Bundeskanzlerin Angela Merkel hat zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau den Überlebenden für ihr Engagement als Zeitzeugen gedankt. "Es ist ein großes Glück, dass Menschen wie Sie bereit sind, uns ihre Lebensgeschichten zu erzählen, das unendliche Leid, das Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus über Sie gebracht hat", sagte Merkel am Sonntag bei der Gedenkveranstaltung in Dachau.
Die Kanzlerin wandte sich damit besonders an die angereisten hochbetagten Überlebenden, die in berührenden Reden ihre Erinnerungen schilderten. Erst damit bekämen nackte Zahlen ein Gesicht, sagte Merkel. Das Geschehene sei so unvorstellbar. Umso wichtiger seien die Berichte. Sie nahm als erste Kanzlerin an der Gedenkveranstaltung zur Lagerbefreiung teil. Merkel war 2013 in Dachau, jedoch nicht beim Jahrestag.
Seehofer: "Die Opfer bleiben unvergessen."
Auch der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Erzbischof und Kardinal Reinhard Marx, würdigte besonders die Zeitzeugen, von denen viele erst nach Jahrzehnten die Kraft gefunden hätten, über das Erlittene zu sprechen. Die Erinnerung sei wichtig für den Aufbau einer humanen Zivilisation, sagte Marx bei einer Messe. Das Interesse an der Vergangenheit habe eher zugenommen. "Dafür dürfen wir dankbar sein. Auch dafür, dass die jüngere Generation nach Dachau kommt, um sich zu informieren", sagte Marx.
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagte, in Deutschlands dunkelster Zeit sei Dachau zu einem Synonym des Schreckens geworden. "Wir verneigen uns an diesem Ort in Demut und Respekt und versichern: Die Opfer bleiben unvergessen", sagte Seehofer. "Freiheit und Demokratie brauchen Erinnerung. Die Erinnerung an unvorstellbares Leid mündet in das Bekenntnis: Nie wieder!"
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, verlangte, alle Schulklassen müssten verpflichtend eine KZ-Gedenkstätte besuchen. Junge Menschen müssten begreifen: "Ihr seid nicht schuldig, aber Ihr tragt Verantwortung." Das Anliegen wolle er im Bayerischen Landtag voranbringen - und er hoffe, dass das Beispiel dann aufgegriffen werde. Er warnte vor einem Wiederaufleben von Intoleranz. "Wenn ich darauf blicke, wie heute einige Bürger gegen Flüchtlinge hetzen oder wie abwertend über Juden gesprochen wird - dann frage ich mich: Wie sehr ist das hohe Gut der Menschenwürde eigentlich noch in den Köpfen verankert?"
US-Soldaten befreiten das KZ Dachau am 29. April 1945
Beim Gedenken im ehemaligen Krematorium saß Merkel neben dem Präsidenten der Lagergemeinschaft Dachau, Max Mannheimer. Auch der 95-Jährige äußerte sich besorgt angesichts von neuem Rassismus und Antisemitismus in der Welt. "Aus dem historischen Gedenken muss ein verantwortliches Bewusstsein hervorgehen."
Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch warnte davor, einen Schlussstrich zu ziehen. "Ich plädiere dringend dafür, den Heutigen unsere Geschichte nicht als Last, sondern als Chance näherzubringen - als Motivation zu Mündigkeit, Wehrhaftigkeit und Menschlichkeit."
An der Gedenkfeier nahmen rund 130 Überlebende mit ihren Angehörigen teil, dazu US-Veteranen sowie zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland. US-Truppen hatten das Lager mit rund 30.000 Häftlingen am 29. April 1945 befreit.
Zum Jahrestag war ein Duplikat der gestohlenen Tür mit der zynischen Inschrift "Arbeit macht frei" eingesetzt worden. Vor allem Überlebende hatten auf den Ersatz gedrungen - damit die Gäste die menschenverachtende Formulierung gleich am Eingang so lesen können, wie sie selbst sie Jahrzehnte zuvor. Die KZ-Gedenkstätte informiert auf einer Tafel neben der Türe über den Symbolgehalt der Inschrift und den Diebstahl.