oder „Sie sind schwul, ich nehme Sie nicht“.

    Wie sollten Schulbücher Ihrer Meinung nach stattdessen mit Dialekten umgehen?

    Maitz: Man sollte die Schüler darauf aufmerksam machen, dass es Dialekte gibt und dass es die Standardsprache gibt. Lehrer sollten natürlich auch auf die Unterschiede zwischen den beiden Sprachformen eingehen. Weiter müsste man zeigen, dass die Unterschiede mit der Funktionsfähigkeit der Sprachformen rein gar nichts zu tun haben. In der Schule erfolgt ein Großteil der sprachlichen Sozialisation. Dort bekommen wir die sprachlichen Werte und Normen vermittelt, an die wir uns später auch halten. Das heißt, der Teufelskreis könnte gerade in der Schule durchbrochen werden.

    Sollte man Dialekt speziell fördern?

    Maitz: Dazu besteht keine Notwendigkeit. Man sollte einfach die Menschen Dialekt sprechen lassen, ohne dass man sie dafür kritisiert, für ungebildet oder gar anstandslos hält. Dann müssten wir nicht darüber nachdenken, was wir gegen den Tod der Dialekte tun sollen. Denn eine Sprache stirbt nur, wenn man ihre Sprecher sie nicht sprechen lässt.

    Zur Person: Péter Maitz ist seit November 2013 Inhaber des Lehrstuhls für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Augsburg.

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