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München: Konzert im Olympiastadion: Reicht ein halber Robbie Williams?

München

Konzert im Olympiastadion: Reicht ein halber Robbie Williams?

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    Robbie Williams füllte am Samstagabend beim Konzert in München das Olympiastadion.
    Robbie Williams füllte am Samstagabend beim Konzert in München das Olympiastadion. Foto: Ralf Lienert

    „Sänger, willst du ewig leben?“ – unter dieser krachigen Überschrift hatte selbst die doch sonst so ernste FAZ vor nun 14 Jahren in das ungläubige Staunen all derer eingestimmt, die damals Robbie Williams live erlebten. Ob Fan oder nicht: Wer den Briten 2003 auf der Bühne auch des Münchner Olympiastadions sah und spürte, wie er selbst in solchen Arenen durch seine Präsenz die Intimität eines Club-Konzerts verbreiten konnte, der hatte das seltene Gefühl, etwas Legendärem beigewohnt zu haben.

    Hier erschien wirklich der geborene Entertainer, als der er sich selbst bezeichnete, in voller Pracht. Und das auch noch mit Liedern, die gerade all die Selbstzweifel und Ängste, die ihn bis in Abhängigkeiten und Depressionen hinein plagten, in Pop-Hymnen verwandelten. Da konnte man sich schon fragen: An diesem unbestreitbaren Höhepunkt – muss eine Legende da nicht verglühen? Kann der das überleben?

    14 Jahre später ist es wieder ein perfekter Sommerabend wie damals, Robbie Williams berichtet in Interviews zwar, dass er heftige, chronische Rückenprobleme hat und dass er unter einer Essstörung leidet, die ihn nachts quasi schlafwandelnd zu Fressattacken treibt – aber er lebt. Und er steht an diesem Samstag wieder auf der Bühne eines längst ausverkauften Olympiastadions in München.

    Zweimal war er seit der Legendentour schon hier, gleich an drei Abenden hintereinander und mit einem Rekord von über 200.000 Zuschauern in München 2006 und dann nochmal 2013 – die eine Tour hatte er wegen völliger Erschöpfung abbrechen müssen, die andere war bedenklich versandet. Und keines der Konzerte hat seit dem Einschweben kopfüber am Bungeeseil 2003 so großartig begonnen wie dieses 2017 nun.

    Konzert in München: Robbie Williams startet stark

    Die beiden Riesenleinwände links und rechts der Bühne sind in gegeneinander gerichteten Profilen geformt, die ihn als Boxer zeigen, Computer-Plakatierer haben das Innere in der halben Stunde seit Ende der Vorband (Erasure) nach und nach mit dem passenden Foto gefüllt, Eminems „Loose Yourself“ macht Stimmung. Da ertönt die Stimme des großen Boxringsprechers Michael Buffer, die die Zuschauer auffordert, sich zu erheben für die Robbie-Hymne, „the National Anthem of Robbie“: „God Bless Our Robbie“. Und tatsächlich tönt die Hymne "Land of hope and glory" mit eigenem, über die Leinwände abzulesendem, mitzusingendem Text, in dem die Karriere nacherzählt wird, samt der Tiefen („Yes he went to rehab / drugs and drinks were making him low“) – ironisch, größenwahnsinnig, grandios: Robbie!

    Kann es sein, dass hier eine Legende wieder mit voller Kraft aufersteht? Buffers Stimme jedenfalls kündigt daraufhin den ungeschlagenen Weltmeister des „Heavy Entertainment“ an, schließlich heißt das neue Album ja „The Heavy Entertainment Show“, mit dessen Titelsong es gleich losgehen wird. Aber zuvor Buffers legendäres „Are you ready to rrrrrrrrrrrrrumble?!?“ Und die Antwort der 70.000 lässt daran nun wirklich auch keinen Zweifel. Alles bereits fürs Fest.

    Dann Robbie im Boxmantel, schnell abgestreift, darunter deutlich wuchtiger inzwischen, aber noch weit davon entfernt, feist zu wirken, mit Muskelshirt jedenfalls, was reichlich Tatoos und reichlich Achselhaar freilegt – und im Rock. Was ihn natürlich dazu bringen wird, im Lauf des Abends öfter seinen Po freizulegen („I’m Robbie fucking Williams, this is my band and this is my ass!“), aber immerhin mit Unterhose (beim Take-That-Revival vor einigen Jahren hier zog er noch blank).

    Richtig los geht’s nach dem eigentlich höchstens mittelmäßigen, neuen Titelsong dann gleich danach, wie 2003 eben: „Let me Entertain you“! Es ist gerade mal neun Uhr: Die Arena bebt. Und dann gleich danach, bei „Monsoon“ – ist das nicht dieser Funken aus Überwältigung und Wahn, die da in Robbies Blick funkelt, als er auf dem Steg im Publikum umbrandet wird von einem Meer an rhythmisch winkenden Armen? Na dann mal los, Mister Born Entertainer!

    Aber als der bezeichnet er sich an diesem Abend gar nicht erst – als der präsentiert er sich auch gar nicht. Ja, ganz lustig ist das alles schon: Die Selbstverarschung im Erinnern an 1994, als er mit Take That die „Shit-Record“ namens „Sure so Sure“ aufnahm, aber immerhin auch George Michael kennenlernte, zu dessen Gedenken er dann „Freedom 90“ singt; das Refrain-Ansingen mit Publikum von Hits wie Bon Jovis „Livin‘ On A Prayer“, Amy Winhouse‘ „Rehab“, A-HAs „Take On Me“…

    Und geradezu rührend ist es, als er seinen Vater Pete auf die Bühne bittet, sich erinnernd, wie er diesen damals, als kleiner Junge, singen und Witze reißen sah und wusste, dass er eben das auch mal tun wollte, woraufhin die beiden dann gemeinsam auf einem Sofa sitzend Neil Diamonds Evergreen „Sweet Caroline“ trällern. Aber dafür ist es dann auch umso blöder, als er mal wieder eine Frau aus dem Publikum zu sich holt und diese Brigitte aus Gersthofen dann mit das an sich so schöne Swing-Cover „Something Stupid“ (Carson and Gaile) singen soll – weil sie dazu dann nämlich eine halbe Gesichtsmaske aufgesetzt bekommt, die ihren Part dann automatisiert übernimmt und natürlich grausam verhunzt (Hier lesen Sie, wie die 29-Jährige aus Gersthofen den Auftritt erlebte).

    Robbie Williams verlässt sich in München auf das große Damals

    Aber noch komischer ist: Das war's dann eigentlich. Mit „Feel“ und „Rock DJ“ geht’s ins Finale, als Zugaben kommen „She’s The One“, natürlich eine zelebriertes „Angels“ und schließlich auch noch der Claude-Francois-Klassiker „My Way“ frei nach Sinatra freilich. Alles trocken serviert, als Selbstläufer, Robbie als einer, der sich auf sein Material verlässt, statt Robbie, dem das bloße Absingen viel zu langweilig, zu wenig ist, dem Showman.

    Schluss um halbelf, nach gut eineinhalb Stunden, eine halbe Stunde vor eigentlichem Toreschluss hier. Ein halber Robbie. Ohne den Wahnsinn, der kürzlich in Dresden noch mal aufflammte, als er reihenweise entblößte Brüste während des Konzerts signierte. Ja, er singt das meiste gut, auch das Cab-Calloway-Cover „Minnie the Moocher“, auch das Duett „Kids“ ohne Kylie Minogue. Und er weiß selbst, dass die Phase mit Songs wie „Rudebox“, von dem er sich immer noch wundert, dass es tatsächlich auf Platz 1 in Deutschland war, weit weg vom Legendenstatus liegt, weshalb es das einzige aus seiner mittleren Phase bleibt, das er hier – nun ja – rappt.

    Und auch das neue Material bleibt außer dem Titelsong nur mit den Singles „Party Like A Russian“ (stumpf) und vor allem dem seinen Kindern gewidmeten „Love My Life“ eher zurückhaltend und zu Beginn eingestreut. Ansonsten verlässt er sich eben auf das große Damals, 43 Jahre alt und eigentlich nur noch Vergangenheit.

    Wer ein stimmiges Bild sucht für den Kontrast 2003/2017, findet es an diesem Abend in einem der größten Songs, den ihm der mit auf der Bühne stehende Guy Chambers je verabreicht hat. „Come Undone“ enthält den ganzen Wahnsinn, die ganzen Ängste, alle Zweifel, erhoben zu einer Hymne. Und Robbie: Singt es an diesem Samstagabend fast ausschließlich im Sitzen, von Stuhl zu Stuhl schlendernd.

    Es ist nicht mehr, es war einmal. Jetzt muss der gealterte Künstler und Familienvater den geschundenen Rücken sichtlich schonen, rennt nicht, hüpft nicht, tanzt kaum. „Such a saint, but such a whore“ – die Extreme liegen hinter ihm. Wahrscheinlich lebt Robbie Williams genau darum noch. Und singt dafür eben „I love my life“. Keine waghalsig großen Abende mehr, aber dafür zuverlässig gute – und ein solcher war es eben auch in München.

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