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Georgensgmünd: Gericht macht sich Bild vom Tatort: Wie viel konnte der "Reichsbürger" erkennen?

Georgensgmünd

Gericht macht sich Bild vom Tatort: Wie viel konnte der "Reichsbürger" erkennen?

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    Blick auf das Haus in Georgensgmünd.
    Blick auf das Haus in Georgensgmünd. Foto: Daniel Karmann, dpa (Archiv)

    Blaulicht und Martinshorn mitten in der Nacht: Manch ein Anwohner im beschaulichen Georgensgmünd fühlt sich womöglich unangenehm zurückversetzt an den frühen Oktobermorgen vor knapp einem Jahr. Diesmal fallen jedoch keine Schüsse, niemand wird verletzt. Im Mordprozess gegen den sogenannten "Reichsbürger" machen sich die Beteiligten des Verfahrens vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth am Mittwoch ein Bild vom Tatort - um 5.30 Uhr. Der frühe Termin wird gewählt, um eine möglichst ähnliche Lichtsituation wie bei dem tödlich endenden Polizeieinsatz zu haben. Sogar die Straßenlaterne links vor dem Haus ist dafür ausgeschaltet. Bei dem richtigen Einsatz war sie defekt.

    Die zentralen Fragen beim Ortstermin: Wie gut war innen das Blaulicht am zivilen Einsatzfahrzeug zu sehen, das vor dem Haus stand? War das Martinshorn auch im Haus gut zu hören? Und konnte man die Polizisten als solche auch bei dem spärlichen Licht erkennen? Kann die Kammer also davon ausgehen, dass der 50 Jahre alte Angeklagte wusste, dass gerade die Polizei in sein Haus eindringt und nicht etwa Einbrecher?

    Die Vorsitzende Richterin Barbara Richter-Zeininger sagt später in der Verhandlung, man habe im Haus drei verschiedene Szenarien durchgespielt. Nummer Eins: Die Lichtsituation ist so, wie von den damals beteiligten Beamten geschildert - ein bis zwei der Lampen an Waffen der Polizisten im Treppenhaus sind eingeschaltet. Nummer Zwei: Mehr Lampen an Waffen sind eingeschaltet, sie bewegen sich im Treppenhaus. Nummer Drei: Mit den Lampen wird direkt auf die teilverglaste Wohnungstür des 50-Jährigen geleuchtet. 

    "Reichsbürger"-Prozess: Richterin und Verteidigerin sind sich nicht einig

    In allen drei Szenarien habe man das Blaulicht wahrgenommen, sagt die Richterin - im dritten allerdings nur "vage". Außerdem seien die Männer vor der Tür immer erkennbar gewesen, auch, dass sie Helme trugen und ein Polizei-Schild dabei hatten.

    Wolfgang P.s Anwältin Susanne Koller dagegen berichtet: Das Blaulicht sei im Haus nicht zu sehen gewesen. Sie habe im Treppenhaus sechs Lichtquellen gezählt, sagt Koller - vor allem durch die Lampen an den Waffen der Einsatzkräfte. "Sie nehmen das Blaulicht nicht mehr wahr."

    Ihrer Ansicht nach ist bei dem ganzen Lärm damals auch das Martinshorn nicht zu hören gewesen. "Das Haus hat gewackelt", sagt Koller und bezieht sich dabei auf frühere Zeugenaussagen in dem Verfahren. Überall sei Lärm gewesen, durch Schreie, das Öffnen der Türen und zersplitterndes Glas. Da habe ihr Mandant auch die "Polizei"-Rufe der Spezialeinsatzkräfte (SEK) nicht als solche erkannt. Schon bei Prozessbeginn sagte Koller, ihr Mandant habe damals geglaubt, sich gegen Einbrecher verteidigen zu müssen.

    Bei dem Einsatz am 19. Oktober 2016 hatte der 50-Jährige laut Anklage auf SEK-Beamte geschossen. Ein Polizist wurde getötet, zwei weitere verletzt. Ein Rechtsmediziner von der Universität Erlangen sagt am Mittwoch, "eine realistische Chance auf eine Rettung" des schwer getroffenen Beamten habe nie bestanden. Dafür sei seine Verletzung zu schwer gewesen und die Zeit bis zur Operation zu lang. 

    "Reichsbürger" muss sich wegen Mordes und versuchten Mordes verantworten

    Der Angeklagte muss sich unter anderem wegen Mordes und versuchten Mordes verantworten. Die Waffen des Mannes sollten beschlagnahmt werden, weil er bei den Behörden als nicht mehr zuverlässig galt. "Reichsbürger" erkennen die Bundesrepublik nicht als Staat an. Sie sprechen Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab.

    Bei dem Ortstermin sind Richter, Staatsanwalt und Verteidigung in der Wohnung des 50-Jährigen - und auch der Angeklagte selbst. Als er in Handschellen und mit Fußfesseln aus dem Polizeifahrzeug steigt und von mehreren Kameraleuten gefilmt wird, sagt P., er komme sich vor "wie ein Vergewaltigungsopfer", das in der Öffentlichkeit vorgeführt werde. Seine Anwältin sagt später, der Ortstermin habe ihn stark mitgenommen, er habe geweint. Er sei damals im Bett vom SEK "überfallen" worden. "Das war ein Schock." Der Termin nun sei wie eine Wiederholung des Ganzen.

    Die Öffentlichkeit kann im Haus nicht dabei sein - es steht unter Zwangsverwaltung und der Verwalter hat den Zutritt verboten. Außerdem ist es innen nach Angaben von Justizsprecher Friedrich Weitner ziemlich eng. So müssen die zahlreichen Journalisten vor dem Gebäude warten. Der eine oder andere Nachbar schaut neugierig aus dem Fenster. Catherine Simon, dpa

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