Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Leukämie: Warten auf die Rettung

Augsburg

Leukämie: Warten auf die Rettung

    • |
    Maximilian Betz (links) steht mit seinem Arzt Christoph Schmid vom Klinikum Augsburg entspannt vor der Edelstahltür. Inzwischen ist seine Leukämie ist geheilt.
    Maximilian Betz (links) steht mit seinem Arzt Christoph Schmid vom Klinikum Augsburg entspannt vor der Edelstahltür. Inzwischen ist seine Leukämie ist geheilt. Foto: Annette Zoepf

    Für Menschen, die zum ersten Mal ins Klinikum Augsburg kommen, gleicht das Gebäude einem Labyrinth. Welcher Aufzug führt wohin? Welcher Gang endet wo? Ein Rätsel. Für Maximilian Betz ist es ein Leichtes, sich in dem Gewirr zurechtzufinden. Seit Dezember 2012 ist er immer wieder dort. Damals ist er 24 Jahre alt und die Ärzte entdecken einen Tumor in seinen Lymphknoten. Morbus Hodgkin. Ein Schlag für den jungen Mann. Ein halbes Jahr bekommt er Chemotherapien. Dann denkt er, es ist alles gut.

    Nachkontrolle im Krankenhaus: Blutprobe auffällig

    Er kehrt zurück zur Normalität, fühlt sich gesund. Seine Schwester heiratet. Am 19. September 2013 geht er zur Nachkontrolle ins Krankenhaus. Die Blutprobe, die ihm entnommen wird, ist auffällig. Sie enthält zu wenige weiße Blutkörperchen. „Es war ziemlich schnell klar, dass mein Knochenmark punktiert werden muss, um herauszufinden, was nicht stimmt“, sagt Betz. Er ist allein, weil es nur eine Kontrolle sein sollte. Während er auf seine Untersuchungsergebnisse wartet, schreibt er einer befreundeten Krankenschwester. Sie setzt sich zu ihm, sie warten gemeinsam. Zwei Stunden lang.

    Wenn der 27-jährige Meringer von diesem Tag erzählt, redet er, ohne zu stocken. Dabei ist das, was er damals erfährt, alles andere als leicht. Er hat Leukämie. „Es ist wieder alles normal und dann sagt mir der Arzt: Du bist todkrank. Das ist ein Hammerschlag“, erinnert er sich. Das Untersuchungsergebnis ist für ihn schlimmer als bei der ersten Krebsdiagnose, auch weil er zwei Menschen kennt, die an Blutkrebs gestorben sind. Das Schwerste ist, seinen Eltern von der Krankheit zu erzählen. Ihnen zu sagen, dass er doch nicht gesund ist. Er soll gleich im Klinikum bleiben. Aber er kann nicht. „Ich musste es ihnen persönlich sagen und wollte nicht anrufen“, sagt er. Als er nach Hause kommt, ahnen sie, dass etwas nicht stimmt. „Ich sollte um halb zwölf zurück sein, aber es war schon Nachmittag“, erinnert er sich.

    Leukämie macht etwa 2,4 Prozent der Krebsarten in Deutschland aus

    Im Vergleich zu anderen Krebsarten ist Leukämie recht selten. Nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft macht sie in Deutschland etwa 2,4 Prozent der Tumorerkrankungen aus. Bei rund 11.400 Deutschen wird die Krankheit jedes Jahr festgestellt. Hinter dem Sammelbegriff Leukämie verbergen sich verschiedene Krebsarten, die das blutbildende System betreffen. Übersetzt bedeutet Leukämie „weißes Blut“. Denn die Zahl der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) steigt an. Manchmal, wie im Fall von Maximilian Betz, sind aber auch fast gar keine mehr vorhanden.

    Was im Körper passiert, ist bei allen Leukämiearten ähnlich, erklärt Christoph Schmid. Der 48-Jährige leitet die Abteilung im Klinikum Augsburg, die für Stammzellentransplantationen zuständig ist. Alle Blutkörperchen – rote, weiße und Blutplättchen – werden im Knochenmark gebildet. Erkrankt ein Mensch an Leukämie, reifen die weißen Blutzellen wegen eines genetischen Defekts nicht mehr vollständig heran. Statt etwa Aufgaben wie die Immunabwehr zu übernehmen, vermehren sie sich einfach nur noch – und zwar rasant. Irgendwann verdrängen sie die gesunden Blutzellen aus dem Knochenmark. Die Folgen können etwa Blutarmut oder mehr Infektionen sein.

    In manchen Fällen gelingt es, die Krankheit durch Chemotherapie zu heilen. Andere Patienten brauchen eine Knochenmarkspende und Menschen wie Eric Altmannshofer. Vor etwa neun Jahren hat sich der 51-jährige Lehrer aus Pöttmes (Landkreis Aichach-Friedberg) in die Knochenmarkspenderdatei aufnehmen lassen. Damals fand in seinem Ort eine große Typisierungsaktion für einen Feuerwehrmann aus einer Nachbargemeinde statt. Altmannshofer gibt eine Gewebeprobe ab, die in einem Labor auf zehn Merkmale untersucht wird. Diese sind in einer zentralen Datei gespeichert. Benötigt ein Mensch irgendwo auf der Welt eine Knochenmarkspende, kann dessen Arzt anhand der Gewebemerkmale nach einem passenden Spender suchen. Stimmen mindestens neun der zehn Merkmale überein, kommt eine Person als Spender infrage.

    Knochenmarkspender müssen fit genug sein, um Knochenmark zu geben

    „Natürlich rechnet man damit, dass man irgendwann Knochenmark spenden könnte. Aber wenn sich dann niemand meldet, vergisst man es wieder“, sagt Altmannshofer. Sechs Jahre – bis Januar 2013 – dauert es, bis der Lehrer einen Anruf von der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) bekommt. Sie fragen, ob er noch spenden würde. Ohne zu zögern sagt er Ja. Meist kommen vier bis fünf Kandidaten in die engere Auswahl für eine Spende. Sie alle müssen sich noch einmal genauer untersuchen lassen. So soll ausgeschlossen werden, dass sie eine ansteckende Krankheit haben oder nicht fit genug sind, um Knochenmark zu geben.

    Das kann auf zwei Arten passieren. Entweder mit einem sogenannten Wachstumsfaktor, der das Knochenmark ins Blut ausspült. Dann wird das Blut des Spenders aus einem Arm entnommen, das Knochenmark herausgefiltert und das Blut in den anderen Arm wieder zurückgepumpt. Oder der Spender lässt sich das Knochenmark unter Vollnarkose mit einer Nadel aus dem Beckenknochen entnehmen. In etwa 80 Prozent der Fälle entscheiden sich die Ärzte für die erste Methode. Weil sie angenehmer für den Spender ist. Bei Altmannshofer ist es anders. Mit einer langen Nadel lässt er sich das Knochenmark punktieren. Zwei Liter der Flüssigkeit werden herausgezogen. „Hinterher fühlt sich das etwa so an, als hätte man einen großen blauen Fleck auf dem Rücken“, erinnert er sich. Unangenehm ist es ihm aber nicht. „Mir wurde gesagt, dass diese Methode dann angewendet wird, wenn kleine Kinder das Knochenmark bekommen sollen“, sagt er. Und so ist es auch. Sein Knochenmark geht an den kleinen Filip. Er ist damals ein Jahr alt.

    Altmannshofer hat selbst Kinder. Er kann nachfühlen, was es heißt, wenn das Kind krank ist. Auch deshalb will er unbedingt wissen, ob die Behandlung bei dem Jungen anschlägt. Wie es ihm geht. Filip hat Glück. Die Behandlung wirkt. „Zu erfahren, dass der Patient trotz Transplantation stirbt, stelle ich mir sehr schwer vor“, sagt der Lehrer.

    Bei der Deutschen Knochenmarkspenderdatei sind Blutproben von Menschen eingelagert, die sich typisieren haben lassen und so Patienten mit schweren Erkrankungen helfen wollen. Aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen sind bereits mehr als 10000 Spender in der Datei registriert.
    Bei der Deutschen Knochenmarkspenderdatei sind Blutproben von Menschen eingelagert, die sich typisieren haben lassen und so Patienten mit schweren Erkrankungen helfen wollen. Aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen sind bereits mehr als 10000 Spender in der Datei registriert. Foto: Oliver Killig (dpa)

    Um gesund zu werden, braucht auch Maximilian Betz eine Knochenmarktransplantation. Eineinhalb Monate dauert es, bis ein Spender gefunden ist. Dieser lebt in den USA. „Eigentlich gibt es heutzutage keinen Patienten mehr, der keinen Spender findet“, sagt der Arzt Christoph Schmid. Das liegt auch am medizinischen Fortschritt. Anders als früher können mittlerweile Geschwister oder Eltern selbst dann spenden, wenn ihre Gewebemerkmale nicht hundertprozentig passen.

    Knochenmarkt kommt aus den USA ins Augsburger Klinikum

    Am 23. Januar 2014 bekommt Betz das Knochenmark des Amerikaners transplantiert. Ein Kurier holt es in den USA ab und bringt es über den Atlantik ins Klinikum Augsburg. „Das Knochenmark wird wie eine Blutspende verabreicht, also als Transfusion“, sagt Schmid. In den Knochen fänden die Zellen ihren Weg alleine, erklärt der Mediziner. Während die Spende in seinen Körper läuft, schaut Betz den Zellen zu. „Ich erinnere mich, dass der Arzt zu mir sagt: Alles Gute zum Geburtstag.“ Doch mit der Transplantation ist noch nicht alles gut. Es beginnt das Bangen. Nimmt der Körper die Transplantation an? „Ich denke eigentlich nie, dass ich sterben würde. Das ist für mich ausgeschlossen“, sagt Betz. Die Zeit ist trotzdem hart.

    Vor der Behandlung werden alle Blutzellen des Patienten zerstört. Sie sollen sich aus dem neuen Knochenmark wieder bilden. Das heißt: Betz hat keine Immunabwehr mehr. Deshalb liegen die Leukämiepatienten auf einer besonders geschützten Station. Ärzte, Krankenschwestern und Besucher müssen durch eine Schleuse. Zwischen zwei Edelstahltüren bekommen sie einen Mundschutz und ziehen einen grünen Kittel über ihre Kleidung. Alles, was auf die Isolationsstation kommt, wird desinfiziert. Die Patienten dürfen nicht raus. Nach drei Tagen habe er es nicht mehr ausgehalten, sagt Betz. „Die Tür geht ständig auf, weil jemand reinkommt, aber du darfst nicht raus. Das ist echt hart“, sagt er.

    Knochenmarkspende

    In Deutschland gibt es 27 Knochenmarkspenderdateien. Eine von ihnen ist die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS), eine andere ist etwa die Deutsche Stammzellspenderdatei, die mit dem Blutspendedienst des Deutschen Roten Kreuzes zusammenarbeitet.

    Alle regionalen Spenderdateien sind in das zentrale Knochenmarkspenderregister Deutschland (ZKRD) eingebunden. Dort werden die Merkmale aller registrierten Spender gespeichert und sind weltweit anonym abrufbar.

    Sie wurde vor 25 Jahren gegründet, um der leukämiekranken Mechtild Harf zu helfen. Ihr Ehemann Peter Harf, ihre Töchter und Freunde der Familie starteten damals Registrierungsaktionen, damit sie einen passenden Spender findet. 1991 waren in ganz Deutschland nur etwa 3000 Menschen als Knochenmarkspender registriert.

    Außerdem gab es noch keine bundesweite Datei, in der die Merkmale aller registrierten Spender verzeichnet waren. Auch die Suche über Dateien im Ausland war sehr zeitintensiv. Mittlerweile ist das anders. Die DKMS ist nach eigenen Angaben der weltweit größte Verbund von Stammzellenspenderdateien.

    Am 28. Mai ist Tag der Lebendspender oder World-Blood-Cancer-Day (auf Deutsch: Welt-Blutkrebs-Tag). Jedes Jahr nimmt die DKMS diesen Tag zum Anlass, um auf die Themen Knochenmarkspende und Leukämie aufmerksam zu machen. In diesem Jahr feiert die DKMS ihr 25-jähriges Bestehen.

    Auf der ganzen Welt gibt es 25 Millionen registrierte Knochenmarkspender. Bei der DKMS sind in Deutschland etwa 4,3 Millionen Spender gelistet. Am Tag spenden etwa 15 Menschen aus der DKMS Knochenmark. Von hundert Menschen, die sich registrieren lassen, wird im Schnitt einer wirklich gebeten, Knochenmark zu spenden.

    Um sich als Spender registrieren zu lassen, muss eine Gewebeprobe entnommen werden. Das funktioniert über einen Wangenabstrich oder mit einer Blutprobe. Die Probe wird auf zehn Gewerbemerkmale, sogenannte Humane Leukozyten Antigene (HLA-Merkmale), untersucht. Die Ausprägung dieser Merkmale wird gespeichert. Damit ein Empfänger die Spende verträgt, sollten mindestens neun HLA-Merkmale von Spender und Empfänger zusammenpassen.

    Viele Menschen denken beim Begriff Knochenmark zunächst an das Rückenmark. Das ist aber nicht das Gleiche. Das Rückenmark befindet sich in der Wirbelsäule und ist ein Teil des Nervensystems. Es kann nicht transplantiert werden.

    Knochenmark hingegen befindet sich in den Hohlräumen verschiedener Knochen – etwa im Oberschenkelknochen, dem Schädel, den Rippen, dem Brustbein und im Beckenkamm. Es ist das wichtigste blutbildende Organ des Menschen. Hier entstehen Blutplättchen (Thrombozyten), weiße Blutkörperchen (Leukozyten) und rote Blutkörperchen (Erythrozyten).

    Bei der Suche nach einem Knochenmarkspender gibt es ein Problem: Weil vor allem Westeuropäer in der Spenderdatenbank registriert sind, finden sie auch sehr viel leichter einen passenden Spender. Für Menschen anderer Nationalitäten – etwa Türken, Spanier, Italiener oder Menschen aus Afrika – ist es hingegen deutlich schwieriger, einen passenden Spender zu finden. Seit ein paar Jahren sucht die DKMS deshalb gezielt Knochenmarkspender mit Migrationshintergrund. (hhc)

    Nach zwei bis drei Wochen sollte die Zahl der Blutkörperchen langsam ansteigen. Dann könne man davon ausgehen, dass die Transplantation erfolgreich war, sagt Schmid. Nach sechs bis sieben Wochen könne der Patient entlassen werden. Bei Maximilian Betz waren es fünfeinhalb. Noch weiß er nicht, wer ihm das Knochenmark gespendet hat, nur dass sein Retter ein Jahr älter ist als er selbst. Es gibt eine Sperrfrist, doch wenn die vorbei ist, möchte er ihm unbedingt schreiben. „Ich habe ihm mein Leben zu verdanken. Er ist ein Top-Mann.“

    Und wie sieht das ein Spender? „Auf Dank habe ich nicht gewartet, mir ist nur wichtig, zu wissen, wie es dem Patienten geht“, sagt Altmannshofer. Er und Filips Mutter schreiben sich regelmäßig. Er hat ein Fotoalbum des Buben daheim. Filips Mutter hat es für ihn gemacht. Der Junge ist inzwischen drei Jahre alt und gerade in den Kindergarten gekommen.

    Maximilian Betz ist immer noch regelmäßig im Klinikum Augsburg – zur Kontrolle. Es geht ihm gut. Nur: Wenn er an die Zukunft denkt, wird ihm ein bisschen mulmig. „Ich weiß ja nicht, was in fünf oder zehn Jahren ist. Da ist es schwer, über so was wie Familienplanung nachzudenken“, sagt der 27-Jährige.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden