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Pflege: Er will nach Hause - aber er darf nicht

Pflege

Er will nach Hause - aber er darf nicht

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    Von Karin Seibold Augsburg - Er kann nicht mehr sagen, was er will. Im Pflegeheim leben? Oder doch lieber zu Hause, bei seiner Freundin? Seit einem Schlaganfall vor vier Jahren sind einem heute 65-Jährigen aus Schwaben die Worte verloren gegangen. Seine Tochter darf deshalb, als gesetzliche Betreuerin, über sein Leben entscheiden. Sie will, dass er im Pflegeheim bleibt. Seine Freundin will ihn nach Hause holen.

    Was dem Mann mit den silbernen Haaren passiert ist, könnte auch viele andere treffen. Deshalb soll seine Geschichte erzählt werden. Um ihn zu schützen, sollen aber weder Namen noch Orte genannt werden.

    Mehrere Gerichtsinstanzen haben schon über den Fall des Mannes entschieden - oder ihn gar nicht erst verhandelt. Die Freundin, heißt es in den Begründungen, gehöre "als Lebensgefährtin des Betroffenen nicht zum privilegierten Personenkreis". Weil die beiden nicht verheiratet sind, gilt sie vor Gericht als "nicht beschwerdebefugt". Und so bleibt die Tochter Betreuerin. Und der 65-Jährige im Pflegeheim.

    Warum sie ihren Vater nicht zu seiner Freundin nach Hause lassen will? Das sei "Privatangelegenheit", sagt die Tochter auf Nachfrage.

    "Aber er will doch nach Hause", sagt die Freundin. Und: "Ich liebe ihn." Vier Jahre haben sie schon zusammengelebt, sie, die 60-jährige Witwe, und er, der geschiedene Familienvater. Dann kam der Schlaganfall mit all seinen Folgen. Eine davon war eine schwere Störung des Sprachzentrums. Der Mann redet trotzdem, er erzählt viel, lächelt dabei oder runzelt die Stirn. Aber was über seine Lippen kommt, ist eine Silbensuppe mit ein paar Wörtern drin. "Nach Hause", sagt er, "jajajaja". Der Rest klingt wie eine fremde Sprache - eine, für die es keine Wörterbücher gibt.

    Es sind schon viele Kämpfe ausgefochten worden in diesem Fall. Einen ganzen Ordner voll mit Schriftstücken hat die Freundin, Anträge und Urteilsbegründungen, Beschwerden und Bitten. Sie hat an Justizministerin Beate Merk geschrieben und an Sozialministerin Christa Stewens. "Ärzte, Krankengymnasten, Logopäden und Ergotherapeuten bestätigen (...), dass ein Aufenthalt zu Hause die positive Entwicklung weiter voranbringen würde", heißt es darin. Der Bürgermeister und der Pfarrer des 2500-Seelen-Ortes, in dem das Paar gemeinsam wohnte, haben die Briefe unterschrieben. Auch der Hausarzt des Mannes hat seinen Namen darunter gesetzt.

    Gebracht hat es nichts. Das Sozialministerium fühlt sich nicht zuständig, dort hat man freundlich auf das Justizministerium verwiesen. In die "richterliche Unabhängigkeit", so die Antwort des Justizministeriums, könne man sich nicht einmischen.

    Auch auf Nachfrage unserer Zeitung will sich das Justizministerium nicht zu dem konkreten Fall äußern. "Wer zum Betreuer bestellt wird, hängt grundsätzlich davon ab, welche Person das Gericht für geeignet hält", erfährt man dort. Und: "Wenn sich der Betroffene äußert, wen er gerne als Betreuer hätte, wird dem in der Regel Folge geleistet." Für den Fall, dass diese Äußerung aufgrund einer Erkrankung nicht mehr möglich ist, könne man per Vorsorgevollmacht (siehe Infokasten) ja rechtzeitig vorbeugen. Für "den Betroffenen", das muss auch der Ministeriumssprecher zugeben, kommt dieser Tipp zu spät. Was also tun?

    Das weiß auch der Sprecher nicht. Die Freundin des "Betroffenen" will ein neues medizinisches Gutachten einholen, das beweisen soll, dass die Wörter-Brocken und das Verhalten des 65-Jährigen durchaus eine Willenserklärung sind. "Wenn sich die Sachlage ändert, kann das Gericht sich einen Fall noch mal anschauen und ihn gegebenenfalls neu bewerten", heißt es dazu aus dem Justizministerium.

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