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Volkstheater: Chiemgauer Volkstheater rechnet mit dem BR ab

Volkstheater

Chiemgauer Volkstheater rechnet mit dem BR ab

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    Bernd Helfrich ist das Gesicht des Chiemgauer Volkstheaters. Unser Foto zeigt ihn im Stück „Glück mit Monika (1992) mit Michaela Heigenhauser (Mitte) und Kathi Leitner.
    Bernd Helfrich ist das Gesicht des Chiemgauer Volkstheaters. Unser Foto zeigt ihn im Stück „Glück mit Monika (1992) mit Michaela Heigenhauser (Mitte) und Kathi Leitner. Foto: United Archives, Imago

    Er habe einiges zu sagen, kündigte Bernd Helfrich damals am Telefon an. Aber erst zu gegebener Zeit. „Ich bitte Sie um Verständnis“, sagte er. „Ich will mich gerade nicht äußern. Aber kommen Sie zu unserer Fernsehaufzeichnung.“ Helfrich und seine Familie – sie sind das Chiemgauer Volkstheater. Ein Familienbetrieb, eine Institution. Der 72-jährige gebürtige Münchner ist keiner, der sich seinen Schnauzer abrasiert, nur weil das in Mode ist. Keiner, der sich wegduckt. In den 80ern spielte er als Eishockeytorwart in der Kreisliga, er kam auf Kurzeinsätze beim Deutschen Eishockeypokal.

    An jenem Tag klang Bernd Helfrich aufgewühlt am Telefon. Es war der Tag, an dem das Ende einer Ära bundesweit bekannt wurde. Der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Bayerische Rundfunk hatte mitgeteilt, dass er die Zusammenarbeit mit dem Chiemgauer Volkstheater aus dem oberbayerischen Riedering einstellt. Nach 23 Jahren.

    Die Verärgerung darüber hält an; es bleiben Fragen: Wie konnte es dazu kommen? Wer schaut überhaupt Volkstheater-Stücke im Fernsehen oder auf der Bühne? Sind sie nicht überfrachtet mit Klischees und aus der Zeit gefallen?

    Ein Donnerstagabend, Kleines Theater Haar. Jetzt gehört ihm die Bühne. Und die gesamte Aufmerksamkeit. Der Moment ist gekommen, den er damals am Telefon angekündigt hat. Was wird Helfrich sagen? Wird es eine Abrechnung?

    Der BR zeichnet zum letzten Mal ein Stück der Chiemgauer für das Fernsehen auf. Helfrichs Sohn Harald hat es geschrieben, er selbst führt Regie, seine Frau Mona Freiberg spielt die resolute Putzfrau Uschi Riemschneider. Die Komödie in drei Akten heißt „Nicht öffentlich“. Ausgerechnet. Das Ende des Chiemgauer Volkstheaters ist inzwischen öffentlich – ein öffentliches Ärgernis.

    Eine Frau sagt: Das ist eine Schweinerei!

    Warum schmeißt der BR die Chiemgauer aus dem Programm, zumindest deren Neuproduktionen? 180 Folgen, die er im Repertoire hat, will er ja weiterhin wiederholen. Nicht alle Zuschauer im Saal wissen das. Am Ende der Aufführung werden sie in kleinen Gruppen beieinander stehen und diskutieren. Ein Mann wird sich aufregen: „Das kann doch nicht wahr sein!“ Seine Frau wird wüten: „Das ist eine Schweinerei! Da müsste man Unterschriften sammeln!“

    150 Zuschauer mögen es sein, Grauhaarige, Weißhaarige, Männer in groß- und kleinkarierten Hemden, Frauen in Blütenblusen, vor allem mit Rosen drauf: Rosen in sämtlichen Farbvarianten, geschlossen, geöffnet, in voller Blüte. Lederhosen-Träger und Dirndl-Trägerinnen. Hörgeräte-Träger. Aber es sind auch junge Leute da, nicht einmal wenige.

    19.56 Uhr. Harald Helfrich tritt hinter dem roten Vorhang hervor, der das Bühnenbild verbirgt. Fünf Fernsehkameras sind auf ihn gerichtet, eine ins Publikum. Er fragt: „Wer glaubt, dass in der Kommunalpolitik gemauschelt wird?“ Vielleicht drei Viertel der Zuschauer melden sich. In „Nicht öffentlich“ geht es um Bürgermeister Hans Huber, eine nicht-öffentliche Bauausschuss-Sitzung und die Frage, was auf dem Filetgrundstück seiner Gemeinde entstehen soll. Eine Spielhalle, wie es Huber mit seinem Gemeinderats-Spezl Franz Schwarz bei einem Schnapserl amigomäßig ausgemauschelt hat? Oder etwa eine Hanfplantage, wie es der esoterische Grüne Xaver Grünberger möchte?

    Von 20.01 Uhr an nehmen die Dinge in Hubers Bürgermeisterzimmer ihren Lauf. Die Bühne: ein Glasschreibtisch, dahinter ein Kruzifix, daneben ein rustikaler Aktenschrank, auf dem Maßkrüge thronen. Auch wenn es so aussieht: Heil ist diese Heimat-Welt nicht. „Selbst dann, wenn man eine rosarote Brille aufsetzt, werden Eisbären nicht zu Himbeeren“, sagte einst CSU-Übervater Franz Josef Strauß. Winfried Frey als Hans Huber zitiert ihn.

    Der in Neuburg an der Donau geborene Frey ist ein Bild von einem Bayern. Er spielte in „Forsthaus Falkenau“, in „Die Rosenheim-Cops“, in „Der Kaiser von Schexing“, in „München 7“. Bernd Helfrich entdeckte ihn, als er ein 17-jähriger Schauspielschüler war, und besetzte ihn als Bäcker-Lehrling. Frey lernte dann seine spätere Frau, die Schauspielerin Petra Auer, durch ein Engagement bei „Peter Steiners Theaterstadl“ kennen. Er spielte einen jungen Schriftsteller, sie die Tochter eines reichen Münchner Hausbesitzers. Happy End auf und abseits der Bühne. Das Stück „Nicht öffentlich“ ist Bernd Helfrichs Geburtstagsgeschenk für seinen Freund Winfried Frey. Der wird dieses Jahr 50. Bei der ersten Probe habe Helfrich vor seinen Schauspielern eine Ansprache gehalten, erzählt Frey. Er, Frey, werde die Ära BR beenden, habe Helfrich auf einmal in seine Richtung gesagt. „Ich war sehr bewegt.“

    Auf der Bühne wischt er als Bürgermeister Huber zwischendurch über einen Tablet-PC. Sagt, er sei bestens vernetzt in den sozialen Medien. Meint: „Was kann ich dafür, wenn wir keinen Schnee mehr haben.“ Huber hat zwei Millionen Euro in den Sand gesetzt, weil er die Ski-WM in seine Gemeinde holen wollte, erfahren die Zuschauer. Sie amüsieren sich über Sprüche wie: „Ich denke prinzipiell gar nichts, Herr Bürgermeister – ich bin Beamter.“ Um 21.02 Uhr aber johlen die Zuschauer, die Alten, die Jungen. Hochrote Köpfe. Wer wissen will, warum: Der BR wird „Nicht öffentlich“ im Jahr 2019 senden.

    Eine BR-Sprecherin sagt: Wir müssen sparen

    Man kann Annette Siebenbürger, Leiterin des BR-Programmbereichs Unterhaltung und Heimat, ein viertes und ein fünftes Mal fragen, warum denn nun genau die Zusammenarbeit mit dem Chiemgauer Volkstheater beendet wurde. Sie sagt es nicht. Dafür sagt sie: „Auch wir müssen, weil der Rundfunkbeitrag seit Jahren nicht erhöht wurde, sparen, und das schlägt sich im Programm nieder. Die Beendigung der Zusammenarbeit mit dem Chiemgauer Volkstheater ist eine Folge mehrerer Sparrunden. Wir sind heute finanziell einfach nicht mehr so ausgestattet wie früher.“

    Aber warum die Chiemgauer? Deren Quoten waren gut. Bundesweit wurden die 13 Folgen, die im Jahr 2017 ausgestrahlt worden sind, von durchschnittlich 670000 Zuschauern gesehen. Nur etwas weniger als beim „Komödienstadel“. Das Durchschnittsalter der Zuschauer lag bei 72 Jahren. Bei beiden.

    Nein, die Quoten seien nicht ausschlaggebend gewesen, sagt Siebenbürger: „Es war eine Abwägungsfrage.“ Der BR habe sich letztlich dafür entschieden, „den Komödienstadel, der im nächsten Jahr 60 wird, zur zentralen Volkstheater-Marke auszubauen“. Man wolle sich enger mit den Volkstheatern und Laienschauspielen im Land vernetzen und sich thematisch wie regional öffnen.

    Um 21.54 Uhr endet im Kleinen Theater Haar die Komödie „Nicht öffentlich“, und die Tragödie beginnt. In den Schlussapplaus hinein setzt Bernd Helfrich zu einer Rede an. Er steht da, rechts und links seine Schauspieler, und liest einen Text vom Blatt, den er vor wenigen Tagen im Wohnmobil, seinem Rückzugsort bei Proben, verfasste.

    „Liebe Freunde des Chiemgauer Volkstheaters“, sagt er mit leicht brüchiger Stimme. „32 Produktionen beiSat.1 sollte es dauern, bis uns der damalige Fernsehdirektor Wolf Feller 1994 zu sich in den Bayerischen Rundfunk geholt hat mit den Worten: ,Ihr gehört zu uns, der BR ist eure Heimat!‘ Mit 214 TV-Produktionen in 26 Jahren können wir mit Stolz sagen: Wir sind das erfolgreichste deutsche Fernsehtheater! Dafür sagen wir Danke!“

    Applaus.

    Er bedankt sich bei weiteren ehemaligen Sender-Verantwortlichen, spricht von „gegenseitigem Vertrauen und Wertschätzung“. Danach sagt Helfrich: „Nachdem diese für uns sehr wichtigen Partner den Sender verlassen hatten, änderten sich die Vorzeichen.“ Es wird still.

    „Intendant Ulrich Wilhelm kenne ich nur vom Fernsehen, und vom neuen Fernsehdirektor weiß ich nicht einmal den Namen!“ Grummeln im Publikum.

    „Ich bin auch nicht sicher, ob er meinen kennt oder mein Gesicht vom Fernsehen.“ Eine Frau sagt niedergeschlagen: „Ja sauber!“

    „Und so hat uns dann der neue Fernsehdirektor vor ein paar Wochen über die Redaktion wissen lassen“, sagt Helfrich schließlich, „dass er die Zusammenarbeit nach dieser heutigen Produktion beenden möchte. Ich bin ihm dankbar, dass ich es nicht aus der Zeitung erfahren habe.“ „Des gibt’s ja ned“, empört sich ein Mann.

    Helfrich ist den Tränen nahe, als er über seine Frau, Mona Freiberg, sagt: „Sie war 25 Jahre Produzentin, Redakteurin, Dramaturgin, Regisseurin, Casterin und eine klasse Schauspielerin! Sie war und ist der Fels in der Brandung – die Mutter der Kompanie!“ Bernd Helfrich küsst seine Frau; sie wischt sich Tränen aus ihrem Gesicht.

    Die Zuschauer erheben sich von ihren Stühlen, die Jungen, die Alten, sie klatschen, sie jubeln. Helfrichs Rede dauert fünf Minuten und zehn Sekunden. Der Applaus mehr als drei Minuten. Um 22.05 Uhr schließt sich der Vorhang, um 22.13 Uhr sind fast alle Zuschauer aus dem Saal, um 22.15 Uhr werden die Stühle aufeinandergestapelt, die Kamerakabel sind zusammengerollt, Scheinwerfer abmontiert. So weit das Protokoll eines Endes.

    Der Chef Bernd Helfrich schimpft: Man hat mich zensiert

    Doch es ist noch nicht Schluss an diesem Abend in Haar, an dem um 22.44 Uhr eine Frau „Pro-setscho“ ruft, und die versammelte Chiemgauer Volkstheater-Familie mit Prosecco auf die alten und die neuen Zeiten anstößt. Zu den alten Zeiten gehört die mit dem BR. „Die Art und Weise, wie man uns abserviert hat – so geht’s einfach nicht“, sagt Bernd Helfrich. Fürchterlich gestört habe ihn, wie ihnen die Entscheidung vor etwas mehr als acht Wochen durch zwei Redakteure mitgeteilt worden sei: „Eine trockene Ansage“ im Café Dinzler am Irschenberg. Der BR-Fernsehdirektor, Reinhard Scolik heißt er, wolle neue Wege gehen und eine jüngere Zielgruppe ansprechen. Man müsse sparen. Die Zusammenarbeit mit der BR-Redaktion habe sich bereits seit Jahren verschlechtert, schimpft Helfrich. Man habe in die Stücke hineinkorrigiert, ihn zensiert.

    Zu den neuen Zeiten gehört: Im August beginnen die Helfrichs mit den Proben für ein Stück, das im Herbst in der Münchner „Komödie im Bayerischen Hof“ aufgeführt wird. Sie gehen weiter auf Tournee – und verhandeln mit einem anderen Fernsehsender. Schauspieler Winfried Frey wird seinen Chiemgauern treu bleiben. Das Volkstheater habe eine Zukunft, sagt er schon kurz nach seinem Auftritt. „Die Komödie wird nie aussterben.“ Flüchtlingskrise, Kriege – die Menschen, gerade auch die Jungen, suchten in ihrer Freizeit Ruhe, Entspannung, etwas Lustiges. Und er sagt noch: „Heimat ist ein Miteinander.“

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