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Tod vor 100 Jahren: Für Maler Franz Marc war das Tier schöner als der Mensch

Tod vor 100 Jahren

Für Maler Franz Marc war das Tier schöner als der Mensch

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    Franz Marc: Liegender Hund im Schnee.
    Franz Marc: Liegender Hund im Schnee. Foto: Städel Museum Frankfurt

    Tiermaler gibt es ja nicht wenige in der Kunstgeschichte. Albrecht Dürer mit seinen naturkundlichen Aquarellen zählte im 16. Jahrhundert dazu, Jan van Kessel der Ältere mit seinen drapierten Wunderkammer-Sammelstillleben im 17. Jahrhundert, die anatomisch geschulten Pferdemaler George Stubbs und Théodore Géricault im 18. und 19. Jahrhundert – und auch so manche regionale bayerische Größe im Fin de Siècle, als die Akademie in München sogar noch eine eigene Professur für Tiermalerei besaß.

    Die Tradition währte lang. Dann aber kam Franz Marc.

    Maler Franz Marc: Neue Sicht auf die Tiere

    Im frühen 20. Jahrhundert entwickelte er praktisch und theoretisch eine vollkommen neue Sicht auf das Tier. Und der romantischen, ländlich-pittoresken, schlichten, ja niedlichen bayerischen Vieh-Darstellung wurde ein Kontrapunkt, sogar Paroli geboten. Vor Marc war das Tier im Bild sozusagen „eins“ – in Motiv, Farbe, Form. Jetzt, durch Franz Marc, war es „drei“: Farbe und Form hatten sich vom Motiv gleichsam emanzipiert. Der Hund erhielt kantige Formen, die Kuh eine gelbe Farbe. Das war revolutionär – und gefiel deswegen natürlich auch den wenigsten. Seinerzeit.

    Die Augsburger Postzeitung kam nach Eröffnung der ersten Münchner Ausstellung der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ 1911/12, bei der neben dem Vordenker Wassily Kandinsky natürlich auch Franz Marc vertreten war, zu dem harsch beleidigenden Kunstrichter-Urteil: „Infantile oder farbenwahnsinnige Verunreinigung von Leinwänden.“ Den „Fehl- und Falschfarben“ folgte die „Fehl- und Falscheinschätzung“, der sich im übrigen die Nazis weit nach Marcs Kriegstod am heutigen Freitag vor 100 Jahren mit Gebrüll anschlossen.

    Der Maler Franz Marc.
    Der Maler Franz Marc. Foto: dpa

    Heute nun sind die rein leuchtenden Tierbilder und die daraus entwickelten kristallin-funkelnden beziehungsweise spektral-leuchtenden Abstraktionen des Künstlers im Herz des breiten Publikums angekommen. Zu den Lieblingsbildern der Münchner Gesellschaft gehört Marcs „Tiger“ von 1912, zu den Lieblingsbildern der Frankfurter Bürger das Gemälde „Liegender Hund im Schnee“ von 1910/11.

    Bis es jedoch dazu kam, schritt Marc, 1880 in München geboren, einen weiten Weg in vergleichsweise kurzer Zeit ab: fünf Jahre. Diese Spanne nämlich liegt zwischen seinem noch naturalistisch gemalten toten „Spatz“ und seinem expressionistischen Hund im Schnee.

    Aber blicken wir noch einen Schritt zurück. Dass Marc sich überhaupt dem Tier zuwandte, kam nicht von ungefähr: Schon sein Vater war Maler, ein akademischer. Schon sein Vater liebte über die Maßen die Natur (rund um München). Und zu jenem Zeitpunkt, da der 20-jährige Marc sich entschloss, nicht Philologie in München zu studieren, sondern Kunst, zu diesem Zeitpunkt leistete er in Klosterlechfeld bei Augsburg beim 1. Königlich-Bayerischen Feldartillerieregiment Prinzregent Luitpold seinen Militärdienst als „Einjährig-Freiwilliger“ ab. Dort lernte er reiten und mit „besonderer Freude“ den Umgang mit Pferden. Aber beide biografischen Voraussetzungen wirkten allenfalls mit Zeitverzögerung – und waren wohl auch nicht essenziell entscheidend für Marcs malerische Hinwendung zum Tier und für dessen vollkommen neue Darstellung.

    Franz Marcs Weltanschauung war entscheidend

    Entscheidend vielmehr war Marcs Weltanschauung. Er empfand das Tier als schöner und reiner als den Menschen. Hinzufügen könnte man getrost die Worte „ursprünglicher“ und „mit der Welt versöhnt“. Doch noch wichtiger war für Marc und seine Kunst, dass er sich hineinzuversetzen suchte in die Kreatur. „Wir werden nicht mehr den Wald oder das Pferd malen, wie sie uns gefallen oder scheinen, sondern... wie sich der Wald oder das Pferd selbst fühlen... Wir müssen von nun an verlernen, die Tiere und Pflanzen auf uns zu beziehen und unsre Beziehung zu ihnen in der Kunst darzustellen.“

    Und genau dies gehört zur magischen Anziehungskraft der harmonisch in ihre Umgebung eingebetteten Marc’schen Tiere. Siehe den Hund, siehe den Tiger. Die Farben aber und die Formen – sie entwickelte Marc unter dem Einfluss Vincent van Goghs und Paul Gauguins einerseits, Robert Delaunays spezifischem Kubismus („Orphismus“) andererseits. Ja, Marc schuf sich weitergehend sogar eine eigene Farbenlehre: das Blau als herbes, geistiges, männliches Prinzip, das Gelb als sanftes, heiteres, sinnliches Prinzip, das Rot als brutale, schwere Materie …

    Wenn man sich gedanklich, vor dem inneren Auge auf Leinwand ausmalt, was Marc in seinem Kriegsskizzenbuch an abstrahierenden oder abstrakten Bleistift-Entwürfen hinterließ, wenn man weiter weiß, dass er, der anfänglich Kriegsvernarrte, an eine zukünftige reine, geistige Kunst in einem künftigen, reinen, geistigen Europa glaubte, dann muss einen die triviale Wirklichkeit erschüttern, die das visionäre Leben des Franz Marc am 4. März 1916 beendete: Bei einem Erkundungsritt im Hinterland von Verdun stieg er von seinem Pferd ab, um eine Geländekarte zu studieren. Da schlug drei Meter neben ihm eine Granate ein, und ein Splitter traf ihn tödlich am Kopf.

    Als seine Frau Marie die Todesnachricht per Telegramm erhielt, besuchte sie gerade in Bonn ihre Freundin Elisabeth – Witwe von Marcs Malerfreund August Macke, der bereits 1915 gefallen war.

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