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Gerechtigkeit: Internet-Nutzer spielen Richter: Wie urteilen die Menschen in Bayern?

Gerechtigkeit

Internet-Nutzer spielen Richter: Wie urteilen die Menschen in Bayern?

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    User können online bei einem Richter-Spiel selbst über Fälle urteilen und ihr Urteil im Anschluss mit der Entscheidung von Richtern und Staatsanwälten vergleichen.
    User können online bei einem Richter-Spiel selbst über Fälle urteilen und ihr Urteil im Anschluss mit der Entscheidung von Richtern und Staatsanwälten vergleichen. Foto: Volker Hartmann, dpa

    Ein junger Mann, der im Park Marihuana verkauft. Eine Schlägerei vor der Disko. Beamtenbeleidigung und Diebstahl. In diesen und drei weiteren Fällen konnten Internet-User derzeit Richter spielen und ihre Urteile fällen – und sie im Anschluss mit den Urteilen von anderen Usern sowie echten Richtern und Staatsanwälten vergleichen.

    ARD-Richter-Spiel: Auswertungen nach bayerischen Postleitzahlen

    Das Richter-Spiel ging im Rahmen der ARD-Themenwoche „Gerechtigkeit“ vergangene Woche online, wird nach Auskunft des Norddeutschen Rundfunks aber noch eine Weile online stehen. Der NDR hat unterdessen rund 140.000 Urteile gesammelt. Etwa die Hälfte der User hat freiwillig Alter, Geschlecht und Postleitzahl angegeben. Von den knapp 70.000 Urteilen mit Angabe der Postleitzahl kommen nach Angaben des Senders circa 6500 aus Bayern. Für unsere Redaktion hat der NDR einige bayerische Daten ausgewertet.

    Die User haben beim Richterspiel neun verschiedene Sanktionsmöglichkeiten von "Einstellung ohne Auflagen" (Wert 1) bis "Freiheitsstrafe: mehr als ein Jahr" (Wert 9). Aus allen Antworten lässt sich damit ein Durchschnittswert ermitteln.

    Was die unterschiedlichen Werte bedeuten

    1. Einstellung ohne Auflagen
    2. Anordnung einer Therapie
    3. Einstellung mit Geldauflage
    4. Gemeinnützige Arbeit
    5. Geldstrafe: nicht mehr als das Nettoeinkommen für einen Monat
    6. Geldstrafe: mehr als das Nettoeinkommen für einen Monat
    7. Freiheitsstrafe mit Bewährung
    8. Freiheitsstrafe: nicht mehr als ein Jahr
    9. Freiheitsstrafe: mehr als ein Jahr

    Vergleich der Bundesländer: Bayern liegt im Mittelfeld

    Im Vergleich mit den anderen Bundesländern liegen die Bayern im oberen Mittelfeld. Fünf Bundesländer urteilten härter, die Saarländer sind am strengsten.

    Im direkten Vergleich mit den befragten Richtern und Staatsanwälten zeigt sich, dass die Menschen in Bayern nur in vier von 13 Varianten härter bestrafen würden, als die Rechtsprofis. Vor allem bei den Themen Steuerhinterziehung und Gewalt in der Ehe sind die Menschen in Bayern wenig nachsichtig.

    Vergleich der Geschlechter: Männer urteilen härter

    Im Geschlechtervergleich sind fast immer die Männer die härteren Richter – selbst beim Thema Gewalt in der Ehe würden Männer noch härter bestrafen.

    Und wie sieht es aus, wenn man die Antworten zum ARD-Richterspiel nach Größe der Gemeinde in Bayern analysiert: Sind Menschen auf dem Land nachsichtiger oder strenger? Oder urteilen Städter härter, da in großen Städten die Kriminalität höher ist? Es zeigt sich kein eindeutiger Trend. Jedoch urteilen Menschen in großen Großstädten etwas milder als beispielsweise Dorfbewohner:

    Vergleich der Regionen: Passauer streng, Allgäuer nachsichtig

    Im Regionalvergleich – das betrifft die ersten beiden Stellen der Postleitzahl – urteilen die Menschen in der PLZ-Region 94 (rund um Passau) am härtesten. Die mildesten Urteile gibt es in der Region rund um Kempten im Allgäu.

    Im Regionalvergleich wird ersichtlich: Beim Online-Richter-Spiel urteilten die Menschen in der PLZ-Region 94 rund um Passau am härtesten, um Kempten herum am mildesten.
    Im Regionalvergleich wird ersichtlich: Beim Online-Richter-Spiel urteilten die Menschen in der PLZ-Region 94 rund um Passau am härtesten, um Kempten herum am mildesten. Foto: Grafik: NDR.de/ch (Stand 16.11.18)

    Die größten Unterschiede zwischen den Regionen gibt es bei einem Fall mit Trunkenheit am Steuer. Der lautet wie folgt:

    „Herr Vogel fuhr gegen 23.45 Uhr mit seinem PKW auf öffentlichen Straßen, obwohl er hätte erkennen können und müssen, dass er aufgrund vorangegangenen Alkoholkonsums fahruntauglich war. Seine Blutalkoholkonzentration lag 50 Minuten nach der polizeilichen Routinekontrolle bei 1,2 Promille. Herr Vogel ist 37 Jahre alt, deutscher Staatsangehöriger, verheiratet und hat drei Kinder. Er ist Verwaltungsangestellter und hat ein monatliches Einkommen von 1.800 €. Im Bundeszentralregister wurde für Herrn Vogel fünfeinhalb Jahre vor der neuen Tat eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen schwerer Körperverletzung verzeichnet. Nach Teilverbüßung wurde die zunächst zur Bewährung ausgesetzte Reststrafe von 14 Monaten erlassen.“

    Auch hier liegen die Passauer vorne. Die mildesten Urteile gibt es hier im Postleitzahlgebiet 97 (rund um Würzburg):

    Diese Grafik bezieht sich auf den Fall eines wegen schwerer Körperverletzung vorbestraften Täters, der betrunken Auto fährt. Auch hier urteilten die Passauer am strengsten (dunkel).
    Diese Grafik bezieht sich auf den Fall eines wegen schwerer Körperverletzung vorbestraften Täters, der betrunken Auto fährt. Auch hier urteilten die Passauer am strengsten (dunkel). Foto: Grafik: NDR.de/ch (Stand 16.11.18)

    Vergleichsdaten aus deutsch-französischem Forschungsprojekt

    Die Vergleichsdaten stammen aus einem Forschungsprojekt. Das Projekt "Strafkulturen auf dem Kontinent - Frankreich und Deutschland im Vergleich" wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Agence Nationale de la Recherche (ANR) finanziert und vom Lehrstuhl für Kriminologie der Ruhr-Universität Bochum (Tobias Singelnstein) zusammen mit Kirstin Drenkhahn (Freie Universität Berlin), Fabien Jobard (CRNS / Centre Marc Bloch), Mathilde Darley (CNRS / Cesdip) und Nicolas Hubé (Université Paris 1 Panthéon - Sorbonne) durchgeführt.

    Die Wissenschaftler haben für ihre Studie Juristen in Deutschland und Frankreich befragt (die Studie spricht von "professionellen Rechtsanwendern"). Dazu wurde Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten eine Liste mit beispielhaften Fällen sowie Sanktionsmöglichkeiten vorgelegt. In Deutschland wurden rund 800 Rechtsprofis befragt. Im Rahmen der ARD-Themenwoche "Gerechtigkeit" können die User über dieselben Fälle entscheiden.

    Hier gibt es die Ergebnisse weiterer ausgewerteter Daten zur Themenwoche "Gerechtigkeit". Zum Beispiel dazu, wie es um die Gerechtigkeit bei den Themen Arbeit und Einkommen, Geschlechtergerechtigkeit, Bildung und Generationen steht. (slor)

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